Wie beschreibst du die Dialogtage rückblickend in einem Satz?
In Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Stadt

Zuhören kommt vor Sprechen

Mit ein paar Wochen Abstand ziehen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Bilanz. Sie haben den ehrlichen Austausch geschätzt und halten die Tage für gelungen. Jetzt erwarten sie Ergebnisse, sichtbare, erkennbare.

Die Basler Dialogtage waren nicht nur bemerkenswert durchorganisiert, sondern auch von Gastfreundlichkeit erfüllt. Anregende Orte, luftige Hallen, stattliche Säle und nicht zu vergessen: das schmackhafte Essen und Trinken – der würdige Rahmen war bewusst gewählt. Er sorgte für Wohlbefinden und für die Wertschätzung gegenüber den Teilnehmerinnen. Bestimmt unterstützte er auch ihre Ausdauerbereitschaft. Schon am ersten Dialogtag verblieben die Teilnehmer während der 90-minütigen Workshops in ihren Gruppen und kaum jemand stand auf, um sich die Beine zu vertreten oder die Gruppe zu wechseln. Am dritten Dialogtag wirkte diese Gruppenkonzentration schon so eingeübt, dass die eineinhalb Stunden fast zu schnell vergingen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Leute noch bleiben und weiterreden würden.

Die folgenden Bilanzen entstanden mit ein paar Tagen oder Wochen Abstand zu den Dialogtagen. Man kann an ihnen etwas deutlich ablesen: Auch wenn die Veranstalterinnen den Dialog von der Mitwirkung weggerückt und kommuniziert hatten, dass die Dialogtage kein Partizipationsanlass seien, den Teilnehmern ist dieser Unterschied offenbar egal. Sie mögen den ehrlichen Austausch geschätzt haben und die Tage für gelungen halten, aber jetzt erwarten sie Ergebnisse, sichtbare, erkennbare.

Die Stimmen
– Annalotta Hipp, Jugendrat Lörrach
– Fynn Kähli, Jugendparlament Basel-Stadt
– Jonatan Mangold, Jugendparlament Basel-Stadt
– Luise Rau, Jugendrat Lörrach
– Timoteo Schmidt Gonzalez, Jugendrat Lörrach
– Henning Weiss, Junger Rat Basel-Stadt


 

 


«Der Ausgang scheint mir völlig offen»
Als Vertreter des Bundes Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA) brachten wir die Frage ein «Wo verhindert Baurecht Baukultur?», die vielen auf den Nägeln brennt. Der BSA und der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) setzen sich für ein fortschrittliches Baurecht ein, konkret für die sogenannte Sonderbaubewilligung E2037, um der heutigen Normendichte zu entkommen und dafür Klimaziele zu erfüllen. Als Fachleute und Praktiker nutzten wir das Angebot, die Idee in der Laborsituation der Dialogtage zu testen. Vertreter der kantonalen Fachstellen reagierten eher verhalten, weil eine E2037 eine rechtliche Grundlage bräuchte, die wohl nicht leicht herzustellen ist. Dafür nahmen politische Vertreterinnen die Idee interessiert auf und wollen sie weiterdiskutieren. BSA und SIA haben den Organisatorinnen ein Fazit abgeliefert: Wir fordern konkrete Schritte für eine E2037, mehr Gestaltungsspielraum sowohl für Planerinnen als auch auf Seiten der Verwaltung und eine Kommission, die Planungen und Projekte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ beurteilen kann – kurz: ein Baurecht, das Baukultur fördert statt verhindert.

Meine Lieblingsaussage im gesamten Dialog: «Normen sollen bei Umbauten nicht gelten – denn wenn wir nicht umbauen, gelten sie auch nicht.» Dieser Satz bringt die Sachlage auf den Punkt.

Wie es mit unseren Forderungen weitergeht, weiss ich nicht. Mir scheint die Gesamtanlage zu offen angelegt, als dass wir uns darauf verlassen könnten, dass sich bald Konkretes daraus ergibt. Ich stelle es mir ziemlich schwierig und aufwendig vor, all die Dialoge in einer Roadmap zu vereinen. Darum werden BSA und SIA die bereits bestehenden Runden Tische und Arbeitsgruppen zum Thema parallel weitertreiben. Kurz: Es ist zwar schön und zeitgemäss, wenn alle mitreden können, und die Dialogtage waren diesbezüglich ein interessantes Experiment – ihr Ausgang scheint mir aber völlig offen.

Simon Frommenwiler ist Architekt, Partner HHF Architekten und Vorstandsvorsitzender BSA Basel



 

 

«Am Mittag verliessen Jugendliche das Schiff – jammerschade»

Als Leiterin des Stadtteilsekretariats Kleinbasel hatte ich den Auftrag, Leute aus dem Quartier für die Dialogtage zu motivieren. Gekommen sind allerdings wenige. Das liegt sicherlich daran, dass bei uns im Moment schon ein paar andere Mitwirkungsprozesse laufen, zum Beispiel ‹Klybeckplus› oder jener zum Stadtteilrichtplan Klybeck-Kleinhüningen. Auch könnte es am Freitag als Veranstaltungstag gelegen haben. Dieser ist für die meisten Mitglieder unseres Trägervereins ein Arbeitstag, an dem sie in der Firma sein müssen. Ehrenamtlich drei Tage für die Dialogtage aufzubringen, das ist viel verlangt.

