Aufbruch in eine gemeinsame ­Zukunft

In einem aufwendigen Planungs- und Mitwirkungsverfahren hat Wädenswil eine neue Nutzungsplanung erarbeitet und macht nun vor, wie offensive Stadtentwicklung geht.

Fotos: Giuseppe Micciché
In Zusammenarbeit mit der Stadt Wädenswil

In einem aufwendigen Planungs- und Mitwirkungsverfahren hat Wädenswil eine neue Nutzungsplanung erarbeitet und macht nun vor, wie offensive Stadtentwicklung geht.

Sechs Kilometer Uferzone entlang des Zürichsees, dahinter die langgezogenen Hänge des Wädenswiler Bergs, an dessen Flanke sich die Stadt anschmiegt und der Aussichtspunkte mit Blick bis in die Appenzeller Alpen bietet. Seine Naturwerte sind eines der grossen Potenziale Wädenswils. Auch prägende Altbäume und Grünflächen im Siedlungsgebiet sowie an den Rändern zur offenen Landschaft gehören dazu. Ein grosses Glück ist zudem, dass sich mit der Deutschschweizerischen Versuchsstation für Obst-, Wein- und Gartenbau (heute Agroscope) bereits im Jahr 1890 die erste von mehreren Forschungseinrichtungen hier der Anbauwirtschaft verschrieb. Zahlreiche Obst- und Rebflächen sind heute als Freihaltezonen gesichert und überziehen wie grosse Flickenteppiche die Siedlungslandschaft. Sie erlauben, laut über Themen wie Biotopvernetzung, Stadtklima, Regenwassermanagement, Durchlüftung oder Hochwasserschutz nachzudenken – und ermöglichen, was auch andernorts geboten wäre: Stadt und Landschaft integral zu entwickeln. Das kann ein Lehrstück in resilienter Stadtentwicklung werden, das auch andernorts Schule macht.

Im Jahr 2019 stand Wädenswil an einem Scheideweg. Fast noch druckfrisch lag der kommunale Richtplan vor und war, wie sämtliche weiteren Planungsinstrumente, bereits nicht mehr aktuell, denn er bezog sich auf den Planungsstand vor der grossen Abstimmung am 21. Mai 2017. An jenem Tag stimmten die Stadt Wädenswil sowie die Gemeinden Schönenberg und Hütten dem Gemeindezusammenschluss zu, am 1. Januar 2019 wurde er vollzogen. Nun galt es, die drei bis dahin rechtskräftigen Bau- und Zonenordnungen (BZO) zu harmonisieren. Dabei ging es um mehr als nur das Aneinanderfügen der Planwerke. Die drei BZO waren geprägt von unterschiedlichen Haltungen und Zielsetzungen, Begrifflichkeiten und Regelungsgehalten. Es existierten allein ein Dutzend verschiedene Wohnzonen. Die grösste Frage aber war inhaltlicher Natur: Wie stellt Wädenswil sich eine zukunftsfähige Weiterentwicklung, vor allem im Zentrum, vor? Die Stadt ging in die Offensive und beschloss, ihre Nutzungsplanung mit der BZO als zentralem Baustein grundlegend zu überarbeiten. Parallel dazu lancierte sie im Jahr 2019 die Testplanung ‹Zentrum Ortsteil Au› (siehe Kasten), die einen direkten Einfluss auf die BZO haben sollte.

Testplanung ‹Zentrum, Ortsteil Au›
2019 lud die Abteilung Planen und Bauen der Stadt Wädenswil drei interdisziplinäre Teams ein, sich mit der Entwicklung des im Nordosten der Stadt gelegenen Ortsteils Au auseinanderzusetzen. Das zentrale Gebiet von Au entlang von Strasse und Bahn dient heute mehrheitlich der Industrie und dem Gewerbe. Ein funktionierendes Zentrum fehlt, und der Industriegürtel trennt das Naherholungsgebiet Halbinsel Au vom Siedlungsgebiet. Mit der Testplanung sollten Entwicklungsvorstellungen für das Gebiet und insbesondere für ein zukünftiges Zentrum gewonnen werden. Die Verantwortlichen wählten ein dialogisches Werkstattverfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit und der betroffenen Grundeigentümer. Die zentralen Erkenntnisse des Mitwirkungsprozesses setzen die planerischen Schwerpunkte für die Zukunft. Die Seestrasse mit beidseitiger Bebauung dient als lineares Element als Motor und Rückgrat der Transformation. Die Strasse ist in vier Entwicklungssektoren unterteilt: Im ‹Unterort› wird die bestehende Wohnnutzung weiterentwickelt und gestärkt, während der Bereich um den ‹Bahnhof Au› eine Zentrumsfunktion erhält. Der östlich anschliessende ‹Mittelort› dient als Mischgebiet dem Wohnen und Arbeiten. Als Innovation ging der Vorschlag ‹Landschaftsfenster› aus dem Verfahren hervor: eine grosszügige, nutzungsfreie und grüne Verbindung zwischen ‹Unterort› und ‹Bahnhof Au›.
Teilnehmende Teams:
– BHSF Architekten, Zürich; Klötzli Friedli Landschaftsarchitekten, Bern; WAM Planer, Solothurn
– Christian Salewski & Simon Kretz, Zürich; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich; IBV Hüsler, Zürich
– Pool Architekten, Zürich; Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt, Bern; Basler & Hofmann, Zürich

