«Es wäre schön, Mitwirkungen in der Badi zu veranstalten»

Welchen Stellenwert hat die Mitwirkung hierzulande? Und wo lassen sich die ‹Basler Dialogtage› einordnen? Der Partizipationspraktiker Michael Emmenegger im Interview.

Fotos: Derek Li Wan Po
In Zusammenarbeit mit Kanton Basel-Stadt

Welchen Stellenwert hat die Mitwirkung hierzulande? Und wo lassen sich die ‹Basler Dialogtage› einordnen? Der Partizipationspraktiker Michael Emmenegger im Interview.

Michael Emmenegger, als junger Stadtgeograf arbeiteten Sie in den 1990er-Jahren an der ‹Werkstadt Basel›, einem gross angelegten Stadtentwicklungs- und Partizipationsprojekt. Hat Mitwirkung in Basel einen besonderen Stellenwert?

Michael Emmenegger: Basel ist die einzige Schweizer Stadt mit einer Partizipationstradition. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre steckte die Schweiz in einer Wirtschaftskrise, für Investitionen in die Quartier- und Stadtentwicklung fehlte das Geld. Vor diesem Hintergrund war das Projekt ‹Werkstadt Basel› eine Flucht nach vorne, eine kreative Intervention, die auf dem damals hoch im Kurs stehenden Handlungsprogramm ‹Lokale Agenda 21› und seinen Prinzipien in Sachen Nachhaltigkeit und gemeinsame Entwicklung basierte. Soweit ich weiss, war es das erste Mal überhaupt, dass die ganze Stadtbevölkerung – Quartiere, Vereine, alle Interessierten – in einen Stadtentwicklungsprozess eingebunden war. So etwas habe ich davor oder danach in der Schweiz kein zweites Mal miterlebt.

Was ist von der ‹Werkstadt Basel› geblieben?

Spuren davon sind heute noch vielerorts sicht- und erlebbar. Der Badestrand Wettstein-Quartier in Kleinbasel etwa entsprang direkt dem Projekt. Auch führte es zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Quartiervereinen und weiteren Organisationen im Quartier. Später entstanden daraus die Stadtteilsekretariate als Intermediär zwischen Staat und Institutionen. Bis heute gleichen diese im Auftrag des Kantons die Bedürfnisse von Vereinen, Organisationen und Bevölkerung mit den Ansprüchen der Verwaltung ab. Sie spüren den Puls – eine fundamental wichtige Aufgabe in der Stadtenwicklung – und sie entwickeln mit den Partnerorganisationen Massnahmen. Solche Netzwerke von Akteurinnen mit Partizipationserfahrung sind in Basel also lange gewachsen, und sie stehen dem Kanton bis heute zur Verfügung, um zum Beispiel zu den Dialogtagen einzuladen.

Nahm man in Basel die Mitwirkung immer ernst?

Es gab in den 2000er-Jahren Planungen von ehemaligen Industriearealen, die ohne grossen Einbezug von Interessengruppen vonstatten gingen, obwohl klar war, dass dies so nicht genügte. Folglich kam Frustration auf. Auch bei «Rheinhattan» – so taufte der Volksmund die ersten Darstellungen zur Bebauung des Kleinhüninger Hafenareals mit Hochhäusern – war das Vorgehen klassisch: Man lud bekannte Architekturbüros ein, die zwar Bilder lieferten, die schön aussahen, die aber niemand bestellt hatte. Schlagartig wurde klar, dass eine derartige Bebauung mit den Lebensrealitäten im Kleinbasel nichts zu tun hätte.

Auch der Partizipations-Paragraf der Kantonsverfassung ist ein Erbe der ‹Werkstadt Basel›. Von ihm abgeleitet, trat 2023 das Partizipationsgesetz in Kraft. Ist auch dieses Gesetz eine Basler Spezialität?

