Das ETH-Architekturdepartement ist eine Männerwelt. Nach der jüngsten Berufungswelle wird es auch eine bleiben. Chronologie einer Niederlage.
Herzog & de Meuron, Diener und Märkli, Šik und Eberle, Christiaanse, Lampugnani und Hassler – seit 2015 sind viele Professoren abgetreten, die das ETH-Architekturdepartement prägten. Einige ihrer Lehrstühle zerteilte die Hochschule in zwei kleinere, gleichzeitig erhöhte sie das Budget des Departements und verteilte es neu. Dies ermöglichte in den letzten drei Jahren zwanzig Berufungen und Beförderungen. Bei derzeit 45 Professoren ist das ein beachtlicher Generationenwechsel.
«Sie haben diese einmalige Chance verpasst», sagen Charlotte Malterre-Barthes und Torsten Lange. Als Teil der ‹Parity Group› engagieren sich die Postdoktorandin und der Dozent seit Jahren für mehr Diversität am Departement. Tatsächlich sind nun sechs Frauen unter den zwanzig Neuernannten. Das ist keine streng arithmetische Parität, aber immerhin stieg der Anteil der Professorinnen dadurch zwischen 2015 und 2019 von 13 auf 20 Prozent. Das entspricht dem Trend im ETH-Bereich, wo Frauen 2018 ein Drittel der Ernennungen ausmachten.
Das Versagen in den Augen der ‹Parity Group› erklärt erst der Blick auf die Art der Lehrstühle. Eine Frau wurde Titularprofessorin. Fünf Frauen und vier Männer besetzen ausserordentliche Professuren, bis auf eine Ausnahme mit Sechsjahresverträgen. Doch die Hälfte der zwanzig Neuernannten wurden ordentliche Professoren mit unbefristetem Lehrauftrag, mehr Lohn, Budget und Angestellten. Sie werden das Departement in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägen. Und sie alle sind Männer.
Akademische Aktivisten
Im internationalen Vergleich hat die ETH selbst angesichts ihres technischen Profils wenige Professorinnen. Im globalen ‹race for talents› ist das für Wissenschaftlerinnen ein Minuspunkt. Seit dem Bundesprogramm Chancengleichheit aus dem Jahr 2000 macht der Bund via den ETH-Rat darum regelmässig Zielvorgaben für höhere Frauenanteile auf allen akademischen Stufen, die die Hochschulen ebenso regelmässig nicht erreichen. 2014 verabschiedet die ETH-Schulleitung darum den ‹Gender Action Plan› mit vier Handlungsfeldern: Karriereentwicklung, Genderaspekte in Forschung und Lehre, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Belästigung und Diskriminierung. Die Umsetzung des Plans delegiert sie an die Departemente. Sie ist letztlich freiwillig.
Während das Architekturdepartement selbst zunächst nichts unternimmt, entsteht ab dem Herbstsemester 2014 eine Grass-Roots-Bewegung. Nach einer Schlusskritik mit ausschliesslich männlichen Gästen beschliessen unzufriedene Assistenten und Studentinnen, sich zu engagieren. Im Sommer 2015 gründen sie die ‹Parity Group› und erarbeiten erste Ideen.
Am 8. März 2016, dem 95. Weltfrauentag, veranstaltet die Gruppe die ersten ‹Parity Talks›. Die Plakate – Konzept und Design der Kampagne stammen vom Grafikatelier Völlm + Walthert – zeigen Herzog & de Meuron im Crossdressing, Le Corbusier mit gelbem Haar und blau umrandeten Augen und Gottfried Semper höchstpersönlich mit knallroten Lippen, grünem Lidschatten und roter Perücke. Die Debatte zwischen Departementsangehörigen und Gästen mündet in ‹Neun Punkte für die Gleichstellung›, darunter die Forderung nach «Geschlechter-Parität bei Professuren, Dozenturen, Oberassistenzen, Gastvorträgen und Gastkritiken». Hochparterre publiziert diese neun Punkte in der Septemberausgabe 2016. Zwei Monate später nimmt der SIA den Ball auf. In einem Brief an Annette Spiro und Lino Guzzella, damals Departementsvorsteherin und Schulpräsident, fordert er «weibliche Professuren an der ETHZ».
