Tour de Suisse

Der Veloboom verändert die Schweiz. Auch im Kleinen. Eine Sammlung von 18 Ideen, Bauten, Aktionen und Planungen von Genf bis Basel.

In Zusammenarbeit mit Energie Schweiz

Der Veloboom verändert die Schweiz. Auch im Kleinen. Eine Sammlung von 18 Ideen, Bauten, Aktionen und Planungen von Genf bis Basel.


Von der Community profitieren
Velofahrende wissen am besten, wo es im Routennetz klemmt. Eine Internetplattform bündelt ihr Wissen seit 2017: Auf bikeable.ch kann jeder Problemstellen im Schweizer Velonetz markieren. Andere können Kommentare und eine Bewertung dazu abgeben. Die Punkte werden auf einer interaktiven Karte mit Foto und Beschreibung festgehalten. Wurde eine Stelle entschärft, kann der Punkt auf der Karte als ‹gefixt› markiert werden. Bikeable verbessert die Planung. So arbeiten zum Beispiel die Stadt Zürich und Ecublens VD mit der Plattform zusammen. Meldungen zum Gemeindegebiet werden automatisch an die zuständige Stelle weitergeleitet. Sie kann auf Kommentare antworten und ihre Verbesserungen direkt der Community präsentieren. Die Möglichkeit zur Zusammenarbeit steht jeder Gemeinde offen. www.bikeable.ch

Die Veloplattform bikeable.ch

Ein Weg macht Strom
Vor hundert Jahren erhielt die Papierfabrik Cham einen direkten Gleisanschluss. Heute verläuft auf dem Trassee eine Fuss- und Veloverbindung. Der ‹Papierigleisweg› wurde im Dezember 2021 eröffnet. Er kombiniert eine chaussierte mit einer asphaltierten Oberfläche und bindet die historische Gleisanlage ein. Ein Novum für die Schweiz: In einen Abschnitt des Asphalts sind Solarzellen aus rezykliertem Kunststoff eingelassen. Eine Beschichtung sorgt dafür, dass er bei Regen nicht rutschig wird. Der produzierte Strom geht an eine Ladestation für E-Bikes am Wegrand, als Hommage an das einstige ‹Papieri-Bähnli›, das elektrisch betrieben wurde. Mit ökologischen Aufwertungen entlang des Solarvelowegs trägt die Gemeinde der Biodiversität Rechnung. Das Bundesamt für Energie unterstützte das Projekt, um herauszufinden, ob sich Solaranlagen auf Fahrbahnen bewähren.

Der Papierigleisweg produziert Strom. Foto: Gemeinde Cham

Schöner parkieren
Ein Dach und vier Stützen – anscheinend braucht es nicht mehr. Dass Velounterstände nicht nur funktional, sondern auch schön sein können, zeigt das Modell Akira von Marktführer Velopa. Das Dach aus farbig lackierten Aluminium-Verbundplatten ist markant geknickt, die Stützen aus verzinktem Stahl verzweigen sich oben zur v-Form. Natürlich gibt es auch hier Notwendiges wie Regenrinne und -rohr, Rahmenprofile oder Verschraubungen, nur treten sie nicht in Erscheinung. www.velopa.ch

Das farbige Dach von Velopa.

In den Velokeller I
Geld zahlen fürs Veloparken im eigenen Haus? Dass das durchaus akzeptiert wird, zeigt das Beispiel der Siedlung Im Sydefädeli, 2017 von Pool Architekten für die Baugenossenschaft Denzlerstrasse in Zürich gebaut. Die Garagen der markanten dreieckigen Häuser liegen im Hangfuss auf Strassenniveau, schön zugänglich von aussen und vom Treppenhaus. Neben den Autoparkplätzen stehen dort abschliessbare Veloabstellplätze. Für einen Platz zahlen Mieterinnen monatlich fünf Franken – und überlassen so wohl kaum mehr ein Fahrzeug ungenutzt dem Rost. Beschwerden? Keine, denn man schätzt den immer freien, weil zugewiesenen Platz. Und vielleicht geniesst man auch den höheren Status seines Zweirads.

Die Siedlung Sydefädeli von Pool Architekten in Zürich. Gelb sind die Veloabstellplätze gleich bei der Tiefgarageneinfahrt.