Meines Wissens ja. Ist die Bevölkerung von einem Vorhaben besonders betroffen, kann sie den Paragrafen 55 zum Beispiel via die Stadtteilsekretariate aktivieren und eine Mitwirkung einfordern. In der Regel führt dies allerdings eher zu Anhörungen und nicht zu Partizipation im Sinne einer gemeinsamen Gestaltung. Im Frühling 2024 wird zudem der künftige Partizipationsleitfaden vorgestellt, und es soll möglich sein, Anregungen einzubringen. Etliche Städte kennen solche Partizipationsleitfäden – Lausanne hat neulich den meiner Meinung nach aktuell besten veröffentlicht.

In den vergangenen Jahren hatten Sie den Auftrag, die Beteiligung am städtebaulichen Leitbild ‹Klybeckplus› zu konzipieren und umzusetzen. Zu den Grundeigentümerinnen des Gebiets zählen die Firmen Swiss Life und Rhystadt. Partizipation mit grossen privatwirtschaftlichen Akteuren – kann das gut gehen?

Die Beteiligung dieser grossen Immobilienfirmen hat die Mitwirkung, wie sie Basel gewohnt ist, in engere Bahnen gelenkt. Erfahrungsgemäss wirken organisierte Grundeigentümer in Aktiengesellschaften oft hemmend auf die Partizipation, weil nicht alle Entscheidungsträger im Prozess präsent sind. In einer Immobilien-AG ist der Verwaltungsrat für strategische Entscheide zuständig und denkt weniger städtebaulich als primär ökonomisch. Darum fehlt immer wieder die Garantie, dass die partizipativ erarbeiteten Resultate in die Entscheide des übergeordneten Gremiums einfliessen. Deshalb konnte der ‹Klybeckplus›-Prozess die bedeutenden ökonomischen Verwertungsmechanismen kaum tangieren, was die Mitwirkung nun mal einschränkte. Aber im Verfahren gelang es, viel gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Die von Architekturbüros erarbeiteten städtebaulichen Grundlagen wurden geschärft und über die Jahre mit den Ansprüchen der beteiligten Basler Bevölkerung ergänzt.

Eine Stadt für alle ist auch eine Stadt für Tiere. Regierungsrätin Tanja Soland und ihre Hündin führen dies mit einer berührenden Intervention vor.

Partizipation bedingt einen Ausgleich der Machtverhältnisse.

Scheitert Partizipation, wenn die Rahmenbedingungen sie beschneiden?

Ja. Partizipation ist mehr, als nur die vorgegebenen Sachverhalte zu diskutieren. Partizipation heisst, einen Sachverhalt weiterzuentwickeln und Neues zu schaffen – gemeinsam. Das bedingt allerdings die Bereitschaft zu einem Ausgleich der Machtverhältnisse.

Was meinen Sie damit?

Jene, die im Vorteil sind – etwa aufgrund ihrer ökonomischen Überlegenheit oder aufgrund ihrer Verhandlungspositionen, beispielsweise als Stadtpräsidentin oder Regierungsrat –, müssen einen Teil ihrer Macht abgeben. Und jene, die dadurch Macht erhalten, müssen sorgsam mit den gewonnenen Möglichkeiten umgehen. Im Idealfall endet der Prozess mit einem gemeinsam erarbeiteten neuen Produkt. Gelungene Partizipation wirkt – in Form eines Konsenses oder einer Neusituierung der unterschiedlichen Aspekte im Lenkungsgefüge von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wo diese Wirkung manifest wird, hängt von der Ausgangslage ab. Es geht darum, die Verhandlungssituation gemeinsam und konsensorientiert auszutarieren.

Gemäss den Veranstaltenden sollten die ‹Basler Dialogtage› explizit keine Partizipation oder Mitwirkung im Sinn von Paragraf 55 sein. Sie waren «als offene Einladung gedacht, als Plattform und Impulsgeber zum Thema Baukultur». Diese Unterscheidung ist natürlich wichtig. Aber verstehen sie auch alle?

