Das Ringen geht weiter

Basel gilt als solare Vorbildstadt. Der politische Wille ist stark, das Energiegesetz streng. Die preisgekrönte Solararchitektur hat damit noch überraschend wenig zu tun.

Fotos: Mark Niedermann
In Zusammenarbeit mit EnergieSchweiz

Basel gilt als solare Vorbildstadt. Der politische Wille ist stark, das Energiegesetz streng. Die preisgekrönte Solararchitektur hat damit noch überraschend wenig zu tun.

«Basel, eine Solarstadt? Das überrascht mich jetzt etwas», sagt Dominique Salathé mit hörbarem Zögern. Der Architekt und Professor für Architektur an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) plante neulich im Rahmen der Sanierung eines Mehrfamilienhauses an der Oberwilerstrasse seine erste Solarfassade. «Der eigenen Stadt gegenüber ist man aber oft kritisch», räumt er ein. «Es stimmt schon, in Basel stehen inzwischen einige anspruchsvolle Solargebäude.» Vor allem die aufwendige Fassade am Neubau des kantonalen Amts für Umwelt und Energie, von Jessenvollenweider über Jahre hartnäckig entwickelt, hat Begeisterung für die Vermählung von Architektur und Photovoltaik entfacht. Der Pionierbau, in Auftrag gegeben von der öffentlichen Hand, hat eine Reihe von Preisen gewonnen, zuletzt den internationalen ‹Architekturpreis Gebäudeintegrierte Solartechnik 2022›. Auf dem zweiten Platz landete die Photovoltaik-Fassade des sanierten Coop-Hochhauses, und obendrein erhielt der Novartis Pavillon eine Anerkennung.

Das von Salathé Architekten sanierte Wohnhaus an der Oberwilerstrasse. Foto: Dlovan Shaheri

Der Neubau des Amts für Umwelt und Energie (AUE) mit seiner schmucken Solarfassade steht mitten in Basel. Foto: Daisuke Hirabayashi

2011 war die Stadtbildkommission (SBK) entmachtet worden, nachdem sie am eleganten Lonza-Hochhaus Photovoltaik-Module untersagt hatte. Der politische Druck im ökologiebewussten Basel war so gross geworden, dass der damalige Baudirektor Hans-Peter Wessels den Entscheid der SBK kurzerhand rückgängig machte. Gebaut wurde die Anlage dann zwar nicht, aber nun sollen neben dem Lonza-Turm zwei Neubauten mit Photovoltaik entstehen. Für die Sanierung des Coop-Hochhauses dagegen konnte die SBK die Details mit dem Architekturbüro Burckhardt an 1:1-Modellen besprechen. Auch den Grosspeter-Tower schräg gegenüber auf der anderen Seite des Gleisfelds hatte Burckhardt geplant. Die dunklen Fassaden aus 6000 Quadratmeter Solarmodulen decken seit 2017 den Grundbedarf des Hochhauses an Strom. In den kommenden Jahren soll auch das St. Jakob-Stadion von Herzog & de Meuron in Solarmodule gehüllt werden. «Möglicherweise ist in Basel tatsächlich ein Klima am Werden, das solare Architektur begünstigt», sinniert Dominique Salathé. «In der kantonalen Verwaltung, an der FHNW sowie mit neugierigen Architekturbüros und Netzwerken wie ‹Countdown 2030› – vielleicht passiert hier wirklich mehr als in anderen Städten. Aber eigentlich», fügt er an, «ist es in Anbetracht der fachspezifischen und politischen Diskussionen erstaunlich, dass es nicht mehr relevante Beispiele gibt.»

