Die tiefschwarze Frakturschrift breitet einen Schriftteppich über die Seiten, lebendig wie eine Magerwiese, schwelgt der Stadtwanderer.

Festungskunde

Noch vor 50 Jahren glaubte die Schweizerarmee an die Widerstandskraft ihrer Festungen. Auch Benedikt Loderer sass in einer drin. Nun hat er Albrecht Dürers Buch zur Festungskunde gelesen.

Der ausgeschaubte Festungsartillerist, der ich immer noch bin, kannte seinen Dürer, genauer, tat so, in Wirklichkeit kannte ich nur einige Illustrationen daraus. Darum intrigierte mich Dürers Buch zur Festungskunde als ich es in einem Antiquariatskatalog antraf. Was ist Luxus? Jedes Buch kaufen zu können, das mich lockt. Die Post brachte es.


Kommt ein Buch in einen Schuber gehüllt daher, dann weiss ich: Es ist von Buchadel. Faksimile heisst das Zauberwort. Die erste Ausgabe von 1527 ist getreulich nachgemacht. Zusätzlich mit einer Übertragung in ein modernes Deutsch versehen und mit einem vielwissenden Kommentar ergänzt. Gedruckt auf Büttenkupferdruckpapier der Hahnemühle Dassel. Der Anhang wurde in 12 Punkt Polyphilus gesetzt. Das bibliophile Publikum war davon sicher beeindruckt, denn auch die übrige Ahnentafel der Druck- und Bindequalität ist lang und vornehm. 700 Exemplare des Buches gibt es auf dieser Welt, meines trägt die Nummer 579.


Mit spitzen Fingern blätterte ich darin. Sofort überwältigte mich der Grauwert. Die tiefschwarze Frakturschrift breitet einen Schriftteppich über die Seiten, lebendig wie eine Magerwiese. Vor allem auf den Seiten ohne Absatz. Die Initiale steht oben links als Kopf, dann fliesst der Text über das weisse Papier, hält unten an und kommt als Schriftsee zur Ruhe. Ich sprang hinein. Dürer hat nicht gespart. Seine Holzschnitte beanspruchen viel Platz, oft eineinhalb, ja zwei Seiten. Das führt zu Ausfaltblättern. Öffne ich sie, so spüre ich das edle Papier an den Fingerkuppen. Bücher von Adel liest man auch mit dem Tastsinn.

Befestigungsschema im Schnitt: Statt hoch und dick muss die Stadtbefestigung nun flach und tief sein. Wall und Graben, statt Mauer und Zwinger.

Ja und was steht denn drin? Wie man um 1500 eine Festung baut oder eine bestehende Stadt besser befestigt. Die Artillerie wurde immer wirkungsvoller, die mittelalterlichen Stadtmauern standen zwar aufrecht, waren aber längst nicht mehr standhaft. Was tun? Man baute Bastionen. Nicht die Mauern, sondern die Erdmasse hielt die Kanonenkugeln auf. Statt hoch und dick muss die Stadtbefestigung nun flach und tief sein. Wall und Graben, statt Mauer und Zwinger. Dürer hatte von den Italienern das Bastionieren gelernt. Er machte keine Erfindungen, er wendete an und ging ins Grosse. Selbst Ferdinand, der König von Böhmen und Ungarn, der später römisch-deutscher Kaiser wird, dem das Werk zugeeignet ist, konnte sich diese Riesenbauten nicht leisten. Was stand dahinter? Es ging um die Türkenabwehr. Die hatten bereits Ungarn erobert und die erste Belagerung Wiens durch die Osmanen stand vor der Tür: 1529. Dürers Handbuch kam zu spät.


Was lernt der ausgeschaubte Feuerleitoffizier daraus? Wie der Direktschuss funktioniert. Dürers Feuerwerker schiessen auf Sicht. So wie mit einer Muskete oder einer Armbrust. Das Ziel muss vor Augen liegen. Kommt dazu, sie schiessen nicht besonders weit. Mehr als 1000 Meter kaum. Und sie sind so unbeweglich! Die drinnen wie die draussen. Trotzdem, mit Bastionen wie sie Dürer entwirft, beginnt, was bei Vauban 250 Jahre später zum Höhepunkt kommt: Die Festung, la place forte. Nicht mehr eine Burg oder eine Stadt, sondern ein teures, weitausgreifendes Festungswerk, das oft, aber nicht immer eine Stadt umschliesst. In der Schweiz war Genf das eindrücklichste Beispiel. Wir halten, heisst die Devise.

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