Ich denke schon. Das Programm war da eindeutig. Das einladende Thema – reden über die Zukunft der Stadt – bewegte die Leute zum Kommen. Egal, ob Dialog oder Partizipation – entscheidend ist, dass sich mit allen Formaten von Information über Dialog bis Mitwirkung mithilfe der geeigneten Methodik Sachverhalte im Kollektiv gestalten lassen. Der Dialog unterscheidet sich dann von der Partizipation, wenn er die Eingeladenen nicht als Teil einer Produktentwicklung sieht, sondern lediglich als Teil eines Gesprächs. Die Dialogverantwortlichen schaffen dann erst hinterher ein neues Produkt – etwa ein städtisches Leitbild ‹Basel 2050›. Diese Einseitigkeit spricht gegen das Attribut Partizipation. Doch das soll den Wert von offenen Dialogen unter Einbezug vieler nicht schmälern.

Wann soll man welches Format anwenden?

Das ist abhängig vom Arbeitsschritt, den Rahmenbedingungen, Ressourcen und Zielen. Man darf die Kommunikations- und Mitwirkungsgefässe nicht gegeneinander ausspielen. Es wäre auch falsch zu behaupten, Information sei schlechter als Dialog oder Dialog sei schlechter als Partizipation – solche Kategorisierungen sind Unsinn.

An den Dialogtagen konnte man beobachten, wie die Teilnehmenden Nähe zueinander aufbauten. Es war, als hätten sie alle einen grossen Teppich betreten, den Teppich des gemeinsamen Gesprächs, und als könnten sie diesen Teppich nicht mehr ohne weiteres verlassen.

Ja, das ist das Schöne, wenn viele Leute zu einer gemeinsamen Frage zusammenkommen: Es entstehen sofort Beziehungen. Und Partizipation bedingt Beziehungen. Diese bedingen Vertrauen und Vertrauen bedingt Nähe. Das Aufbauen dieser Nähe ist ein kontinuierlicher Prozess. Partizipation gibt es daher nicht auf Knopfdruck. So, wie man auch Beziehungen zu bestimmten Zielgruppen nicht auf Knopfdruck herstellen kann. Mit anderen Worten: Partizipation braucht Zeit. Zeit, die in Planungsvorhaben jedoch zu oft nicht zur Verfügung steht.

Zeit für Dialoge kann man nicht leihen, man muss sie sich nehmen.

Eine geheime Absicht wäre störend – die ist in der Partizipation nämlich verboten.

Ein weiterer Eindruck von den ‹Dialogtagen 2023›: Es schien, als ob die Veranstaltenden die Antworten auf viele der Fragestellungen schon kannten. Gerät der Dialog damit zur Rückbestätigung dessen, was die Verwaltung ohnehin schon weiss?

Natürlich kennen die kantonalen Fachstellen viele der Antworten auf Fragen der Ökologie, Mobilität oder Freiraumgestaltung. Und ja, vielleicht bestätigt sie der Dialog darin. Aber es darf natürlich nicht sein, dass die Öffentlichkeit diese Bestätigung jedes Jahr von Neuem liefern muss. Deshalb ist es besser, mit Fragen in die Partizipation zu steigen, auf die eine Fachstelle die Antwort noch nicht kennt. Die Dialogpartnerinnen bleiben so auf Augenhöhe und man muss weniger zwischen Fachpersonen und Laien unterscheiden.

Eine Absicht der Dialogtage war vielleicht auch, die Verwaltungsangestellten diesem Dialog auszusetzen.

Wäre das nicht auch so kommuniziert worden? Eine geheime Absicht wäre störend – die ist in der Partizipation nämlich verboten. Partizipation bedingt auf allen Ebenen und von allen Partnerinnen Transparenz. Auch der Zweck der Partizipation oder des Dialogs ist von Anfang an offenzulegen. Wenn der Kanton also seine Mitarbeitenden zu einem besseren Dialog mit der Bevölkerung befähigen möchte, muss dies zu Beginn klar sein. Übrigens können die Dialogteilnehmenden ein solches Ziel gerne aufnehmen und so dazu beitragen, dass die Befähigung gelingt.

Soll auch bekannt sein, welches Produkt mit der Partizipation angestrebt wird?

Ja. Und es muss klar sein, wie die Partizipationsleistung in dieses Produkt einfliessen soll. Aussagen wie «wir schauen dann, was wir daraus machen» sind unbefriedigend.