Der Grosspeter-Tower steht seit 2017 am Gleisfeld. Ihm gegenüber: das Coop-Hochhaus. Foto: Susanne Hefti

In den kommenden Jahren soll das St. Jakob-Stadion mit einem Solarkraftwerk umhüllt werden. Visualisierung: Herzog & de Meuron

Frühe Förderung, bescheidene Folgen

Die Geschichte der überzeugenden Solararchitektur in Basel ist deutlich jünger als jene der solaren Förderung und der fortschrittlichen Energiegesetzgebung im Kanton. Schon seit 1998 ermöglicht es das kantonale Energiegesetz, die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu unterstützen. Seit 1995 ist eine Abnahmevergütung für private Photovoltaik-Anlagen erhältlich, und lange Zeit zählte die Basler Vergütung zu den schweizweit höchsten. Zurzeit bezahlt Primeo Energie im Kanton Basel-Landschaft 24,5 Rappen pro Kilowattstunde, wie der Verband unabhängiger Energieerzeuger (VESE) angibt – deutlich mehr als die Industriellen Werke Basel (IWB). Doch die Strompreise am Markt schwanken. Die IWB dagegen pflegen eine Art Festhypothekenmodell: Sie garantieren eine Vergütung von 14 Rappen pro Kilowattstunde über 12 Jahre. Zudem verdoppelte der Kanton Basel-Stadt mit der ‹Solardach-Aktion› den Bundesbeitrag an private Photovoltaik-Anlagen, wenn sie 75 Prozent eines geeigneten Dachs belegen. Zurzeit sind diese Fördermittel allerdings aufgebraucht. Der Kanton klärt ab, ob die Aktion verlängert wird und ob künftig 90 Prozent des Dachs bedeckt werden müssen.

Interessanterweise hat die frühe Förderung den Kanton noch nicht an die Spitze der Schweizer Photovoltaik-Produktionsrangliste katapultiert. Nimmt man die installierte Leistung in Abhängigkeit zur möglichen Photovoltaik-Leistung als Massstab, so liegt diese in Basel-Stadt bei 4,2 Prozent und damit laut Daten des VESE genau beim Schweizer Durchschnittswert. Bei der installierten Leistung liegt Basel-Stadt mit 205 Watt pro Kopf gar an zweitletzter Stelle vor Genf, der Schweizer Durchschnitt beträgt 550 Watt pro Kopf siehe Infografik Seite 29. Dass die beiden Stadtkantone das Schlusslicht bilden, zeigt, dass der Photovoltaik-Ausbau in dicht bebauten und städtischen Gebieten komplizierter ist als anderswo. An den Förderbedingungen liege das nicht, meint Matthias Nabholz, Leiter des Amts für Umwelt und Energie: «Es ist längst möglich, Photovoltaik-Anlagen in Basel-Stadt wirtschaftlich zu betreiben. Aber es braucht Bauherrschaften und Architekturbüros, die sich auf das Thema einlassen, von den guten Grundlagen Gebrauch machen und Photovoltaik auch tatsächlich anwenden wollen.» Nur so kann gute Solararchitektur entstehen, welche die Photovoltaik auf die kulturelle Bühne hebt, die öffentliche Wahrnehmung betören kann und so zu beeinflussen vermag, ob mehr und grössere Solaranlagen in Städten gesellschaftsfähig werden.

Offensive mit Risiken und Nebenwirkungen

Bereits seit 2017 gilt in Basel-Stadt für Neubauten eine Photovoltaik-Pflicht. Das damals in Kraft getretene, im schweizweiten Vergleich überaus fortschrittliche Energiegesetz verlangt, den CO2-Ausstoss bis 2050 auf maximal eine Tonne pro Jahr und Kopf zu senken und den Kanton mit zu mindestens 90 Prozent erneuerbarer Energie zu versorgen. Das Gesetz nimmt auch die Verwaltung in die Pflicht, mit den öffentlichen Bauten voranzugehen. Seit 2021 steht in den Legislaturzielen des Regierungsrats sogar explizit der Begriff «Solaroffensive». Die Bevölkerung hat die bisherigen Standards jedoch bereits wieder revidiert. Im November 2022 beschlossen die Stimmberechtigten, dass der Kanton den Ausstoss von Treibhausgasen schon bis 2037 auf Netto Null senkt. Das Energiegesetz muss darum angepasst werden. Was den Ausbau von Photovoltaik betrifft, macht zudem ein parlamentarischer Vorstoss Druck: Der Grüne Jürg Stöcklin verlangte, dass sämtliche Dächer innerhalb von 15 Jahren mit Photovoltaik ausgerüstet werden.