Im Auge des Verkehrs
Die Planung des Zugangs zum Bahnhof Prilly-Malley im Westen von Lausanne berücksichtigte das Velo vorbildlich. Der ‹Trait d’Union› ist eine schöne Infrastruktur von Pont12 Architectes, die den Fussverkehr und die Veloströme auf engstem Raum trennt und lenkt. Die Doppelhelix hat einen Radius von nur zehn Metern und beherbergt eine drei Meter breite Wendeltreppe für die Fussgänger, die von einer entgegenlaufenden Velorampe der gleichen Breite umrahmt wird. Auch in der anschliessenden Unterführung mit Zugang zum Bahnhof werden die beiden Verkehrsströme weiterhin getrennt geführt.

Bahnhof Prilly-Malley, Lausanne: Pont12 Architectes führen die Velofahrenden schön in den Untergrund. Foto: Vincent Jendly

Alice im Veloland
Alice heisst das Studio der Professoren Dieter Dietz und Daniel Zamarbide an der EPFL. Studierende untersuchen dort landschaftliche Zusammenhänge und machen sie mit temporären Pavillons sichtbar. Mit dem Projekt ‹Passage-paysage› widmeten sie sich drei Kantonsstrassen, die den Kanton Genf durchqueren. Aus den zerschneidenden Hauptverkehrsachsen möchte das Studio Alice einen verbindenden Park machen. Die Studierenden bewerteten das Bestehende, trafen Behörden und definierten Schlüsselstandorte für Fallstudien. In ihren Plänen wird eine Strassenkreuzung wieder zum Dorfplatz. Und dreissig Meter breiter Asphalt zu Streifen für Autos und öV, Velos und Bäume. Dabei geht es neben aktiver Mobilität und Gesundheit, Biodiversität und Klimaschutz auch um eine kulturelle Annäherung, denn Landschaftsgestaltung hat immer wieder mit einer Wahrnehmung aus der Bewegung heraus zu tun. An einem der Orte kann Alice nun aktiv werden: Während des Sommers 2022 werden Studierende ein Stück Strasse in Onex in einen öffentlichen Raum mit verschiedenen Ereignissen und Installationen verwandeln.

Ein verbindender Park statt Hauptverkehrsachse: Studierende am Studio Alice der EPFL.

Zum Bauernhof rollen
Wenn Marcello Stivan nicht in seinem Veloladen am Bahnhof von Bellinzona steht oder innovative Fahrradabstellplätze entwickelt, ist er unterwegs. Er fährt mit einer Gruppe auf Falträdern nach Venedig. Oder ist auf Radtour zu Hofläden in der Magadinoebene. ‹Spesa in fattoria› nennt er seine Kombination aus gesunder Ernährung, nachhaltigem Konsum, Bewegung und Spass. Marcello fährt auf dem Cargobike voraus, die Gruppe auf Falträdern hinterher. Gemüse, Alpkäse, Honig und Fleisch müssen sie so nicht selbst transportieren.

Eine Hofladentour auf Falt- und Cargorad im Tessin. Foto: Milo Zanecchia

Leichtere Gleisquerung
Der Bahnhof Winterthur ist eine zentrale Drehscheibe des öffentlichen Verkehrs. Heute halten hier rund 700 Züge täglich, Tendenz steigend. Mehr Züge bedeuten auch mehr Reisende. Die nördliche Personenunterführung des Bahnhofs Winterthur ist neunzig Jahre alt. Im Zuge der Erneuerung wurde sie von 4,5 auf 17,5 Meter verbreitert. So entstand Platz für mehr Menschen und Läden. Ausserdem bauten die SBB im Auftrag der Stadt eine Veloquerung direkt neben der Personenunterführung. Hinzu kommen oben eine verkehrsberuhigte Begegnungszone und unten eine Velostation.

Die verbreiterte Gleisquerung am Bahnhof Winterthur. Foto: Laurens van Rooijen

Kantonale Route in Obwalden
Wo niemand Velo fährt, braucht es keine Velowege – heisst es. Genau diese Logik gilt es umzukehren, und der Kanton Obwalden macht sich dran. Sein neues Gesamtverkehrskonzept enthält zwar keine Vorgabe zum Anteil des Velos am Verkehr, beruht aber auf der 4-V-Strategie – vermeiden, verlagern, verträglich gestalten und vernetzen – und verlangt daher unter anderem sichere Velorouten, die wichtige Ziele verknüpfen. Für jene von Kerns nach Sarnen bestimmen das Solothurner Büro Kontextplan und eine kantonale Begleitgruppe zurzeit die Linienführung im Korridor zwischen Sarnen und Kerns, später folgen die Ausbauprojekte für die einzelnen Abschnitte. «Das Potenzial des Velos ist gross in Obwalden», schätzt Kantonsingenieur Martin Bürgi, «denn wie anderswo messen viele Alltagsdistanzen bis 10 Kilometer, fahrbar per Velo und per E-Bike erst recht.»