Bauingenieure engagierter als Architekten
Damals wissen die akademischen Aktivisten noch nicht, dass sie eine Zehn-zu-null-Niederlage kassieren werden. Was aber bekannt ist: Seit Jahrzehnten liegt der Anteil der Studentinnen am Departement zwischen einem Drittel und der Hälfte. Das bleibt so bis zur Stufe der Doktorierenden, danach sinkt der Frauenanteil auf der akademischen Karriereleiter zunächst sanft, dann steil. Diese ‹leaky pipeline› ist laut Gender Monitoring 2015 / 16 am Architekturdepartement «steiler als im ETH-Durchschnitt, d.h. die Chancen von Frauen […] vergleichsweise gering». In Zahlen: Mit 44 Prozent Studentinnen liegt das Architekturdepartement damals deutlich über dem ETH-Durchschnitt von 30 Prozent. Trotzdem ist der Professorinnenanteil mit 13 Prozent exakt gleich hoch.
Am 11. März 2016 ernennt die ETH Stefan Holzer zum ordentlichen Professor für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte. Eins zu null.
Im Mai 2016 kommt der erste Umsetzungsbericht zum ‹Gender Action Plan› zum Schluss, dass sich «Departemente mit einem tiefen Studentinnenanteil sehr viel engagierter um die Chancengleichheit kümmern». Bei den Bauingenieuren beispielsweise startete die Departementsleitung bereits 2014 einen mehrstufigen Prozess und forderte die Professuren auf, ihren Mitarbeitenden dafür Arbeitszeit freizustellen. Schon 2015 hatten sie 22 Massnahmen in fünf Handlungsfeldern erarbeitet, die über den Faktor Geschlecht hinausgehen. Derweil versuchten bei den Architekten noch ein paar Aufmüpfige aus dem Mittelbau, das Thema überhaupt zu platzieren.
Am 9. Dezember 2016 ernennt die ETH Maarten Delbeke zum ordentlichen Professor für Geschichte und Theorie der Architektur. Zwei zu null.
#MeToo auch in der Architektur
2017 macht das Architekturdepartement in Gleichstellungsfragen erste Fortschritte. «Miss Mies» mit Schmetterlingsbrosche ziert die Plakate der zweiten ‹Parity Talks›. Die Professorenkonferenz bekennt sich nun offiziell zum ‹Gender Action Plan›, und ein informelles ‹Parity Board› entsteht. Die Departementskonferenz verabschiedet die Zielvorgabe ‹50 % + 50 % = 100 % for excellence› für paritätische Berufungskommissionen, Gastkritiken und Vortragsreihen. Die Professorenstufe ist davon ausgenommen, denn hier zählt allein die Exzellenz.
Und dann kommt #MeToo.
Ab Mitte Oktober wirbelt die Bewegung in den sozialen Medien die Filmwelt durcheinander. Bald kursiert auch die anonyme Google-Tabelle ‹Shitty Architecture Men›. Drei ETH-Architekturprofessoren stehen darauf, einer davon mit mehreren Einträgen zu sexueller Belästigung an US-Universitäten. Daraufhin beschliessen ehemalige Mitarbeitende seiner Zürcher Professur, die ETH mit ihren eigenen Erlebnissen zu konfrontieren.
Am 14. Dezember 2017 befördert die ETH Philippe Block zum ordentlichen Professor für Architektur und Tragwerk. Drei zu null.