Was die Solaroffensive konkret erreichen will, ist noch nicht bekannt. Die technischen und juristischen Abklärungen benötigen Zeit. Es lässt sich daher erst mutmassen – zum Beispiel, ob der Kanton die Photovoltaik-Pflicht auch bei wesentlichen Dach- und Fassadensanierungen einführt. Oder ob er – wie etliche andere Kantone – die Baubewilligungspflicht für Photovoltaik-Anlagen (ausser für geschützte Objekte und Zonen) zu einem Meldeverfahren abschwächt. Für das Stadtbild würde das bedeuten, dass Photovoltaik nicht nur in durchdachte Neubaufassaden integriert, sondern auch auf das kunterbunte Allerlei des Bestands aufgesetzt wird.

      Produktion 2010: 3 GWh/a         Produktion 2020: 26,1 GWh/a  –– Produktionspotenzial Dächer: 634 GWh/a  - - - Produktionspotenzial Dächer und Fassaden: 831 GWh/a  — Elektrizitätsverbrauch total: 1348 GWh/a.   1 Symbol = 10 PV-Anlagen

Ein drängendes Thema bringt auch der Mieterinnen- und Mieterverband MV Basel in die Debatte ein. Dessen Geschäftsleiterin Patrizia Bernasconi ist Grossrätin und Mitglied der kantonalen Energiekommission. Als Vertreterin der Mietenden sei sie «eine Art soziales Gewissen», wie sie sagt. Sie unterstützt die Solaroffensive und betont, dass der MV Basel den Mietwohnschutz seit der ersten Wohnschutzinitiative 2008 mit ökologischen Massnahmen verknüpfe. Seit Mai 2022 gelten Wohnschutzbestimmungen, die darauf abzielen, nur noch sanfte Sanierungen mit hohem ökologischem Standard zu bewilligen. Dazu zähle auch die konsequente Umsetzung der Solarstrategie. «Grün angestrichene Rendite-Sanierungen» sollen dadurch verhindert werden. Das Gesetz nennt auch die graue Energie ausdrücklich als Kriterium, Abbrüche durch ökologische Sanierungen zu ersetzen. «Wohnschutz und Klimaschutz gehören zusammen», sagt Bernasconi. So heisst denn auch die Kampagne, die der MV lanciert hat, um die sozialen Aspekte der Solaroffensive und von Energiemangellagen in die Politik und in die Wohnbevölkerung zu tragen.

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Quellen: Bundesamt für Energie, Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt, Verband unabhängiger Energieerzeuger (VESE); Infografiken: Barbara Schrag

Energie und Ästhetik

Basel – eine Solarstadt? Da muss auch Barbara Sintzel überlegen. Die Professorin leitet das Institut Nachhaltigkeit und Energie am Bau an der FHNW und sitzt mit Patrizia Bernasconi in der Energiekommission. «Der Kanton Basel-Stadt hat in Sachen Photovoltaik eine der strengsten Energiegesetzgebungen und fördert die erneuerbaren Energien seit vielen Jahren.» Auch die neuen Solarbauten seien bemerkenswert, meint Sintzel und hebt dabei die Sanierungen wie jene des Coop-Hochhauses oder des Mehrfamilienhauses an der Oberwilerstrasse hervor. «Basel ist noch keine Solarstadt, aber sie hat es sich zum Ziel gesetzt, eine zu werden», meint sie. Die FHNW wolle forschend und beratend unterstützen. «Zusammen mit Architekturbüros möchten wir die Ästhetik, aber auch Themen wie die Langlebigkeit von Photovoltaik untersuchen und weiterentwickeln», so Sintzel.

Dagegen wird niemand etwas haben. Aber weder das hohe ökologische Bewusstsein in der Bevölkerung noch das strenge Energiegesetz haben bisher in Basel ein Umfeld erzeugt, in dem gute Architektur als integraler Bestandteil der solaren Förderung und des solaren Ausbaus betrachtet würde. Soll Netto Null ab 2037 gelten, ist der erforderliche Umstieg auf die Erneuerbaren nicht anders als mit einem gewaltigen Ausbau zu schaffen. Die meisten Anlagen dürften auf Dächern installiert werden. Dass sich dadurch das Stadtbild nicht verändere, weil Dächer weniger einsehbar seien – wie es manchmal beschwichtigend angeführt wird –, ist jedoch eine Täuschung.

