Der Wettbewerbsaufwand hat sich in den letzten Jahren verdoppelt.

«Der Kern des Wettbewerbs ist der Entwurf»

Nilufar Kahnemouyi und Adrian Streich von der Laborgruppe «Steigender Aufwand» wollen einfache Wettbewerb, um die Verfahren zu entschlacken.

Ist der Aufwand für die Teilnahme an Wettbewerben wirklich gestiegen?
Nilufar Kahnemouyi: Ja, bei uns hat sich der Abgabeaufwand in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt.
Adrian Streich: Ich stelle sogar eine Verdoppelung innerhalb der vergangenen 10 bis 15 Jahre fest.

Ihr wollt den Aufwand senken, obwohl das Bauen komplexer geworden ist?
Nilufar Kahnemouyi: Die Aufgaben sind komplexer geworden, weil wir – zum Glück! – nicht mehr auf der grünen Wiese bauen. Aber umso mehr müssten die Wettbewerbe auf das Wesentliche reduziert sein. Auslober*innen sollten die Wettbewerbe vertiefter vorbereiten. Viele Leerläufe im Wettbewerb liessen sich mit Machbarkeitsstudien, genügend Vorabklärungen und guten Grundlagen verhindern.
Adrian Streich: Ich glaube nicht, dass die Aufgaben generell komplexer geworden sind. Ich sehe eher einen schleichenden Umbau des Wettbewerbs in Richtung Vorprojekt. Im Wettbewerb sollten wir die architektonische Idee suchen, die genügend robust ist, um realisiert zu werden. Die technische Umsetzung kommt erst später in der Weiterbearbeitung.

Eure Laborgruppe hat die Aufwände in Wettbewerben analysiert. Welches sind die grössten Zeitfresser?
Nilufar Kahnemouyi: Das sind eindeutig die mehrstufigen Verfahren, Zwischenbesprechungen und Überarbeitungen, die viel zu oft und schlecht begründet zur Anwendung kommen. Deshalb würden wir sie ganz abschaffen. Zudem müssen wir als teilnehmendes Büro meist zu viele Details erarbeiten, die für das Wettbewerbskonzept irrelevant sind. Und ein praktisches, aber wichtiges Detail: Oft fehlen Bestandspläne in digitaler Form.
Adrian Streich: Ja, es ist sonnenklar: Zweistufige Verfahren verdoppeln unsere Aufwände nochmals. Wir haben auch festgestellt, dass für Vorprüfungen viele Berechnungen und Nachweise verlangt werden, die kein Jurymitglied anschaut. Bei der Entschlackung dieses Ballasts würde niemand etwas verlieren.

Ist der grosse Aufwandtreiber nicht der Ehrgeiz der Architekturbüros?
Adrian Streich: Dieses Argument lenkt vom Thema ab. Hoffentlich sind die Büros ehrgeizig! Einer Sportlerin sagen wir doch auch nicht, sie solle sich bitte weniger anstrengen. Letztlich sind alle daran interessiert, dass im Wettbewerb gute Projekte entstehen. Und: Früher waren wir genauso ehrgeizig.

«Der einfache Wettbewerb ist für alle Aufgaben anwendbar.»
Nilufar Kahnemouyi

Ihr schlagt einen einfachen Wettbewerb vor. Was ist die Idee?
Nilufar Kahnemouyi: Wir wollen den Wildwuchs bei den Verfahren eindämmen, die oft falsch eingesetzt werden. Der einfache Wettbewerb soll eine Orientierung bieten und ist für alle Aufgaben anwendbar. Und er zwingt die Besteller*innen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Adrian Streich: Laut unserem Vorschlag soll es nur noch den einstufigen anonymen Projektwettbewerb geben – in den Varianten offen, selektiv oder auf Einladung. Wir haben Vorgaben für die Abgabe formuliert und diese reduziert. Zum Beispiel reichen Berechnungen für Hauptgeschossfläche, Geschossfläche und Gebäudevolumen völlig aus. Zusätzliche Daten etwa zur Gebäudehülle sollen die Auslober*innen für die Projekte in der engeren Wahl selbst berechnen. Wir finden BIM auf Wettbewerbsstufe nicht notwendig. Ein weiterer wichtiger Punkt: Spezialist*innen gehören nicht in die Fachjury. Diese soll sich aus Vertreter*innen der relevanten Disziplinen zusammensetzen, meist Architektur und Landschaftsarchitektur.

Wir müssen heute nachhaltig bauen. Muss sich das nicht in der Jury oder in den Verfahren abbilden?
Adrian Streich: Die Nachhaltigkeit – und übrigens auch die Kosten – lassen sich über die Anforderungen im Programm sicherstellen. Ob ein Gebäude nachhaltig ist, entscheidet primär das Verhältnis zwischen Geschossfläche und Hauptgeschossfläche. Wichtig ist die Bestellung: Wie viel bauen wir? Oder: Erhalten wir bestehende Bauten? Ein Wettbewerbsbeitrag ist idealerweise ein solides Projekt, das die Aufgabe räumlich, baurechtlich und brandschutztechnisch gut löst. In der weiteren Projektierung bleibt genügend Zeit, um den Rest – beispielsweise die Konstruktion – zu gestalten. Ein Wettbewerbsprojekt wird ja ohnehin nie eins zu eins umgesetzt.

