Die Bestellung in Frage stellen Fotos: Karin Hauser (Illustration)

Eine radikal andere Ausgangslage

Ein fixiertes Raumprogramm erschwere echte Innovationen zur Klimafrage, kritisiert die Arbeitsgruppe «Klimakrise und Wettbewerb». Stattdessen schlägt sie ein CO2-Budget und ein Anforderungsprofil vor.

Die Vertreter*innen der Laborgruppe ‹Klimakrise und Wettbewerb› provozierten am Wettbewerbslabor mit zwei Thesen. Erstens: Wettbewerbe, wie sie heute vermehrt ausgeschrieben würden, eigneten sich nicht für das Bauen im Kontext von Klimafragen. Und zweitens: In der Schweiz entstehe auf diesem Weg kaum nachhaltige und den Klimazielen entsprechende Architektur. Den Grund dafür verortet die Gruppe in der Übersetzung der vielfachen Anforderungen eines Wettbewerbs in ein Pflichtenheft mit fixiertem Raumprogramm.

Im Korsett der Bestellung
Laut der Gruppe entsteht klimaunfreundliche Architektur wie folgt: Am Anfang eines Wettbewerbs stehen eine Parzelle und ein Bedürfnis. Dazu kommen die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die Anforderungen bezüglich Wirtschaftlichkeit, Funktionalität, Sozialraum, Ökologie, Nachhaltigkeit und Klima. Bei der Übersetzung in ein fixiertes Raumprogramm passiere jedoch ein fataler Fehler: Alle Wettbewerbsteilnehmer*innen erhalten die gleiche «Backmischung». Und backen den gleichen Kuchen. Die Wettbewerbsbeiträge unterscheiden sich nicht grundsätzlich voneinander, und sie können den CO2-Verbrauch einer Bestellung nicht massgeblich beeinflussen. Die Untergeschosse: vorgeschrieben. Die Wohnfläche: definiert. Das Raumprogramm: vollständig zu realisieren. Wer die Bestellung infrage stellt, fliegt raus oder wird mit einem Preis oder einem Ankauf beschwichtigt. Dabei sei es höchste Zeit zu hinterfragen, was wir uns baulich noch leisten können.

CO2-Budget und Anforderungsprofil
Statt eines Pflichtenhefts mit fixiertem Raumprogramm schlägt die Gruppe ein CO2-Budget und ein Anforderungsprofil vor. Das CO2-Budget legt fest, wie viele Treibhausgasemissionen in Erstellung und Betrieb für eine bestimmte Aufgabe an einem bestimmten Ort zur Verfügung stehen – im Wohnungsbau beispielsweise pro Bewohner*in. Das Anforderungsprofil dient dem Beschrieb der Aufgabe: Was soll auf der Parzelle entstehen? Welche Vorgaben sind zwingend einzuhalten, wo ist der Wettbewerb ergebnisoffener? Die Gruppe strebt dabei «das Minimum an sinnvollen Vorgaben» an und will den Wettbewerb damit auch vereinfachen. Die Konzentration auf eine einzige quantitative Vorgabe in der richtigen Messgrösse (CO2/p) öffne den Spielraum für neuartige und neugierige Ansätze. Die Gruppe sieht es als Befreiung, dass sich die daraus hervorgehenden Architekturen stark unterscheiden werden. Mit ihrem Vorschlag stellt sie eine radikal andere Ausgangslage zur Diskussion – die Wettbewerbsabläufe könnten aber ähnlich funktionieren wie heute.

Neue Kompetenzen
In den Workshops erhielten die Laborbesucher*innen eine Rolle zugeteilt: als Auslober*innen, Verfahrensbegleiter*innen, Wettbewerbsteilnehmer*innen und Juror*innen. Sie sollten sich Gedanken machen, wie sich ihre – für die Dauer des Workshops eingenommene – Rolle durch das angepasste Verfahren verändern würde, und sich zu seinen Potenzialen und Risiken äussern. Nicht allen fiel der Perspektivenwechsel leicht. Dennoch kristallisierte sich in der Diskussion heraus, dass vor allem die Kompetenzen und die Entscheidungsfindung der Jury angepasst werden müssten. Die Jury müsste in der Lage sein, das CO2-Budget einzuordnen, das für eine Wettbewerbsaufgabe zur Verfügung steht, und sie müsste die grossen CO2-Kostenpunkte eines Projekts kennen. Vorstellbar wäre auch, dass dies Sache der Vorprüfung wäre, so wie es heute die Baukosten sind. Sicher würde die Jury die gewählte Strategie und deren aktuelle Ausprägung stärker bewerten als ein fertiges Projekt. Bereits im Vorfeld war der Arbeitsgruppe klar, dass ihr Vorschlag besonders bei Bauherrschaften Fragezeichen und Ängste auslösen würde. Doch sie stellt sich auf den Standpunkt, dass Bauen angesichts der Klimakrise mit einer grossen Verantwortung einhergeht. Diese könne mit ihrem Vorschlag wahrgenommen werden, argumentiert die Gruppe.

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