Die Dialogtage waren aus meiner Sicht ein guter Start für eine erneute Diskussion der Stadtentwicklung. Extrem gefreut hat mich die starke Beteiligung des Jungen Rats. Die Jungen soll man immer einladen!
Kritisieren würde ich die bildungsnahe Aufmachung der Kommunikation – viel Text, wenig Bild – und den teils komplizierten Fachdiskurs. Am zweiten Dialogtag, der auf dem Schiff stattfand, hielt ich es fast nicht mehr aus: Hier frontale Fachvorträge, dort ein Publikum voller Teenager. Himmel, dachte ich, sprecht doch so, dass wir euch verstehen! Am Mittag verliess die Schulklasse, die bisher zugehört hatte, das Schiff – jammerschade. Eine verpasste Chance für die Dialoge am Nachmittag!

Man muss auch sehen, dass Ideen wie ‹Räume teilen› oder ‹autoarme Stadt› Menschen mit Migrationshintergrund wenig locken. Für viele der Jungen ist das Auto ein Statussymbol, und manche Kulturvereine tun sich schwer, ihr Lokal zu teilen, weil sie nicht schon wieder hergeben wollen, was sie endlich erreicht haben. Da müsste schon die Politik die Regeln vorgeben für ein ökologisches Leben 2030 – und zwar für alle dieselben. Mit freiwilligem Verzicht kommen wir nicht weiter. Aber diese Meinung findet noch keine Mehrheit. Kurz: Wenn die Dialogtage gesamtgesellschaftlich wirken wollen, sehe ich das noch nicht eingelöst.

Theres Wernli ist Co-Leiterin Stadtteilsekretariat Kleinbasel
 

 

 

Dialog braucht Übung

Die ‹Dialogtage 2023› waren ein Freiluftexperiment mit ungewissem Ausgang. Das weckte Neugier (viele kamen), versprach Lernchancen (Wie kommen wir gemeinsam ins Handeln?) und erzeugte Resonanz (die Veranstaltungen berührten).

Die wohl grösste Unbekannte im Experiment war das Format selbst, der Dialog. Spätestens seit dem ‹Davos Qualitätssystem für Baukultur› wissen alle um die Bedeutung von umsichtigen Partizipationsprozessen für gute Projekte. ‹Basel 2050› verhandelt aber nicht einzelne Bauten, sondern die Stadt als Ganzes angesichts der grossen Fragen des Weiterbauens im und am Metropolitanraum und an der Stadt im Klimawandel. Das rief nach einem breiten und durchdachten Einbezug. Eingeladen war die «geschätzte Öffentlichkeit», gekommen sind, so schien es, nur wenige Fachfremde, dafür Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen des Planens und Bauens. Und die Jungen waren dabei: frech, pointiert, kompetent bereicherten Akteurinnen der Jugendparlamente und -räte die Debatten. Dies wohl nicht zuletzt, weil sich die jungen Menschen gezielt auf die Dialogtage vorbereitet hatten. Denn: Der Dialog ist als Format in der Fachcommunity noch wenig erprobt und kaum etabliert. Zwar gerät die Überzeugung ins Wanken, Projekte würden in erster Linie durch die Expertise herausragender Einzelpersonen vorangetrieben. Aber noch ist unklar, was an deren Stelle tritt. Die gute Nachricht: Auch der Dialog ist nicht profan. Er sei die Kunst, gemeinsam zu denken, gab die Zukunftsforscherin Senem Wicki den Teilnehmern mit auf den Weg. Dass Zuhören vor Sprechen kommt, Lernen vor Wissen, dass wir uns für einen gelingenden Dialog aufeinander «einstimmen» müssen und divergierende Ansätze nebeneinander in der Schwebe lassen dürfen, irritierte zunächst. Und zeigte doch Wirkung in der Erfahrung: Im Dialog lösen wir Probleme nicht, aber wir machen sie ein Stück weit zugänglicher, handhabbarer, ja leichter, wenn wir gemeinsame Perspektiven entwickeln und nicht das bereits Bekannte reproduzieren.

Das Freiluftexperiment mag nur einen Keim gepflanzt haben. Aber die jungen Teilnehmerinnen zeigten: Der Dialog ist glücklicherweise eine erlernbare Kunst. Wir müssen sie nur noch üben. Das Experiment kann wiederholt werden!

Christina Schumacher ist Professorin für Architektur- und Planungssoziologie am Institut Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW; das Institut ist Partner der Dialogtage. Am dritten Dialogtag lud Christina Schumacher zusammen mit Janine Kern zum Dialog 36 mit dem Titel «Wie geht Kooperation im Bauen?»


