Nomadische Räume, nomadische Versprechen

Nicht alle Menschen leben in Häusern, auch nicht in der Schweiz. Statt die nomadische Lebensform zu marginalisieren, sollten wir versuchen, von ihr zu lernen. Eine Annäherung in vier Kapiteln.

Fotos: Studio Ayoub Lacaille / EPFL ENAC

Nicht alle Menschen leben in Häusern, auch nicht in der Schweiz. Statt die nomadische Lebensform zu marginalisieren, sollten wir versuchen, von ihr zu lernen. Eine Annäherung in vier Kapiteln.

Die Geschichte der traditionell fahrenden und semi-nomadischen Völker ist in Europa zugleich eine Geschichte ihrer Diskriminierung. Oder wahlweise eine Geschichte ihrer Romantisierung. Vielleicht bedingt das eine das andere: Dass da eine Minderheit anders wohnt und lebt als der Durchschnittsmensch, kommt ihm verdächtig vor. Alles Nomadische wird deshalb an den Rand gedrängt und verfolgt, während es gleichzeitig – überhöht und verfremdet – als Versprechen eines anderen Lebens durch die Träume der Mehrheitsgesellschaft spukt. Doch die Räume, in denen fahrendes Leben stattfindet, sind real, ebenso die Probleme, mit denen sich die Menschen, die ein fahrendes Leben führen, auseinanderzusetzen haben. Nomadische Räume sind eine Frage der Raumplanung und der Gestaltung. Und in der nomadischen Lebensweise wiederum finden sich vielleicht – fern jeglicher Romantik – einige Antworten in Hinblick auf eine zukünftige Architektur. I. Vagabundenkongress und Weissenhofsiedlung Stuttgart, 21. Mai, 1929 Auf dem Killesberg am Stadtrand von Stuttgart, im sogenannten Freidenker-Garten, findet über die Pfingsttage der ‹Erste Internationale Vagabundenkongress› statt, initiiert von Gregor Gog, dem Gründer der ‹Bruderschaft der Vagabunden› und Herausgeber ihrer Strassenzeitung ‹Der Kunde›. Das Waldstück des Freidenker-Gartens grenzt unmittelbar an die Weissenhofsiedlung, deren weiss strahlende, prismatische Wohnhäuser kurz zuvor bezogen wurden. Die Tramps, die Obdach- und Arbeitslosen, die «Tippelschicksen» und «Tippelbrüder» mit Wanderstab und Bettelsack gehen also an den neuesten Bauten der Architekturavantgarde vorbei, am Doppelhaus von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, am langen Wohnriegel von Mies van der Rohe oder an den drei Reihenhäusern von Mart Stam. Es ist eine seltsame Nachbarschaft und ein seltsames Zusammentreffen. Hat das eine etwas mit dem anderen zu t...

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