Siegerprojekt von Andy Senn für das Schulhaus Ringstrasse in Chur

Eine Aufgabe, zwei Verfahren

In Chur und Zürich fanden gleichzeitig zwei ähnliche Schulwettbewerbe statt. Der eine war selektiv, der andere offen ausgeschrieben. Die Wahl des Verfahrens beeinflusste das Resultat stark.

Die Aufgaben an der Ringstrasse in Chur und am Friesenberg in Zürich unterschieden sich nur unwesentlich. Mit 69 Millionen Franken in Chur und 60 in Zürich waren die Zielkosten und das Programm für eine neue ‹ quartierbildende Schulanlage › nahezu deckungsgleich. Die Bündner Kantonshauptstadt wählte jedoch ein selektives Verfahren mit lediglich 12 handverlesenen Generalplanerteams aus Architekt, Landschaftsarchitekt und Bauingenieur, während sich die Stadt Zürich für den offenen Wettbewerb entschied, mit einer Beteiligung von letztlich 84 Teams aus Architekten und Landschaftsarchitekten. Doch Chur ging mit der Präqualifikation ein ungleich höheres Risiko ein.

Schulhausexperten 
In Chur bestand das Teilnehmerfeld, bis auf eines aus Basel und eines aus Berlin, ursprünglich nur aus Zürcher Büros; erst der Rückzug von E2A führte zur Teilnahme des einzigen Ostschweizer Büros als Nachrücker und späterer Sieger, Andy Senn aus St. Gallen. In Zürich kam das Teilnehmerfeld überwiegend aus der eigenen Stadt, weist aber mit gut 25 Prozent Auswärtigen aus anderen Kantonen und Europa eine für hiesige Verhältnisse recht breit gefächerte Herkunft der Verfasser auf. Nur vier Büros nahmen an beiden Wettbewerben teil. In Chur sass der Basler Meinrad Morger als einziger Auswärtiger in der sonst Ostschweizer Jury. In Zürich war es die Churerin Angela Deuber, die in einem sonst rein stadtzürcherischen Preisgericht mitwirken durfte. Kurios: Bei beiden Verfahren nahm kein Bündner Büro teil – nicht ein einziges.

Beim selektiven Verfahren in Chur konnten zwei Jungbüros teilnehmen, beide schieden im ersten Rundgang aus. In Zürich durften ohne Ausnahme alle Jungbüros teilnehmen, die sich dieser Aufgabe gewachsen fühlten. Der Nachwuchs (u40) war, wenn unsere Schätzung stimmt, mit 29 Projekten vertreten, wovon es zwei bis in die Ränge schafften: Das Nachwuchsbüro Waldrap konnte den Wettbewerb sogar für sich entscheiden – übrigens kein Novum in Zürich – und KNTXT gewann den 6. Preis. (Lesen Sie hier den Kommentar von Marcel Bächtiger zum Wettbewerbsresultat in Zürich.)

Siegerprojekt von Waldrap für die Schulanlage Borrweg in Zürich

Beim Verfahren in Chur wissen wir leider nicht, wieviele und welche Büros sich um die Teilnahme beworben haben, der Schlussbericht macht dazu keine Angaben, aber eins ist sicher: Mit Gigon Guyer Architekten als Teilnehmer hat sich das Preisgericht keinen Gefallen getan. Gigon Guyer haben ihre Stärken und sind erfolgreich, aber ihre Expertise im Schulhausbau in den letzten 30 Jahren ist bescheiden, da hätte es leicht zwei Dutzend andere Büros in der Deutschschweiz gegeben, die zum Schulhausbau einen engagierteren und qualitätvolleren Beitrag hätten leisten können. 

Das ist ärgerlich für alle, die in den letzten Jahren zum Schulhausbau gearbeitet haben und nun hinten anstehen mussten. Gigon Guyer sucht man übrigens im Teilnehmerfeld in Zürich vergebens. Und apropos Schulhausbau, Meinrad Morger, sicher auch ein Vollblutarchitekt, sticht auch nicht als Schulhausexperte hervor. Die Stadt Zürich hat es sich hingegen zur Gewohnheit gemacht, Preisträger vorausgehender Wettbewerbe oder Verfasser besonders engagierter Beiträge der letzten Wettbewerbe in die Jury zu berufen. Mit Angela Deuber und Ünal Karamuk konnten sich zwei frische Köpfe in die Beurteilung einbringen. Vorbildlich.

