30 Bäume für die Haltestelle Kronenstrasse

Crowdplanning für ein grünes Zürich

Am Montagabend präsentierten die Initiant*innen des ‹Crowdplanning› die entstandenen Projekte im ZAZ. Ein schneller Bericht.

«Heute werfen wir eine neue Regel ins Spiel der Stadtentwicklung – und zwar gemeinsam.» Wolfgang Rossbauer, Architekt und Mitinitiant des ‹Crowdplanning›, das am Montagabend, dem 30. Oktober 2023, im Zentrum Architektur Zürich vorgestellt wurde, eröffnete die Veranstaltung mit Nachdruck. Das ZAZ war voll besetzt. Was auf dem Spiel steht, sei dringend: «Wie begrünt man eine Stadt, in der jeder Quadratmeter eine Funktion hat?» Das Stadtklima wird von Jahr zu Jahr heisser. Wir brauchen also mehr «Grün», das heisst mehr Schatten und mehr kühle Luft, so lautete das Credo, und zwar so schnell wie möglich. «Die Nach- und Neubegrünung unserer Städte ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit.»

Um die Begrünung der Stadt voranzutreiben, schlagen die Initiant*innen des Crowdplanning zwei Schritte vor. Erstens: Find the gap. Zweitens: Korrigieren, was schon da ist. Und: die Mitarbeit von vielen – der ‹Crowd›.

Zuerst: Grundlagenarbeit
Bevor die Crowd miteinbezogen wurde, leistete die aus dem Verein umverkehR und dem Architekturforum Zürich hervorgegangene Gruppe um Rossbauer Grundlagenarbeit. Dazu überlagerte sie Stadtkarten von Zürich. Zuerst die Bebauung mit den Werkleitungen, um die «gaps» (die Lücken) zwischen oberirdischer und unterirdischer Welt zu finden – Wo ist überhaupt Grund vorhanden, aus dem etwas wachsen kann? Als nächstes die Hitzehotspots – Wo besteht der grösste Handlungsbedarf?

Pflanzinselplan (Ausschnitt)

Der ‹Pflanzinselplan›, der aus den Überlagerungen entsteht, gibt einerseits an, wo eine Bepflanzung möglich ist, und anderseits, wo sie dringend ist («Doppelcodierung» nennt das Rossbauer).

Dann: die ‹Crowd›
Der Pflanzinselplan wurde der Crowd als Grundlage abgegeben und parallel dazu weiterbearbeitet. Man hätte auch einen Algorithmus laufen lassen können, der überall dort, wo möglich und dringend, Bäume gepflanzt hätte, erklärte Rossbauer der versammelten Menge im ZAZ. Die meisten Anwesenden sind Planer*innen und fragten sich in dem Moment wohl, ob es sie noch braucht. Man habe aber schnell gemerkt, dass eine solche Pauschalbepflanzung quantitativ zwar interessant, räumlich aber nicht differenziert genug sei. Ausserdem habe man den Strassenraum zur Verhandlungsmasse erklären und in die Hände der Stadtbewohner*innen legen wollen. Ein Nebensatz liess aufhorchen: «Eine Stadt, die aus einem gemeinsamen Ziel erwächst, hat vielleicht auch einmal gemeinsame Räume.» Die Grundlage wurde also veröffentlicht und mittels einem Open Call zum Mitplanen aufgerufen.

Dem Aufruf gefolgt sind 44 Teams, die je ein Projekt eingereicht haben. Alle Projekte sind in einer kommentierten Dokumentation versammelt.

In die gemeinsamen Räume investiert wurden bisher:
2513 Stunden
à CHF 135 nach SIA
= CHF 369'883.95 inkl. MWST.
Die Arbeit der Initiant*innen mit eingerechnet.

Die Projekte
Zehn Projekte stellten die Verfasser*innen live im ZAZ vor. Dabei handelte es sich nicht um die «besten» Projekte. Vielmehr ging es darum, die Vielfalt von möglichen Projekten aufzufächern. Der Masstab der vorgestellten Projekte war divers.

Ein Projekt beschäftigte sich mit der Brauerstrasse, wo «Strassenraum zu Lebensraum» transformiert werden soll. Auf der Rötelstrasse schlägt ein weiteres Projekt vor, 35 Bäume zu pflanzen – noch mehr, wenn man die Parkplätze wegnehmen und die Privaten involvieren würde. Für den Rigiplatz lautet der Vorschlag «Baumdach». Auch die Seilbahn Rigiblick soll ein Platz werden, ein kleines Zentrum mit Kapphaltestelle. Auf der Schaffhauserstrasse in Oerlikon-Ost soll ein langes Strassenstück dazu beitragen, in der Stadt Zürich 25% Baumbedeckung zu erreichen und die Langstrasse wird als «baumbestandener Boulevard ohne motorisierten Verkehr» gezeigt. Geht es hier nur um eine Verschönerung? Oder ist es «Zeit für einen Aufbruch» – im wahrsten Sinne des Wortes? Am Hardplatz schlägt ein Projekt vor, den Belag aufzubrechen, damit Ruderalvegetation entstehen kann. Für den Vorschlag zur Begrünung des Schulplatzes Ilgen hat das Team mit Nutzer*innen des Schulareals zusammengearbeitet. Bei der Trottenstrasse wird ein Bach ausgedohlt. Aus der Seebahnstrasse wird der ‹Boulevard Seebahnquai› – «Weg mit dem Image der Autobahnen mitten in der Stadt!» – und der Bahneinschnitt Wiedikon wird überdeckt, dort entsteht der ‹Freizeitpark Aussersihl›.

