Geraldine Chew ist Hobbyimkerin und transportiert alles, was sie braucht, per Velo. Manches passt auf ihr eigenes, für neue Bienenschwärme oder die Honigernte mietet sie ein Lastenvelo.
«Mit Imkern habe ich vor sechs Jahren angefangen. Eine Arbeitskollegin überliess mir ihre Bienenvölker, als sie ins Ausland zog, und ich begann mit dem Imkergrundkurs. Zuerst waren die Bienen in einem Wohnquartier in der Stadt Basel. Doch da gab es Reklamationen, einige Anwohnerinnen und Anwohner fühlten sich unsicher. Also machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Standort für die Bienen. Nun sind sie in Münchenstein, in der Nähe eines Friedhofs am Waldrand. Dort haben sie ihre Ruhe, und ich bin mit dem Velo in dreissig Minuten bei ihnen.
In der Schweiz wird hauptsächlich auf zwei Arten geimkert: mit dem Schweizerkasten in Bienenhäusern, die viele kennen. Oder mit frei stehenden Magazinen. Sie bestehen aus stapelbaren Holzkisten, sogenannten Zargen, in die man von oben die Waben reinhängt. Ich imkere auf diese Weise, seit drei Jahren mit einem Freund zusammen. Momentan haben wir drei Völker in Münchenstein, das nötige Material zum Imkern lagern wir im Keller.
«Bevor ich diese Sharinglastenvelos entdeckte, war ich immer auf Freunde mit einem Auto angewiesen»
Meinen Schutzanzug oder den Raucher, mit dem sich die Bienen bei einer Volkskontrolle beruhigen lassen, kann ich gut mit meinem eigenen Velo zu den Bienen fahren. Wenn ich etwas Grösseres transportieren muss, miete ich heute ein Lastenvelo über die Plattform Carvelo2go. Bevor ich diese Sharinglastenvelos entdeckte, war ich für grössere Materialtransporte immer auf Freunde mit einem Auto angewiesen, da ich selbst kein Auto habe. Das hatte etwas Schönes, weil immer wieder andere Personen mit mir nach Münchenstein kamen, die sich für das Thema interessierten. Doch mit dem Cargovelo bin ich unabhängiger und belaste die Umwelt weniger. Wenn ich sehe, dass ein Volk mehr Platz braucht oder gestorben ist, kann ich für den nötigen Transport am nächsten Tag ein Lastenvelo reservieren und dieses dann beim Host abholen.
Im Frühling gibt es immer viel zu transportieren. Die Völker, die den Winter gut überstanden haben, wachsen. Für sie muss ich zusätzliche Zargen und Waben nach Münchenstein bringen. Wenn ein Volk stirbt, muss ich das ganze Magazin abräumen, die Waben entsorgen und die Zargen bei mir zuhause abflammen, um mögliche Erreger zu töten. Denn in den meisten Fällen ist nicht klar, weshalb ein Volk den Winter nicht überstanden hat, manchmal ist es Futtermangel, manchmal eine Krankheit. Solche Fahrten sind eine traurige Sache. Doch fast jeden Frühling kann ich mit dem Lastenvelo auch einen neuen Schwarm abholen, den jemand in der Region findet. Dann habe ich etwa zweieinhalb Kilo Bienen geladen. Mit einer Schwarmkiste auf der Ladefläche muss ich vorsichtig fahren. Es darf nicht zu stark rütteln, sonst werden die Bienen unruhig, und dann wird es schwierig, den ganzen Schwarm einzulogieren. So nennt man es, wenn die Bienen eines Schwarms in ein neues Magazin einquartiert werden.
Imkern mit dem Velo ist sicher nicht üblich. Ich erlebe erstaunte Reaktionen, wenn ich erzähle, wie ich Material und auch Schwärme transportiere. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es noch andere Jungimker und -imkerinnen gibt, die das wie ich und mein Kollege machen.»
Lastesel mit zwei Rädern
Lastentransporte auf zwei Rädern boomen. Die Verkaufszahlen von Cargobikes haben sich 2020 in Deutschland fast verdoppelt, was auch an den staatlichen Förderprogrammen liegt. Auch das Angebot an Fahrzeugen wächst. Neue Marken kommen hinzu, Zuladungen bis zu 300 Kilogramm sind möglich, Aufbauten werden erfindungsreicher: Nebst Ladeplattform und -kästen gibt es inzwischen wasserdichte oder aufpralloptimierte Boxen, Fussraster und Kindertüren, stossgedämpfte Sitze und auslaufsichere Fressnäpfe für den Hund. Kompakte Lastenvelos verbinden eine hohe Zuladung mit der Wendigkeit eines normalen Velos, zweispurige Modelle mit Neigetechnik sorgen dafür, dass die Ladung nicht kippt. Nicht elektrifizierte Modelle scheinen auszusterben: Ihr Marktanteil lag 2019 bei nur noch 25 Prozent. Lastenvelos gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die Schweizerische Post setzte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf das Transportmittel. Das Urmodell heisst Long John, wurde 1923 in Dänemark erfunden und wird bis heute produziert.
Forschung
Das Projekt ‹Mir sattlä um!› der Mobilitätsakademie hat im Jahr 2016 getestet, welches Potenzial Lastenräder im Wirtschaftsverkehr haben. Ein halbes Jahr lang konnten kleine und mittlere Unternehmen in der Stadt Bern gratis solche Velos nutzen. Das Resultat: Fast drei Viertel der Fahrten, die zuvor mit dem Auto erfolgten, wurden auf das Lastenvelo verlagert. Allerdings begrenzte sich der Radius hauptsächlich auf die Innenstadt und angrenzende Quartiere. Die Vorteile: bessere Erreichbarkeit vieler Ziele, Zeitgewinn, geringere Kosten, bessere Ökobilanz, Imagegewinn dank Werbeflächen sowie Gesundheitsförderung.
Transportvelo zum Teilen
Carvelo2go ist ein Angebot der Mobilitätsakademie und des Touring Club Schweiz. Über die Sharingplattform können in wenigen Schritten elektrische Cargobikes (‹Carvelos›) ausgeliehen werden. Sie können stundenweise gemietet werden und stehen im Quartier bei sogenannten Hosts zum Abholen bereit. Mit einem Carvelo können Waren bis zu hundert Kilogramm oder auch zwei Kinder transportiert werden. Das Angebot entstand im Rahmen der Lastenradinitiative ‹Carvelo› von TCS und Migros. Die Initiative verfolgte das Ziel, den Einsatz von Lastenvelos in der Schweiz im betrieblichen und privaten Kontext zu fördern und wird von Energie Schweiz unterstützt. Mit Erfolg: Während das Programm vor zwei Jahren endete, wird Carvelo2go weitergeführt. Mittlerweile stehen den fast 23 000 registrierten Nutzerinnen und Nutzern schweizweit rund 360 E-Lastenvelos von Riese & Müller und Urban Arrow in über 90 Schweizer Städten und Gemeinden zur Vermietung zur Verfügung. Die Miete kostet 5 Franken Grundgebühr plus 2,5 Franken pro Stunde, mit einem Abo halbiert sich der Preis.