Zu wenig oder zu viel? 
Die Summe der Preisgelder war bei beiden Wettbewerben fast identisch, auch die Anzahl Preise unterschied sich nur unwesentlich. SIA sei Dank für die Wegleitung ist bei beiden Verfahren die Höhe der Gelder nicht zu beanstanden. Chur vergab sechs Preise und entschädigte alle Teilnehmer, Zürich prämierte sieben Eingaben, die anderen 77 Teilnehmer gingen, wie bei offenen Verfahren üblich, leer aus. Das zeigt die Zweiklassengesellschaft in der Wettbewerbsszene. Die einen werden ausgewählt und arbeiten fast kostendeckend in einem geschützten Rahmen, die anderen buttern ihre Rücklagen in die Akquise und stellen sich der grossen Konkurrenz.

Während die Jury in Chur gerade einmal elf Projekte diskutieren konnte – Ernst Niklaus Fausch hatten sich kurzfristig zurückgezogen –, waren es in Zürich 84 Eingaben. Die städtebaulichen und typologischen Ansätze in Chur sind in ihrer Vielfalt leider überschaubar: Es gibt nur einen Entwurf, bei dem das gesamte Programm in nur einem Gebäude untergebracht wird, immerhin vier Projekte mit je zwei Gebäuden und sechs Entwürfe mit drei Gebäuden, die jeweils einen zentralen Freiraum umstellen. Nach dem ersten Rundgang stand die engere Wahl dann auch schon fest.Am Friesenberg in Zürich hingegen konnte die Jury aus einer wesentlich grösseren Varianz wählen und mehr Projekte in die nächsten Runden mitnehmen. Auch waren die meisten Entwurfsansätze mehrmals vertreten. Erst nach dem dritten Wertungsrundgang blieben sieben Projekte in der engeren Wahl, die sich typologisch aber noch immer deutlich unterscheiden. Man kann annehmen, dass die Jury jeweils die vielversprechendsten Projekte eines jeweiligen städtebaulichen und typologischen Ansatzes in die Schlussrunde mitnahm.

Wie aber sieht es im Vergleich dazu in Chur aus? Dort versammelten sich im zweiten und letzten Rundgang sechs Projekte, von denen drei den gleichen städtebaulichen Ansatz verfolgen, aber keines davon den Sieg davontrug. Das ist irritierend. Das Preisgericht in Chur kürt das einzige Projekt zum Sieger, das keinen Platz oder Freiraum als Auftakt und Adresse an der Ringstrasse vorsieht. Alle anderen zehn Projekte öffnen das Areal zur Strasse. Was tun, wenn unter den wenigen Projekten zu wenig Vielfalt, zu wenig Spreizung herrscht? Das Ziel eines Wettbewerbs ist es auch, dem Preisgericht eine breite Palette an möglichen Lösungen als Diskussionsgrundlage zu Verfügung zu stellen. In Chur bieten die wenigen und zu ähnlichen Projekte zu wenig Stoff für eine spannende Geschichte mit Happy End. Das Siegerprojekt scheint in Teilen wie aus der Zeit gefallen und verwundert mit einer fast 100 Meter langen Korridorschule als Lärmschutzriegel entlang der Ringstrasse, auch die Schulgeschosse auf der Sporthalle und die Cluster bleiben schematisch. Was wäre wohl für ein Projekt gekürt worden, hätte man das Teilnehmerfeld aufgemacht?

