Aus ihrer Heimatstadt in Brasilien ist sich Erika de Godoy Gonçalves Fauchère Velofahren im unsicheren Verkehr gewöhnt. Lausanne ist weniger gefährlich. Trotzdem fährt sie auf den Publibikes vorsichtig.
«Nun sind es bald sechs Jahre, dass ich zwischen meinem Beruf als Englischlehrerin und meinem Englischstudium an der Universität Lausanne hin und her switche. Gute Mobilitätslösungen sind für mich wichtig. Nur so kann ich beides kombinieren. Die Publibikes habe ich irgendwann während meines Bachelors auf dem Campus der Uni Lausanne entdeckt. Ich nutzte schon Mobility, hatte aber noch nie von diesen Sharingbikes gehört. Neugierig wie ich bin, informierte ich mich und experimentierte erst mit einer kurzen Strecke, ohne Zeitdruck. Denn bevor ich von meiner Arbeit im Stadtzentrum an die Uni oder von dort in die nächste Stunde auf einem anderen Campus fuhr, wollte ich wissen, ob das wirklich funktioniert.
Das System ist nicht ganz einfach. Erst muss man einmal kapieren, wie man die Publibikes aufschliesst, dann braucht man am Ziel eine Station, um das Bike abzustellen. Und für meine Bedürfnisse muss bei der Ausgangsstation auch immer ein E-Bike bereitstehen. Denn Lausanne ist ja ziemlich hügelig. Verschwitzt möchte ich bei der Arbeit aber nicht ankommen.
Ich plane meine Fahrten also immer und habe an diesen Tagen meinen Helm in der Tasche. Wahrscheinlich bin ich eine der wenigen, die mit Helm Publibike fährt. Und ich fahre immer sehr vorsichtig. Denn im Zentrum von Lausanne gibt es einige Stellen, die ziemlich gefährlich sind. Vielleicht muss ich noch erwähnen, dass ich unter ganz anderen Umständen Velofahren gelernt habe. Ich komme aus Mogi das Cruzes, einer Stadt mit knapp 500 000 Einwohnern in der Nähe von São Paulo. Die Stadt ist wie Lausanne sehr hügelig. Es wird wenig Fahrrad gefahren, auch weil es sehr heiss ist, aber vor allem, weil es ziemlich gefährlich ist. Meine Mutter etwa hat nie gelernt, Fahrrad zu fahren. Ich aber war als Kind ständig mit meinen Freunden auf meinem Velo unterwegs. Inzwischen hat sich die Situation in Mogi das Cruzes etwas verbessert, es gibt neue Radwege, und es fahren immer mehr Menschen Fahrrad. Das ist ein richtiger Trend geworden. Im Gegensatz zu hier brauchen die Menschen das Velo jedoch nicht als Fortbewegungsmittel, sondern um Sport zu treiben.
«So mache ich unterwegs wenigstens etwas Sport»
Bei mir ist das ähnlich. Mit dem Publibike bin ich nicht viel schneller als mit der Metro, doch so mache ich unterwegs wenigstens etwas Sport. Denn mit Job und Studium bleibt mir dafür kaum Zeit. Zudem bin ich froh, wenn ich mich in den Stosszeiten nicht in vollgestopfte Wagen zwängen muss, jetzt mit Covid natürlich noch mehr.
Ich habe mir auch schon überlegt, ob ich mir ein faltbares Elektrovelo kaufen soll. Das könnte ich auch nach Ardon mitnehmen, ein Dorf in der Nähe von Sion, wo ich seit einiger Zeit unterrichte. Doch ein solches Bike ist eine beträchtliche Investition. Für mich lohnt es sich einfach nicht, weil ich oft nur einmal pro Woche Fahrrad fahre. Und abgesehen davon finde ich es ausgesprochen praktisch, dass ich mich bei den Sharingbikes nicht um den Unterhalt kümmern muss.»
Publibike
Im Sommer 2017 vereinbarte die Stadt Bern mit der 2011 gegründeten Firma Publibike die Umsetzung eines Veloverleihsystems. Kurz darauf gab es auch in Zürich grünes Licht. 2018 startete Publibike an beiden Orten und ist heute mit gut 5300 Velos und E-Bikes an mehr als 620 Stationen in acht Schweizer Städten vertreten: Bern (Velo Bern), Freiburg, Lausanne-Morges, Sottoceneri, Région de Nyon, Siders, Sitten, Zürich (Züri Velo). Rund um die Uhr kann man die Velos mit einem Abo nutzen. Publibike startete als Tochtergesellschaft von Postauto. 2021 wurde sie Teil des neuen Konzernbereichs Mobilitäts-Services der Post. Seit 2019 arbeitet Publibike mit Partnerfirmen und -institutionen zusammen, mittlerweile sind es rund 120. Im Januar 2022 hat die Post Publibike an ein privates Konsortium verkauft. www.publibike.ch
Teile und fahre
Die Velosharingangebote nehmen stetig zu und mit ihnen die Zahl der Nutzerinnen. Das gilt vor allem für dicht besiedelte Gebiete. Publibike zählte im Jahr 2021 2,5 Millionen Fahrten, auch die Lastenveloplattform Carvelo2go ist beliebt siehe Seite 17. Zum Teil werden die Angebote mit Steuergeldern gefördert, so zum Beispiel Pick-e-Bike in Basel. Neben etablierten Unternehmen wie Publibike oder Lime startete vergangenen Sommer die Zürcher Firma Ruuf mit cargotrailer.ch, einem Sharingprogramm für Veloanhänger. Weitere Anbieter sind Velospot (Angebote vor allem in der Romandie, im Tessin und in Basel), Nextbike (vor allem in der Zentralschweiz) und Donkey Republic (in Thun und in Städten der Westschweiz). Besonders beim innerstädtischen Warenverkehr steht der sogenannten ‹Radlogistik› eine rosige Zukunft bevor. So bietet etwa die Stiftung Myclimate finanzielle Anreize für gewerbliche Nutzungen von Lastenvelos, um ihre Verbreitung zu fördern. Seit Ostern hat die Schweiz einen neuen Anbieter im Sharingmarkt: die im Herbst 2021 gegründete Famility Company. Sie bietet Langzeitvermietungen von hochwertigen Kindervelos in Form von Abos an. Das Forum bikesharing.ch dient als Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch rund ums Thema, und das Portal sharedmobility.ch lokalisiert auf einer dynamischen Karte alle verfügbaren Sharingfahrzeuge (nicht nur Velos).