Testplanung ‹Zentrum, Ortsteil Au›, Entwicklungssektoren: 1 Unterort, 2 Landschaftsfenster, 3 Bahnhof Au, 4 Mittelort

Dass die gesamtrevidierte Nutzungsplanung heute vorliegt und für die Bevölkerung keine Blackbox darstellt, ist einem breit aufgegleisten Vorgehen zu verdanken. Neben Planern und Planerinnen aus zwei renommierten Büros – EBP aus Zürich übernahm die Leitung und Metron aus Brugg erarbeitete situative Vertiefungen und Studien – und lokalen Vertretern aus Politik und Planung waren mit der Firma Ampio Partizipation von Anfang an auch Expertinnen für Beteiligung und Kommunikation mit an Bord. Organisiert in einer Steuergruppe, plante das Kernteam einen bis in die höchsten Etagen des Stadthauses verankerten Entwicklungsprozess, der mehrere Jahre dauern sollte. In öffentlichen Veranstaltungen wie Begehungen, Workshops und Gesprächen lotete sie Grundlagen, Ziele, Massnahmen und Festsetzungen aus und entwickelte eine für Wädenswil massgeschneiderte Nutzungsplanung.

Um mit der Bevölkerung einen Dialog in Echtzeit und auf Augenhöhe führen zu können, schuf die Steuergruppe mit Stadtneuland.ch eine digitale Plattform. Diese war Briefkasten nach innen und Schaufenster nach aussen, informierte über den Prozess, dokumentierte und kommentierte ihn. Ab Frühjahr 2020 verlagerten Michael Emmenegger und Tobias Langenegger von Ampio Partizipation die bis dahin physisch durchgeführten Anlässe ins Virtuelle. «Dieser Schritt war wesentlich, um den Dialog weiterführen zu können», so Emmenegger. «Die Verantwortlichen blieben sicht- und ansprechbar, zusätzlich boten wir allen Interessierten technische Unterstützung an. Wahrscheinlich konnten so sogar noch mehr Leute an den Anlässen teilnehmen.» An zwei Abenden im April 2022 konnte die Stadt Wädenswil den insgesamt 300 Anwesenden die wichtigsten Punkte der neuen BZO präsentieren. Bis heute sind alle Präsentationen und Dokumentationen im Netz verfügbar, die digitale Plattform informiert über die weiteren Schritte bis zur Inkraftsetzung des Regelwerks.

 

Wädenswil wird dichter und urbaner – und im Kontrast dazu steht die Weite der umliegenden Landschaft.

 

Um die Bevölkerung während des grossen Erarbeitungszeitraums einzubinden und auf dem Laufenden zu halten, entwickelte das Kernteam das Format der Zwischenentscheide. Im Abstand von drei Monaten legte es dem Stadtrat zentrale Fragen vor, über die er abstimmen musste. Das Abstimmungsresultat war jeweils der Auftrag für die Weiterreise und die Grundlage für die Vorbereitung der nachfolgenden Themen. «So konnten wir zwei Vorteile nutzen: Zum einen verschlankte dieses Vorgehen den Prozess – aufgrund der Komplexität der Aufgabe gab es unzählige Fragen, die eine politische Haltung erforderten, bevor wir weiterarbeiten konnten. Zum anderen ermöglichte es unmittelbare Kommunikation. Wir fällten die richtungsweisenden Entscheide jeweils öffentlich auf der digitalen Plattform und kommunizierten die Meilensteine in einem Newsletter. So erreichten wir Interessierte während des gesamten Prozesses.»