Die Verantwortlichen gingen mit einer klaren Grundlage in die Dialogtage, der ‹Position 2022›.

Gut – aber das Ziel müsste eine ‹Position 2050› sein, und eine solche haben sie als Idee, Vorschlag oder Entwurf nicht eingebracht. Nachdem ich die Aufzeichnung der Schlussveranstaltung vom 18. November gesehen hatte, hätte ich die Regierungsrätin Esther Keller, den Stadtentwickler Lukas Ott, Barbara Rentsch, die Geschäftsleiterin von Immobilien Basel-Stadt, und den Kantonsbaumeister Beat Aeberhard deshalb gerne gefragt: Wie sieht denn nun euer Zukunftsbild 2050 aus? Wie steht es um eure gemeinsame Vorstellung von Basel? Denn wer fragt, muss auch bereit sein, gefragt zu werden.

An diesem Schlussanlass sassen die genannten Hauptverantwortlichen separat auf einer Seite der Bestuhlung, so, als bildeten die übrigen Teilnehmenden ihr Publikum. Allein diese Sitzordnung schien die Machtstrukturen zum Abschluss erneut zu verdeutlichen.

Es ist naiv zu glauben, wir könnten uns im Rahmen eines Dialog- oder Partizipationsverfahrens aus diesen Machtverhältnissen hinausbewegen. Das System gibt die Handlungsmöglichkeiten vor, Punkt. Gute Prozesse erfordern nicht nur gutes Organisieren, sondern auch ein Bewusstsein dafür, dass Aushandlungen in diesen Machtgefügen stattfinden und alle Teil davon sind. Natürlich hat die Stadträtin mehr Macht als die normale Bürgerin. Die Bürgerin möchte sogar, dass die Stadträtin ihre Macht nutzt – im Sinn des gemeinsam erarbeiteten Ziels. Wir können nur als Gemeinwesen für das Gemeinwesen Aussagen treffen. Das begreifen viele nicht. Als Partizipationsarbeiter stelle ich die Machtverhältnisse nicht infrage. Aber ich frage, ob und wie die herrschenden Verhältnisse zu einem Ausgleich innerhalb des Gemeinwesens genutzt werden können. Ich beobachte, dass sich Menschen in Machtpositionen oft gefangen fühlen. Manchmal denke ich, es wäre schön, Mitwirkungen in der Badi zu veranstalten: Alle wären in Badehosen und auf eine gewisse Art verletzlich, sodass sie sorgsam miteinander umgehen müssten.

Normalerweise umfasst das Verwaltungsvokabular Begriffe wie Verantwortung, Kundschaft, Dienst- leistungen. Warum sprechen Sie dezidiert von Macht?

Weil es in der Stadtentwicklung immer um Interessen und Verwertungsmöglichkeiten geht, um Positionen und Ökonomie – und weil wir uns nicht weismachen lassen sollten, wir seien alle unseres Glückes Schmied oder Schmiedin. Denn das sind wir nicht. Glück produzieren wir gemeinsam – oder eben gar nicht. Es lohnt sich, wieder mal Foucault, Bourdieu oder Arendt zu lesen. Machtverhältnisse sind in unserer Demokratie über gewählte und kapitalistisch strukturierte Situationen durch und durch präsent.

Werfen wir einen Blick auf das übergeordnete Ganze: Wo ordnen Sie die Basler Dialogtage 2023 in der Schweizer Partizipationslandschaft ein?

Eine Partizipationslandschaft in der Schweiz sehe ich keine. Es gibt Blumenwiesen, die aufblühen, und Flüsse, die manchmal Wasser führen. Aber wiederkehrende einzelne Momente machen noch keine Landschaft. Eine Stärkung wird aber sicher der 2021 gegründete schweizerische Dachverband Partizipation bewirken, übrigens über die Sprachgrenzen hinweg.

Sie fällen ein hartes Urteil.