Wie überzeugt ihr Bauherrschaften vom einfachen Wettbewerb?
Nilufar Kahnemouyi: Wir sollten die Energie der Planer*innen für das Wesentliche – für das architektonische Konzept – einsetzen. Wer nicht mit Randthemen beschäftigt ist, sich nicht mit präzisen 3-D-Modellen, Fassadenflächenberechnungen und Nachhaltigkeitstabellen abmüht, entwirft motivierter und kreativer. Bauherrschaften bekommen auf diese Weise innovativere Ideen und interessantere Ergebnisse, die am Ende auch nachhaltiger sind. Schlankere Wettbewerbe sind auch für Bauherrschaften günstiger.
Adrian Streich: Wenn wir es nicht schaffen, den Aufwand zu senken, wird das Wettbewerbswesen nicht mehr funktionieren. Bei uns sind 1000 Stunden für eine Wettbewerbsabgabe normal geworden, immer öfter brauchen wir 2000 Stunden. Irgendwann können das nur noch grosse Architekturbüros bewältigen. Vom Schweizer Wettbewerbswesen profitiert heute die ganze Gesellschaft, die öffentliche Hand, private Bauherrschaften, Architekturbüros, die Nutzer*innen. Es sollten also verschiedenste Personen ein Interesse daran haben, den Wettbewerb im Lot zu halten.

«Mit unnötigen Anforderungen lässt sich keine Sicherheit herstellen.»
Adrian Streich

Ist es nicht legitim, dass Bauwillige ihre Risiken mit Nachweisen begrenzen wollen?
Adrian Streich: Mit unnötigen Anforderungen lässt sich keine Sicherheit herstellen. Das grösste Risiko besteht, wenn die Kernaufgabe – der Architekturentwurf – nicht richtig gelöst wird. Ich kenne kein siegreiches Wettbewerbsprojekt, das am abgegebenen Schnitt 1:50 oder am Haustechnikschema gescheitert ist, denn das liess sich korrigieren. Es soll mir jemand einen gescheiterten Wettbewerb zeigen, der nicht wegen des architektonischen Entwurfs abgebrochen wurde!

Nehmt ihr ohne zweistufige Wettbewerbe den Bauherrschaften nicht die Möglichkeit, die Architekturbüros kennenzulernen?
Nilufar Kahnemouyi: Lernt man bei einer Zwischenbesprechung ein Architekturbüro kennen? Vertrauen und Partnerschaftlichkeit entsteht nicht während einer Präsentation. Richtig kennen lernt man sich erst, wenn im Planungs- und Bauprozess Komplikationen auftauchen. Ohnehin soll es im Wettbewerb nicht um Personen, sondern um Projekte gehen, weil diese vielleicht 100 Jahre stehen werden.
Adrian Streich: Es gibt andere und bessere Formen des Kennenlernens: Bei Einladungen oder Präqualifikationen haben uns Bauherrschaften auch schon vor den Verfahren im Büro besucht.

Könnten zweistufige Verfahren mit Skizzenpräqualifikation den Aufwand der Teilnehmer*innen senken?
Adrian Streich: Mir sind diese Skizzen zu oberflächlich. Bei unserer Arbeitsweise im Büro ist der Hauptaufwand die Generierung der städtebaulichen Situation. Und mehr als die Hälfte der Wettbewerbszeit arbeiten wir an der architektonischen Idee. Diese Idee müssen wir auch formulieren können. Eine Skizze reicht nicht.
Nilufar Kahnemouyi: Ja, wir müssen den Städtebau immer mit den Grundrissen zusammendenken. Meine Kritik: Weil die Büros die Qualifikation schaffen wollen, sind die Konzepte in der ersten Stufe schon so weit ausgearbeitet, dass sich die Jury auch bereits entscheiden könnte.

Ein Vorwurf aus dem Wettbewerbslabor: Ihr seid Ewiggestrige und wollt den Wettbewerb konservieren.
Adrian Streich: Ich sehe den Wettbewerb als bewährtes Gefäss, in dem wir über viele Themen diskutieren können. Er lässt sich mit verschiedensten Inhalten füllen. Ich sehe nicht ein, warum wir ihn auf den Kopf stellen sollten. Nochmals: Der Fokus dieses Gefässes liegt auf dem architektonischen Entwurf. Es ist die Gesellschaft, die Räume bestellt – wir Menschen leben nun mal in Räumen, die wir mit einem architektonischen Entwurf herstellen können. Das Ganzheitliche der Architektur droht heute verloren zu gehen. Es darf nicht sein, dass Zahlenmanager*innen darüber bestimmen, was wir bauen.
Nilufar Kahnemouyi: Der Wettbewerb ist ein wesentliches Standbein unserer Baukultur. Es ist ein ständiger Kampf, die Qualität hoch zu halten. Deshalb möchte ich vor dem Durchschütteln des Wettbewerbs warnen. Bei Veränderungen müssen wir sorgfältig vorgehen.

Gäbe es auch andere Möglichkeiten, den Aufwand zu senken?
Adrian Streich: Wir hätten vielleicht auch mehr offene Wettbewerbe propagieren können. Denn das hätte zur Folge, dass die Teilnehmer*innen sich mehr verteilen würden und es pro Wettbewerb weniger Abgaben gäbe.
Nilufar Kahnemouyi: Wenn wir schlankere Verfahren durchsetzen wollen, stehen auch Jurymitglieder in der Verantwortung. Sie müssen sich für einfache Verfahren einsetzen und sollen nur das einfordern, was sie auch beurteilen.

Eure Laborgruppe will weitermachen. Wie?
Nilufar Kahnemouyi: Wir wollen die Seite der Bauherrschaften zu unseren Diskussionen einladen: Warum wählen sie Verfahren, die wir als zu aufwendig einschätzen? Auch mit der Wettbewerbskommission des SIA wollen wir uns austauschen. Und wir wollen die drei Laborgruppen «Steigender Aufwand», «Klimakrise und Wettbewerb» und «Digitaler Wettbewerb» zusammenbringen, um zu einer Synthese der bisherigen Arbeit zu kommen.

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