 

Das Zentrum verdichten und beleben

Mit dem Endergebnis verfolgt die neue Bau- und Zonenordnungen vorrangig drei Ziele: qualitätsvolle Innenverdichtung mit Stärkung und Belebung des Zentrums, Ortsbildschutz mit Erhalt der historischen Gebiete sowie eine zukunftsfähige Klimaadaption. Darüber hinaus sollen die Eigenständigkeit und Charakteristika der drei Ortsteile Wädenswil, Hütten und Schönenberg erhalten und gestärkt werden. Die Grundhaltung der Revision ist bemerkenswert: «Wir haben erkannt, dass wir Stadt und Landschaft nur gemeinsam entwickeln können. So stärken sich diese gegenseitig, bieten Mehrwerte für die Bevölkerung und leisten den notwendigen Beitrag zur Klimaadaption», sagt Rita Newnam. Sie ist ausgebildete Landschaftsarchitektin und seit 2015 Leiterin Planen und Bauen der Stadt Wädenswil. «Freiraumqualität, Stadtklima und Biodiversität sind ausserdem wichtige Themen, die wir als Auftrag aus den partizipativen Veranstaltungen mitgenommen haben.»

Zur Stärkung des Zentrums sieht die BZO mit Aufzonungen um ein Geschoss und einer Beschränkung von Verkaufsflächen ausserhalb des Zentrums einen effizienten Massnahmenmix sowie Anreize zur Innenverdichtung und Erneuerung vor. Ein Ergänzungsplan definiert in den neu geschaffenen sogenannten Mischzonen Perimeter mit publikumsorientierten Erdgeschossnutzungen. In diesen Bereichen ist für Neubauten und wesentliche Änderungen zudem einen Anteil an Nichtwohnen vorgeschrieben. Diese Festsetzung betrifft etwa das Zentrumsgebiet Au oder das Zentrumsgebiet Wädenswil sowie Seestrasse.

 

Unweit des Bahnhofs Wädenswil planen Coop und Zürcher Kantonalbank eine Wohn- und Geschäftsüberbauung. Sie soll der Zentrumsentwicklung einen Impuls geben.

Die Hänge über dem dichten Stadtzentrum sind von Landwirtschaft geprägt. Die künftige BZO soll Landschaft und Aussicht besser schützen.

 

In den Wohngebieten steht die Verbesserung von ortsbaulichen und sozialräumlichen Situationen im Vordergrund. Dazu sieht die BZO, analog zu den Regelungen Zürichs, den Wegfall des ‹Zürcher Untergeschosses› vor und ersetzt es durch ein reguläres Vollgeschoss für Wohnnutzungen. Auch verankert die BZO in ausgewählten Gebieten einen Mindestanteil von 20 Prozent an preisgünstigem Wohnraum – eine Regelung des Planungs- und Baugesetzes (PBG), die Wädenswil als eine der ersten Gemeinden im Kanton übernimmt. Auch die Aufhebung der Unterscheidung zwischen grossem und kleinem Grenzabstand sowie die Einführung des Mehrlängenzuschlags sind Massnahmen zur Steuerung der qualitativen Innenentwicklung. Die Rolle der Stadt im Erneuerungsprozess ist aktiv, und die BZO unterstützt den Weg in die Zukunft, die im Zentrum bereits begonnen hat: Ende 2022 informierte die SBB über den Gewinner des Projektwettbewerbs ‹Ausbau Bahnhof Wädenswil› siehe Seite 20. Auch unweit des Bahnhofs geht es voran: Der ‹Öffentliche Gestaltungsplan Gerbeplatz› lag 2022 öffentlich auf, im Sommer 2023 wird ihn der Gemeinderat voraussichtlich verabschieden.Wo heute Autos das Bild prägen, wird ein verkehrsfreier, grüner und klimafreundlicher Platz als «Eingangstor ins Zentrum» entstehen. Bäume laden zum Verweilen ein, Gastronomie und Geschäfte sorgen für Leben. Auch die Chilbi und Märkte sollen auf dem Platz stattfinden. Das Verkehrskonzept sichert die oberirdischen Flächen für die Menschen, die Autos entschwinden in den Untergrund.

 

Die Landschaft schützen und vernetzen

Besondere Aufmerksamkeit verdient der wegweisende Umgang der revidierten Nutzungsplanung mit der Landschaft und den Naturwerten. Die Nutzungsplanung kombiniert geschickt allgemeine Regelungen wie die grundsätzliche Pflicht zur Begrünung von Flachdächern oder den Ausschluss invasiver, gebietsfremder Arten mit spezifischen Erfordernissen. So wurden beispielsweise für die ortsbaulich und landschaftlich sensiblen Lagen an den Siedlungsrändern Bestimmungen zu deren sorgfältiger Gestaltung aufgenommen.

Total sechs Massnahmen bilden das grüne Herz der neuen BZO. Die erste ist der Aussichtsschutz. Ein entsprechender Ergänzungsplan soll der wertvollen topografischen Situation Wädenswils Rechnung tragen. Er sichert sechs Aussichtspunkte im Siedlungsgebiet, die bereits heute in den kommunalen Richtplänen von Wädenswil und Schönenberg verzeichnet sind, indem er Aussichtsschutzbereiche mit Bauhöhenbeschränkungen definiert.