 

 


«Charakter einer Bubble-Veranstaltung»

Raumplanung war schon immer politisch und auch das Bauen im städtischen Raum ist keine Privatsache der Bauherrschaft mehr. Wer vorwärtskommen will, hat vielseitige öffentliche Interessen zu berücksichtigen, und das geht heute nur noch durch Kommunikation. Am Ende, da bin ich überzeugt, spart diese Mitwirkung Zeit, verkleinert das Risiko zu scheitern – und sie verbessert die Projektqualität. Deshalb habe ich die Dialogtage sehr begrüsst.

Allerdings war mir während der Anlässe nicht immer klar, was meine Aufgabe war und was ich aus den Debatten und Resultaten herausziehen könnte. Vielleicht hätten wir eine Delegation des Grossen Rats bilden sollen, um die politische Arbeit stärker zu beteiligen. Mir fiel auch auf, dass fast alle Anwesenden mit den Themen vertraut waren, was dem Ganzen den Charakter einer Bubble-Veranstaltung verlieh. Ausserdem sind einige der Ziele wie das ökologische Bauen oder die sozialen Wohnbauziele unbestritten. Da frage ich mich, wie wohl Dialoge zu Bevölkerungswachstum und Migrationsanteil verlaufen wären?

Unbestritten ist auch, dass Bauen in Basel aufgrund der Normendichte und des Baubewilligungsstaus viel zu umständlich geworden ist. Das wurde an den Dialogtagen mehrfach thematisiert – auch von der Verwaltung selbst, was ich geschätzt habe. Da ist es nun zwingend, zu handeln. Ich möchte wissen, welche Aufträge aus den Konklusionen der Dialogtage abgeleitet und wo sie angesiedelt werden. Ideen wie die angesprochene Umbauordnung oder die Experimentelle Baubewilligung könnten wir in der Bau- und Raumplanungskommission behandeln.

Michael Hug ist Jurist, Grossrat LDP und Präsident der Bau- und Raumplanungskommission

 

 


 

 

Anmerkungen zu einem Sonderfall

Das Format ‹Dialogtage 2023› entzieht sich gängigen Schubladisierungen. Es ist trotz der Beteiligung als charakteristisches Merkmal kein Partizipationsprozess. Und es ist auch kein Visionsprozess, obwohl es in die Zukunft blickt. Was ist es dann?

Einen wesentlichen Anstoss bildete die Einsicht, dass es die wartenden Herausforderungen verlangen, den künftigen Städtebau der Stadt Basel jenseits des üblichen Zukunftsgeschäfts zu verhandeln. In der Begleitgruppe Städtebau ‹Basel 2050› ereignete sich schrittweise im kleinen Kreis von Verwaltungsspitzen eine Selbstvergewisserung, was Städtebau bedeuten kann angesichts enormer aktueller Dynamiken in der baulichen Entwicklung Basels und angesichts von Gamechangern wie Netto-Null, Wohnungsnot und Mobilitätswende.

Von diesen Debatten zeugt die ‹Position 2022›, nachdem erste Thesen 2020 im Schweizerischen Architekturmuseum S AM zur Diskussion gestellt worden waren. Der Dreischritt von Thesen, öffentlichen Debatten und Nachbearbeitung verkörpert den Kern der Dialogtage. Dabei ist es ein vielleicht etwas überraschender Aspekt, der das Gesamtsetting zum Ausnahmefall macht und das Moment einer Kreativität und Stetigkeit der Auseinandersetzung schafft, um Stadtentwicklung neu aufsetzen zu können: Die Dialogtage begleitet nämlich gewissermassen eine verwaltungsinterne Weiterbildung ‹on the job› über den im beruflichen Alltag so vertrauten, aber in fachliche Zuständigkeiten gezwängten Gegenstand Basel. Da mögen Fragen zwar als fundamental anerkannt sein, sie finden im Alltagsgeschäft aber nie Platz und werden darum auf die lange Bank geschoben. Die Antwort der Dialogtage mag banal wirken, aber sie ist effektiv: Die Kollaboration über Amtsgrenzen hinweg braucht Freiräume, die schlicht durch für alle gebuchte Zeitfenster verbindlich werden.

Die ‹Position 2024› wird über die weiterführenden Debatten in der Begleitgruppe Städtebau ‹Basel 2050› Zeugnis ablegen, verbunden mit einer erneuerten Einladung zum Dialog. In diesem Hin und Her kann Mögliches und Notwendiges zukunftsfähig verhandelt werden.

Angelus Eisinger, Städtebau- und Planungshistoriker, ist Direktor des Planungsdachverbands Region Zürich und Umgebung (RZU). Seit 2018 ist er Mitglied der Begleitgruppe Städtebau ‹Basel 2050› des Bau- und Verkehrsdepartements Kanton Basel-Stadt

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