Erdgeschoss des Projekts von Andy Senn

Die Sache mit der Anonymität 
Einer der wichtigsten Pfeiler des Projektwettbewerbs ist die Anonymität. Sie soll die Unvoreingenommenheit des Preisgerichts bei der Beurteilung sicherstellen. Bei selektiven Verfahren ist diese Anonymität von vornherein gefährdet. Die gleiche Jury, die die Projekte beurteilt, hat auch schon die Präselektion durchgeführt, sie kennt die Namen der teilnehmenden Büros, deren entwerferische Handschrift, die Grafik, die Ästhetik der Visualisierungen aus den Bewerbungsunterlagen. Durch die geringe Teilnehmerzahl bei Wettbewerben mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ist es fast unvermeidlich, dass das Fachpreisgericht die Autorenschaft der Projekte zumindest in Teilen erkennen oder erraten kann. Beim Wettbewerb an der Ringstrasse zum Beispiel kann man die Pläne von Andy Senn, Roger Boltshauser, Thomas Fischer und Felgendreher Olfs Köchling zweifelsfrei den Verfassern zuordnen. Auf dieses Problem angesprochen erhält man von den Fachpreisrichtern die Antwort, dass die Jury auf Grundlage funktionaler, fachlicher und architektonischer Qualitäten entscheidet, unabhängig von der Kenntnis der Namen der Verfasser. Das mag glauben, wer will, aber erkannte Autorenschaft löst mindestens eine kleine Befangenheit aus. Die so hoch gepriesene Anonymität ist in jedem Fall nicht vollständig gewährleistet.

Ganz anders und ohne Anschein von Befangenheit verhält es sich beim offenen Wettbewerb. Hier kennen weder die Jury noch die Teilnehmer die Liste. Das Preisgericht stand in Zürich schlicht und einfach 84 Projekten gegenüber, und das ganz ohne Beigeschmack. Andy Senn, Felgendreher Olfs Köchling, Thomas Fischer und horisberger wagen haben auch am Borrweg in Zürich teilgenommen. Ihre Arbeiten hingen zwischen 80 weiteren und waren kaum zu identifizieren. Andys Senns Pläne (ausgeschieden im ersten Rundgang) hätten genauso gut von einem anderen St. Galler Büro stammen können, die typische Grafik mit den Modellbildern wird im St. Gallischen von verschiedenen Büros angewandt. Thomas Fischers Beitrag (3. Rang) hingegen war zwar unverkennbar, aber sein Erfolgsmodell der Einhausschule mit der Stapelung von Schulhaus und Sporthalle findet immer mehr Nachahmer. Felgendreher Olfs Köchling (zweiter Rundgang) stechen durch ihre Plangrafik der Tableaus und ihre Entwurfshaltung heraus, unverkennbar, aber auch leicht zu imitieren. Das Büro horisberger wagen (erster Rundgang) wiederum hat keine erkennbare Plangrafik oder Entwurfssprache. Gigon Guyer übrigens, sucht man hier vergebens.

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Kommentare

Urs Wolf 28.04.2020 15:58
Wir haben uns also schon ganz schwer vertan beim heiteren Namen raten hinter den Projekten. So leicht geht das wirklich nicht. Kennt man einmal das Ergebnis, dann scheint es möglicherweise leicht. Und wie Mathias schreibt, nur der Gewinner legt (noch) nicht drauf!
Mathias Müller 28.04.2020 12:57
"Die einen werden ausgewählt und arbeiten fast kostendeckend in einem geschützten Rahmen, die anderen buttern ihre Rücklagen in die Akquise und stellen sich der grossen Konkurrenz." Diesen Satz finde ich als inhaltlich falsch, polemisch, und schlicht ärgerlich. Von einer fast kostendeckenden Wettbewerbstätigkeit im Fall von eingeladenen Wettbwerben zu sprechen kann wohl nicht ernst gemeint sein. Wie lange arbeitet ein Büro für CHF 7'000.-? Dazu kommen noch die Kosten fürs Modell und allenfalls Renderings... wir als fast reines Wettbewerbsbüro investieren jedenfalls enorme Summen in unsere Wettbewerbe, welche durch die Fixentschädigungen nie und nimmer wieder reinkommen. Im Übrigen ist unsere Erfolgsquote bei eingeladenen und offenen Wettbewerben über die Jahre gesehen fast identisch. Statt den eingeladenen WB gegen den offenen auszuspielen (beide haben ihre Vor- und Nachteile) müsste sich eher mal überlegen, wie alle die Büros zu ihren Aufträgen kommen, die wenige Wettbewerbe machen und trotzdem viel Bauen? Golfturniere organisieren? Netzwerken in Serviceclubs? Günstiges Honorar offerieren? Und was für Bauherren sind das, die sich auf solche Aquisitionsstrategien einlassen, anstatt sich für das beste Projekt in einer Konkurrenz zu entscheiden?
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