Die zweite Massnahme ist der Erhalt von wichtigen Frei-, Platz- und Strassenräumen. Der Kernzonenplan sichert neben den Gebäuden auch ortsbildprägende öffentliche Räume und sieht vor, sie nach Möglichkeit weiter aufzuwerten – etwa im Rahmen von Bauvorhaben, für deren Umgebung hier strenge gestalterische Anforderungen gelten. Die dritte Massnahme ist von weitreichender Bedeutung: Die BZO definiert eine Grünflächenziffer, die in fast allen Bauzonen gelten soll. Ihr Anteil am Grundstück beträgt je nach Zone 20 bis 60 Prozent. Ergänzend sind zonenabhängig 15 bis 25 Prozent der anrechenbaren Grundstücksfläche im Sinne des ökologischen Ausgleichs naturnah zu gestalten, wobei die naturnahen Flächen Teil der Grünflächen sein dürfen.

 

In den kommenden Jahren werden der Bahnhof Wädenswil ausgebaut und der angrenzende Stadtraum aufgewertet.

Dem Mewa-Areal an der Zugerstrasse steht der Umbau in eine Wohn- und Gewerbeüberbauung kurz bevor.

 

Viertens erklärt die neue BZO Kernzonen, Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen sowie Erholungs- und Freihaltezonen integral zu Baumschutzgebieten. In verschiedenen Zonen gilt zudem die Pflicht, pro 300 Quadratmeter anrechenbarer Grundstücksfläche mindestens einen Baum oder hochwachsenden Busch zu pflanzen.

Mit einer fünften Massnahme schränkt die BZO die Unterbauung etwa durch Tiefgaragen ein und fordert eine ausreichende Überdeckung mit natürlichem Erdmaterial.

Die sechste Massnahme sichert ein wichtiges lokales Spezifikum: Ein Kernanliegen der Testplanung Zentrum Au betrifft die freiräumliche Verbindung der offenen Landschaft mit dem Ortsteil Au. Um diese wertvolle Grünzäsur zu sichern, legt die neue BZO für das Gebiet des sogenannten Landschaftsfensters eine Gestaltungsplanpflicht fest. Das entspricht auch den Entwicklungszielen des kommunalen Richtplans, der hier den Vernetzungskorridor Schönbüel-Steinacher-Halbinsel Au beschreibt.

 

Der nächste Schritt: Ortsbauliche Leitbilder

Im Rahmen einer Gesamtrevision der Nutzungsplanung die passende Flughöhe, die treffende Formulierung und den massgeschneiderten Gestaltungsansatz zu finden, ist eine komplexe Aufgabe. Die Verantwortlichen in Wädenswil haben sie gemeistert. Der Entwurf für eine neue BZO zeichnet eine klare Vision von Wädenswil als attraktivem Bildungs- und Forschungs-, Arbeits- und Wohnorts und er zeugt von einer bemerkenswert aktiven Haltung, mit der die Stadt auch durch qualitative Vorgaben die gewünschte Entwicklung steuert. Dennoch können nicht alle Inhalte unmittelbar in eine BZO aufgenommen werden. Mit ortsbaulichen Leitbildern für ausgewählte Teile der Kernzonen will Wädenswil aber auch hier ein wichtiges Instrument schaffen, das Bauherrschaften und beurteilenden Instanzen als Hilfestellung dienen soll. Will die Stadt weiterhin alles richtig machen, wird sie auch diese Leitbilder gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln.

Noch ist es allerdings nicht so weit, und ob es überhaupt so weit kommt, ist noch nicht entschieden: Die politische Beratung über die BZO ist noch im Gange, mit einer Beschlussfassung rechnen die Verantwortlichen im Jahr 2025 – vorausgesetzt, die Bevölkerung steht hinter dem richtungsweisenden Entwurf.

Dieser Artikel ist Teil des Themenhefts ‹Die partizipative Stadt›, das in Zusammenarbeit mit der Stadt Wädenswil und weiteren Partnerinnen und Partnern entstanden ist.

Kommentare

Meier 12.04.2023 08:14
Was in diesem Artikel völlig untergeht, ist das die Bewilligungsbehörden an der Bevölkerung vorbeigeplant haben. Es gab über 400 Einsprachen und der Unmut über die neue BZO ist sehr gross. Da ist es nicht verwunderlich, dass über eine bezahlte Charme-Offensive, versucht wird gute Stimmung zu machen. Denn die neue BZO wird nicht nur von der "unwissenden Bevölkerung" sondern auch von Architekten, Fachplanern und der Immobilienwirtschaft abgelehnt. Es scheint, dieser Artikel ist der letzte Versuch das ungeliebte Kind, schöner zu verkaufen als es ist.
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