Die Replik
Im Anschluss an die schnelle Rundumsicht erhielten die Direktorin des Tiefbauamts der Stadt Zürich, Simone Rangosch, sowie die Direktorin von Grün Stadt Zürich, Christine Bräm, Gelegenheit, zum Crowdplanning Stellung zu nehmen. Es sei bereits das erklärte Ziel der Stadt Zürich, den Strassenraum neu aufzuteilen und Grün und Biodiversität zu stärken. Das Crowdplanning ziele also in die richtige Richtung. Gerne hätten auch sie, dass dieses Ziel schneller erreicht werde, doch es gäbe Bremseffekte: die Werkleitungen müssten erneuert, die Fernwärme und die Kanalisation für die wachsende Stadt ausgebaut, die Hindernisfreiheit sichergestellt und die Anforderungen der Rettungsorganisationen erfüllt werden. Auch mit Einsprachen von Anwohner*innen hätten sie es oft zu tun. Das alles verlangsame die Planung der begrünten Stadt. Trotzdem täten sie alles, was in ihrer Macht stehe.

Zentralpark – auch grossmassstäbliche Projekte wurden eingereicht, hier mit Gleiseindeckung

Die vorgestellten Projekte ordneten Simone Rangosch und Christine Bräm in ihrer Replik nach Massstäben und Realisierungshorizonten ein. Sie begannen mit den grössten und endeten mit den kleinsten Projekten. Erst bei diesen machten sie eine Machbarkeit aus. Sie seien «offen für Inputs, wenn es um keine Veränderung der Strassenführung geht». Bei den Anwesenden im ZAZ stiess dies auf Unverständnis.

Die Diskussion
Eine offene Diskussion rundete den Abend ab und verlieht ihm nochmals Dringlichkeit. Zur Diskussion eingeladen waren Simone Brander, Stadträtin SP, und Harald Welzer, Soziologe und Sozialpsychologe sowie Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Die erste Frage, warum Planungen manchmal so lange dauern würden, ging an Simone Brandner. «Auch mir geht es manchmal zu lange», meinte diese. «Deswegen realisieren wir auch viele Projekte mit verkürztem Terminplan.» Wolle man aber beispielsweise das Fernwärmeziel erreichen, könne man die Strassen nur «auf und zu» machen, die Oberfläche unverändert lassen, sonst schaffe man es nicht.

Auf diese Argumentation offerierte Harald Welzer seine Aussensicht. Viele der aus dem Crowdplanning hervorgegangenen Projekte schienen ihm «naheliegend». Warum die Stadt nicht längst so aussehe, sei historisch zu begründen: das herrschende Planungsparadigma war lange auf das Auto ausgerichtet. Und allgemein: «Unsere Planungskultur wurde für eine Zukunft entwickelt, die der Gegenwart ähnlich ist – das ist vorbei.» Das Jahr 2023 habe in jeglicher Hinsicht gezeigt, dass die Gegenwart volatil ist. Da wir der Geschwindigkeit der Veränderungen hinterherstolperten, sei es nun wichtig, gemeinsame Lernprozesse zu wagen. Für unsere Planungskultur schlug Welzer zwei neue Kategorien vor: das ‹Provisorium› und die ‹Reversibilität›. Dass in Zukunft nicht alles mit «Züri-Finish» geplant und gebaut werden müsse, bejahte auch Stadträtin Simone Brander.

Stimmen aus der Stadt
Zum Schluss gab es zahlreiche, teils aufgebrachte Wortmeldungen:
Warum gab es zur Stadtklima-Initiative nur einen «miesen» und keinen «grosszügigeren» Gegenvorschlag aus der Verwaltung?
Auch die Privaten müssen mitmachen... Ohne sie schaffen wir es nicht...
Was hat der Partizipationsprozess beim Hardplatz gebracht?
Individualisierte Interessen im Stadtraum sind «grässlich».
Warum können die Bäume nicht einfach in die Fernwärmegräben gepflanzt werden – auch illegal?

Die Veranstaltung hinterliess auch Mutlosigkeit:
Wenn nur die einfachen Projekte für machbar befunden werden, wie packen wir dann die grossen Veränderungen an?

Und der Fussgängerverein Zürich erklärte den Hardplatz zum Ort für einen Paradigmenwechsel:
Dort wurde bereits die Westtangente gebodigt!

Crowdplanning – to be continued.

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Kommentare

Barbara Steiner 13.05.2024 11:00
Von der Feldstrasse in die Brauerstrasse stehen nur Autos . Hinten sind seit über 35.Jahre nur erdlöcher wo einst Bäume das Bild geprägt haben müssen... wo sind sie geblieben?! Auch Abfahlkübel sucht man hier vergebens,leider:( Auf anfrage bekommt man immer die gleiche Antwort und die kann sich jeder denken. Gehört der Kreis 4. noch zu Zürich oder wurde er begraben im Mühl für die Menschen und Geschäfter die gerne hier Leben würden mit mehr Grün für Tier und Mensch. Es bleibt wohl der fantasie und vorstellungskraft jedem einzelnen überlassen, wie es sein könnte... wenn das WÖRTCHEN wenn nicht währe.
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