Wenn im politischen Brausen nun selbst Kirchendächer bestückt werden sollen, muss Kantonsbaumeister Beat Aeberhard seufzen. «In den Hafen- und Industriearealen warten Tausende Quadratmeter Dächer. Diese sollten wir vorziehen, bevor wir eher kleine Flächen auf Schutzobjekten mit Photovoltaik belegen.» Seit 2015 leitet Aeberhard die Dienststelle Städtebau & Architektur. Im Moment bleibt dieser nicht viel anderes übrig, als gute Solararchitektur im Rahmen von öffentlichen Bauprojekten zu fördern und vorab über Wettbewerbe den Erfindungsgeist der Architekturbüros zu stimulieren. «Die geplante Solaroffensive gestalterisch zu begleiten, ist im gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Umfeld dagegen unrealistisch», so Aeberhard nüchtern. Vielleicht komme es gar zu Auswüchsen wie beim Lärmschutz, bis die Öffentlichkeit eine gute Gestaltung für Photovoltaik einfordere. Und meint dann durchaus zuversichtlich: «Irgendwann werden wir an einem Gesamtbild der Solarstadt Basel arbeiten können.»

Was aber ist denn nun eine Solarstadt? Man kann sie daran messen, ob sie mit der Solarenergie einen maximalen Beitrag zum Schutz des Klimas leistet. Man kann sie auch an einem möglichst umfassenden Verständnis dieser Entwicklung messen. Ob eine Stadt das Stadtbild nicht trotz, sondern mit der solaren Expansion pflegt. Ob die Bevölkerung die mit Photovoltaik angereicherte Stadt nicht nur wegen der Stromproduktion, sondern auch wegen neuer räumlicher, ästhetischer und funktionaler Qualitäten schätzt. Kurz: In der Solarstadt geht es nicht um Energie oder Ästhetik, sondern um Energie und Ästhetik. In Solaris #07 (Mai 2023) fragten wir, wie sich Solarenergie als urbane Form der Energiegewinnung verstehen und prägen lässt. Wie Solarenergie eine urbane Identität erhält. Und davon abgeleitet, wo und wie die solare Energieproduktion im Stadt- und Siedlungsgebiet wahrnehmbar werden soll. Denn im Unterschied etwa zu Fernwärme ist die Solarenergie spürbar, und ihre Anlagen sind sichtbar. Einen in Energiefragen fortschrittlichen Kanton wie Basel-Stadt müssten diese Fragen interessieren. Stand heute zeigt Basel-Stadt dagegen, dass eine starke Förderung der Solarenergie und eine gute Solararchitektur nichts miteinander zu tun haben müssen, solange man sie nicht miteinander verknüpft.

Kommentare

Andreas Konrad 08.08.2023 19:09
Die Vernunft rechnet klar : Ein einzelner Stausee , der Lac des Dix, erzeugt heute 4 mal mehr Strom, als wenn man sämtliche Dächer der Schweiz mit Solarpaneelen zumüllen würde, darunter das Bundeshaus, die gesamten Altstädte von Bern, Basel, Zürich, St. Gallen, sämtliche Bauernhäuser und Denkmäler von kommunaler bis nationaler Bedeutung, jedes Mehr- und Einfamilienhaus. Die Walliser Staumauer ist bald 100-jährig und tut immer noch ihre Arbeit - die graue Energie bei ihrer Herstellung hat sich also längst rentiert. Die Solarpaneele müsste man nach 10 - 15 Jahren ersetzen. Ein gigantisches Entsorgungsproblem entstünde, um die zig von Hunderttausenden Tonnen Abfall alle paar Jahre ! Und das bei nur einem Viertel der Leistung, die wie gesagt ein Stauseeli in den Walliser Alpen erbringt. Die Wasserkraft ist das Gut der Schweiz - das lehrt uns wie gesagt die Vernunft. Aber wo die Politik spielt, hat letztere oft schwaches Spiel. Man hofft dennoch auf Einsicht.
Andreas Konrad 07.08.2023 20:38
Absurd: Mit gigantischem Aufwand und Unmengen an grauer Energie wird an einer Solarpanel-Strategie festgehalten. Wo man mit einer Staumauer-Erhöhung beim Grimsel das 1000-fache an Strom erzeugen könnte. Hier walte Dilettanti !
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