Das neue Gesamtverkehrskonzept des Kanton Obwalden.

In den Velokeller II
Im Vorzeigequartier ‹Mehr als Wohnen› im Norden Zürichs haben die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Zweiräder besonders gern. Im Bauch des dicken Hauses G von Pool Architekten bildet ein Veloabstellraum das Zentrum eines jeden Wohngeschosses. Unten rein in den grossen Lift, oben raus, und schon steht man im Velokeller – nur eben im 6. Stock.

Pool Architekten im Hunziker Areal, Zürich: Mit dem Velo in den Lift und auf jedem Geschoss direkt in den Veloraum.

Luzerner Freigleis
Lange fuhr die Zentralbahn oberirdisch von Luzern nach Kriens. Seit November 2012 fährt der Zug unter der Luzerner Allmend durch einen Tunnel. Wo das oberirdische Bahntrassee war, ist nun Raum für Langsamverkehr. Das ‹Freigleis› ist unterteilt in einen drei Meter breiten Velo- und einen zwei Meter breiten Fussweg, ein ‹Velohighway›, sagen manche. Einziger Wermutstropfen: Radfahrende und Fussgänger sind an drei Strassenkreuzungen nicht vortrittsberechtigt, was jeweils Schwellen ankünden.

Der Velohighway von Luzern: Dort wo früher die Bahn fuhr, fahren heute Velos. Foto: Marius Graber

Velosilo
Überfüllte Abstellplätze freuen weder die Radfahrer, noch verschönern sie die Stadt. V-Locker bietet eine smarte Alternative: Türme, in denen sich die sechs bis zwanzig Stellplätze stapeln, kombiniert mit einer App. Überall dort, wo sich abgestellte Velos zu ballen drohen, können sie stehen: an Bahnhöfen, in Zentren, bei Unis oder grossen Wohnanlagen. Im Turm sind die Velos vor Diebstahl, Vandalismus, Wind und Wetter geschützt – und mit ihnen auch Helm, Rucksack und Regenkleidung. Die App zeigt, wo es Platz hat, reserviert denselben und öffnet später die Tür. Die ersten drei Schweizer V-Locker stehen an den Bahnhöfen Stettbach, Münchenbuchsee und Kloten. Sie zeigen, dass sich ihre Erscheinung der Umgebung anpassen lässt: mit Holz, Glas, Metall oder Photovoltaikelementen. So kann ein E-Bike beim Warten laden. www.v-locker.ch

V-Locker bauen Parktürme für Velos, eine App zeigt, wo es Platz hat.

Solothurn hat ehrgeizige Ziele
In der Rangliste der Prix-Velo-Städte belegt Solothurn zuverlässig den dritten Platz. Das liegt erst einmal an den guten Nord-Süd-Verbindungen dank vier Aare-Brücken, die Velos befahren dürfen, aber keine Autos. Zudem ist die Stadt mit grösseren und kleineren Infrastrukturen ausgestattet, die Schritt für Schritt entstehen: am Bahnhof eine geräumige Duplex-Velostation, an gut befahrenen Standorten Werkzeugstationen und Velopumpen. Entlang der Aare führt seit einigen Jahren die Wasseramtroute von Schweizmobil nach Zuchwil und weiter Richtung Herzogenbuchsee, eine sichere und landschaftlich behagliche Alternative zur Hauptstrasse. Zurzeit arbeitet der Kanton am kantonalen Velonetzplan. Zunächst werden Korridore für Routen mit hoher und mittlerer Nachfrage festgelegt und in einer Vernehmlassung überprüft. Darauf folgt die genaue Planung der Linien. Weiter fortgeschritten ist die zweite Velovorrangroute von Solothurn nach Grenchen: Sie ist Teil des Agglomerationsprogramms der vierten Generation, um das Velo für das Pendeln zur Arbeit attraktiver zu machen. Auf 30 Prozent will der Kanton den Anteil des Velos am gesamten Verkehr anheben – ein ambitioniertes Ziel.