Ja, aber immerhin blüht es immer häufiger. Spass beiseite: Oft fehlt schlicht das Verständnis für umfassende Partizipation. Ohne Akzeptanz der Partizipation als Kulturform und Handlungsform, die es erlaubt, komplexe Sachverhalte zu bearbeiten, wird sich das auch nicht ändern. Wahrscheinlich bräuchte es ein Forschungsprogramm des Nationalfonds oder einen Lehrstuhl, um der Sache das nötige Gewicht zu verleihen.
 

Mehr Partizipation für die Schweiz:
Der Schweizer Dachverband für Partizipation will «schweizweit eine Kultur und Ethik der Partizipation und ihrer Anwendungsweisen entwickeln und fördern». Zu den Mitgliedern gehören Organisationen und Firmen, aber auch Einzelpersonen. Den Vorstand bilden sieben erfahrene Partizipationspraktikerinnen und -praktiker. Als gemeinsame Grundlage des 2021 gegründeten Verbands gelten die fünf Werte Handlungsmacht, Inklusion, Dialog, Transparenz und Schwarmintelligenz. Der Verband bietet Weiterbildungen, Erfahrungsaustausch und Ateliertage, zum Beispiel am 17. Juni in Biel zum Thema «Ein goldener Leitfaden». www.participare.org


Sie würden also nicht sagen, dass Partizipation inzwischen Fuss gefasst hat und in der Planungs- und Baubranche als Wert anerkannt und gesichert ist?

Nein. Partizipation ist immer noch momenthaft. Sie hängt von der Situation ab, vor allem von der Ökonomie.

Gibt es wenigstens in der Westschweiz eine Partizipationslandschaft?

Gemäss meiner Erfahrung ist sie dort ähnlich wie in der Deutschschweiz. In der Romandie hat das Prinzip der «intelligence collective», also der Schwarmintelligenz, einen höheren Stellenwert, das Motto heisst: Gemeinsam sind wir besser und stärker. Es gibt aber in der Westschweiz nicht mehr oder bessere Partizipation. Sie scheint mir lediglich unkomplizierter und basisdemokratischer. In der Deutschschweiz geht es formalisierter zu und her, die Verfahren müssen immer leuchten und prima aussehen. Aber vielleicht ist das ein Klischee.

Wenn harte Positionen nicht in die Konsensarbeit eingebracht werden können, bleibt nur die Ausmarchung über die Mehrheit, sprich über eine Abstimmung. Am Ende steht dann nicht die gute Planung, sondern ein geklärtes Mehrheitsverhältnis.

Zurück nach Basel. Dort gibt es auch Gruppen, die sich sozusagen ungefragt Gehör verschaffen. Warum waren diese Gruppen an den Dialogtagen kaum spürbar?

Personen, Gruppen oder Vereine, die sich aus Überzeugung engagieren, gibt es vielerorts. Doch oft werden sie in Partizipationsprozessen oder bei Projektentwicklungen nicht angehört, weil sie weniger anerkannt sind als etwa Umwelt-, Gewerbe- oder Behindertenverbände. Sie scheinen nicht legitimiert oder gar störend. Solche Gruppen wie ‹Basel baut Zukunft› oder ‹Zukunft Klybeck›, in Zürich der Verein ‹Noigass› oder die ‹IG Zentrum Hardbrücke› stellen klare Forderungen, weil sie mit Planungsverläufen nicht zufrieden sind. Es lohnt sich, sie nicht als Gefahr zu sehen, sondern als Wissens- und Interessensträgerinnen einzubinden. Fühlen sie sich nicht verstanden, entstehen Reibungen, und diese Gruppen beginnen Druck zu machen, zum Beispiel mit Volksinitiativen. Wenn harte Positionen nicht in die Konsensarbeit eingebracht werden können, bleibt nur die Ausmarchung über die Mehrheit, sprich über eine Abstimmung. Mit anderen Worten: Am Ende steht dann nicht die gute Planung, sondern ein geklärtes Mehrheitsverhältnis.

Heisst das indirekt, dass eine gute Arealentwicklung immer auf Kompromiss und Konsens beruht?

Selbstverständlich muss niemand so vorgehen. Aber ich bin überzeugt, dass die Aushandlung zum besten Resultat für alle führt. Jedenfalls eine Aushandlung, die sich nicht an Positionen oder Beweislieferung orientiert, sondern an Interessen, am Ausgleich und am Teilen. Beharren dagegen alle auf ihrer Position, weil sie meinen, so ihr Gesicht wahren zu müssen, stirbt am Ende das Projekt. So geschah es beim Zürcher Neugasse-Areal, und bei den erwähnten Basler Projekten stellt sich das Problem ähnlich. Es gibt starke politische Kräfte auf beiden Seiten. Wenn sich diese nicht an den Aushandlungstisch setzen, weil sie befürchten, dabei zu verlieren, geht es um ein Kräftemessen. Dass dabei jene, die vermeintlich politisch oder wirtschaftlich stärker sind – in der Stadtentwicklung ist das in der Regel die Immobilienwirtschaft –, sagen: Bis hierhin und nicht weiter, liegt in der Natur der Sache, aber dient ihr immer seltener.

Konsens bedeutet, die bestmögliche, die radikalste Lösung zu finden. Eine Lösung, die alle schmerzt und die alle mittragen.

Welches weitere Vorgehen empfehlen Sie für Basel?

Ein Problem der Dialogtage war ja, dass die Gruppe der Teilnehmenden eher homogen war. Da der thematische Spielraum gross war und die Fragen nicht direkt den Alltag der Bevölkerung betrafen, kamen Leute, die mit dieser Ausgangslage bereits etwas anzufangen wussten. Darum halte ich es für heikel, aus den bisher noch strategischen Folgerungen direkt Programme abzuleiten und zu denken, das sei ein Vorgehen im Sinne der Mehrheit. Interessant wäre nun, diese strategischen Folgerungen beispielsweise in einer repräsentativen Umfrage erneut zu spiegeln.

Ist es nicht legitim, dass die Basler Verantwortlichen die Folgerungen selbst weiterbearbeiten?

Doch – aber dann frage ich mich: Hat es dann die Dialogtage gebraucht? Ich begrüsse es, wenn Verwaltungen häufiger intern diskutieren und eigene Antworten liefern würden. Das wäre im Übrigen auch günstiger. Es ist wichtig, dass Verwaltungsvertreter einen Standpunkt als Fachpersonen einnehmen, die sie ja alle sind, und vermehrt Projekte selber entwerfen.

Warum trauen sich Verwaltungen oft nicht, Position zu beziehen?

Weil Verwaltungen und Politikerinnen von verschiedenen Seiten sofort und hart kritisiert werden. Das kann sehr unangenehm sein.

Wenn eine Verwaltung für ein Areal ein Projekt entwirft, folgt doch sofort der Aufschrei: «Was fällt euch ein! Warum macht ihr keine Partizipation?»

Wunderbar! Dann kann die Verwaltung erwidern, dass sie es sich gut überlegt hat und es genauso will. Wenn sie hingegen vor Fragen steht, die sie selber nicht beantworten kann, Fragen, die viele betreffen, kann sie eine Mitwirkung durchführen. Natürlich soll man ein Projekt durch externe Meinungen verbessern – doch seine Eigenheiten abschleifen sollte man nicht. Partizipation ist nicht Mehrheitsbeschaffung. Wenn Konsens bedeuten soll, dass man sich nichts mehr zu sagen hat und alle in einem trägen Pudding herumwabern, dann wäre das falsch. Konsens bedeutet, die bestmögliche, die radikalste Lösung zu finden. Eine Lösung, die alle schmerzt und die alle mittragen.

 

 

Michael Emmenegger
Aus den Gefilden der Geografie, Soziologie und Geschichte kommend, befasst sich Michael Emmenegger seit 30 Jahren mit der Quartier- und Stadtentwicklung. Seit 2021 ist er Partner und Geschäftsführer bei Ampio Partizipation. Das Unternehmen mit Büros in Zürich und Basel unterstützt Städte und Gemeinden bei Fragen der Raumentwicklung und konzipiert und moderiert Partizipationsverfahren. Emmenegger ist ausserdem Dozent für Partizipation in der Planung und den dazugehörigen Methoden und Techniken.

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