Solothurn hat vier Brücken nur für Velos, sowie grössere und kleinere Infrastrukturen, wie Velopumpen. Foto: Michel Lüthi, Bilderwerft

Genfer Fortschritte
In der Velowüste keimen zarte Pflänzchen. Vom Prix Velo Infrastruktur erhielt Genf eine Anerkennung für das Projekt ‹Mit dem Velo zum Strand›, dank dem man nun sicher aus der Stadt zum beliebten Strand Eaux-Vives pedalt – unter anderem auf dem drei Meter breiten, baulich von der Autospur getrennten Zweirichtungs-Veloweg am Quai Gustave-Ador, der sich über einen Kilometer erstreckt und die Schweizmobil-Route 46 ‹Tour du Léman› ergänzt. Auch die ‹voie verte› als sichere Achse für den Langsamverkehr durch Genf ist ein Erfolg. Die Trassen zum Fahren und Gehen sind getrennt, ab und zu locken kleine Orte zum Sitzen und Ausruhen, an den Böschungen kreucht und fleucht es. Seit 2010 werden Abschnitte realisiert. Das nächste Teilstück soll ab 2025 von Vernier-Châtelaine nach Satigny-Zimeysa führen. Am Ende wird man auf der ‹voie verte› 22 Kilometer weit radeln: von Annemasse bis Saint-Genis-Pouilly und damit von Frankreich durch Genf wieder nach Frankreich. www.voieverte.ge.ch

In Genf mit dem Velo zum Strand.

Sicher durch die Mitte von Uster
Jedes Jahr verunfallen in der Schweiz mehrere Hundert Personen mit dem Velo in einem Kreisel. Viele erleiden gravierende Verletzungen. Die Statistik zeigt, dass sie nur in vier von hundert Fällen die Schuld am Unfall tragen. Meist ‹übersehen› Autofahrer aufgrund fehlender Aufmerksamkeit das Zweirad. In der Stadt Uster üben auf Initiative des Elternrats der Schule Sechstklässler das sichere Velofahren im Kreisel. In Gruppen fahren die Jugendlichen durch alle 18 Kreisel der Stadt – ein Lichtsignal gibt es in Uster nicht. Dabei legen sie rund zehn Kilometer zurück. Ein Stadtpolizist fährt voraus. Den Abschluss bildet jemand vom Elternrat mit Veloanhänger. Darauf erklärt ein Schild nachfolgenden Automobilistinnen die Aktion ‹Sicher durch die Mitte›: nämlich, dass es Velos hierzulande ausdrücklich empfohlen ist, in der Mitte der Kreiselspur zu fahren.

Jugendliche in Uster lernen Kreiselfahren. Foto: Fabian Baumann

In den Velokeller III
Erlenmatt-Ost beim Badischen Bahnhof in Basel ist ein Vorzeigequartier. Die Stiftung Habitat liess dort ab 2017 verschiedene kleine Genossenschaften Wohnhäuser bauen, es gibt biodiversen Aussenraum mit Pizzaofen und Urban Farming. Die Architekten Bart & Buchhofer bauten für die Genossenschaft Erlenflex ein Wohnhaus mit hoher Wohnqualität. Den ebenfalls guten Nachbarhäusern hat es etwas Unscheinbares voraus: eine Rampe, die hinunter in den Velokeller führt. Im Alltag mache das einen grossen Unterschied, sagt ein Bewohner.

Siedlung Erlenmatt-Ost in Basel: Im Haus von Bart&Buchhofer führt eine unscheinbare Rampe hinunter in den Velokeller.

Rüfe, Waldweg, Trockenmauern
33 Jahre Hartnäckigkeit hat es die Veloszene gekostet, bis der rund fünf Kilometer lange Radweg zwischen Chur und Trimmis 2019 eröffnet wurde. Schön ist er geworden. Von Trimmis radelt man auf dem alten, im Inventar der historischen Verkehrswege eingetragenen Mittelweg neben Trockensteinmauern, weiter durch den Fürstenwald, über eine kleine Brücke durch eine Furt in der Maschänserrüfe und schliesslich über Wiesen nach Chur. Der Clou: Im Unterschied zu anderen Routen verliert man kaum an Höhe. Ein Stück wurde neu gebaut und asphaltiert, ein anderes verläuft auf einem Waldweg. Dort sorgt die Oberflächenbehandlung des Kieses dafür, dass sich der Belag durch das Befahren etwas verdichtet, sodass die Räder Halt finden und der Veloweg zugleich in den Wald passt, auch wenn harter Schwarzbelag darunterliegt. Die Strecke zählt zur Churer Rheinroute 501 von Schweizmobil.

Von Chur nach Trimmis über speziellen Kies. Foto: Armin Bearth, Tiefbauamt Graubünden

Wo parkieren?
Das Forum Velostationen fördert bestehende und neue Velostationen und dient als Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch. Es koordiniert gemeinsame Aktivitäten und Interessen, entwickelt Dienstleistungen und Produkte und berät Behörden und Trägerschaften. Das Forum wird von Pro Velo Schweiz und der Velokonferenz Schweiz getragen und vom Bundesamt für Strassen unterstützt. www.velostation.ch

Die Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch

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