Fortschritte dank Belästigungsvorwürfen
Anfangs 2018 sammelt die Fachstelle für Chancengleichheit weitere Vorfälle des Architekturprofessors. Nun melden sich auch Studierende. Die Vorwürfe drehen sich um ein katastrophales Arbeitsklima und sexuelle Belästigung. Mittlerweile ist die Professorenschaft aufgeschreckt. «Seither nehmen sie unsere Anliegen ernster», sagen die zwei Aktivisten.
8. März 2018, Weltfrauentag. Rem Koolhaas blickt mit roten Fingernägeln und Ohrringen aus dem Plakat der dritten ‹Parity Talks›. Bei der darauffolgenden Departementskonferenz ist der Antrag zur Gründung einer Parity- und Diversity-Kommission erfolgreich. Aus dem informellen ‹Parity Board› ist damit eine in der Geschäftsordnung verankerte Kommission entstanden. Ihr Ziel: die neun Punkte umsetzen. Ihre Macht und ihre Mittel: «momentan leider wenig mehr als guter Wille, aber wir bemühen uns um mehr Gehör und Unterstützung», sagt Philippe Block, der mit der Kunstprofessorin Karin Sander, den zwei Aktivisten der ‹Parity Group› und zwei Studierenden zur Erstbesetzung gehört. Die Kommission darf Stellung beziehen zur Besetzung der Berufungskommissionen. Doch inzwischen rollt die Berufungswelle ihrem Ende entgegen.
Am 8. März 2018, dem 97. Weltfrauentag, ernennt die ETH Emanuel Christ und Christoph Gantenbein zu ordentlichen Professoren für Entwurf und Architektur. Fünf zu null.
Am 17. Mai 2018 ernennt die ETH Tom Avermaete zum ordentlichen Professor für Geschichte und Theorie des Städtebaus und befördert Laurent Stalder zum ordentlichen Professor für Architekturtheorie. François Charbonnet und Patrick Heiz werden ordentliche Professoren für Architektur und Entwurf. Neun zu null.
Einen Monat später findet an der Architekturbiennale in Venedig ein feministischer Flashmob statt. An Bord sind mehr als hundert Architektinnen, darunter die Biennale-Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelly McNamara, Elizabeth Diller, Kazuyo Sejima und Benedetta Tagliabue. Die Pritzkerpreis-Direktorin Martha Thorne verliest das Manifest ‹Voices of Women›.
Zeitgleich macht das Online-Portal ‹Tsüri› die laufende Voruntersuchung gegen den ETH-Architekturprofessor publik. Drei Monate später stellt die Hochschule ihn frei und leitet eine Disziplinaruntersuchung ein.
Mittlerweile ist der ‹Gender Action Plan› vier Jahre alt. Im Umsetzungsbericht 2018 steht: «Die bereits 2016 beobachtbaren Unterschiede im Aktivitätslevel der Departemente haben sich eher vergrössert als verkleinert.» Die Architekten können nun immerhin die neue Kommission, die ‹Parity Talks›, ein Gender-Wahlfach und ein paritätisches Doktoratsprogramm vorweisen. Die Fortschritte der Bauingenieure füllen bereits einen 13-seitigen Bericht. Eine eigene Website zum Thema listet die ETH-weit erste Ansprechperson auf Departementsstufe auf, und eine ‹Gender Diversity Kommission› beginnt 2019 ihre Arbeit.
Patriarchat Schweiz
«Die Schweiz ist eine patriarchalische Gesellschaft», betitelt die NZZ im Dezember 2018 ein anderthalbseitiges Interview mit Philip Ursprung. Im Lauftext ergänzt der Departementsvorsteher: «Und die Hochschulen sind Teil davon.» In der Tat kam das Frauenstimmrecht hierzulande erst 1971, also ein halbes Jahrhundert nach den meisten Ländern Mitteleuropas. 1981 folgte der Gleichstellungsartikel. Als Elisabeth Kopp 1984 erste Schweizer Bundesrätin wurde – damals noch «Frau Bundesrat» –, war die Ehe ein Verfügungsrecht. Auch als die Tessiner Architektin Flora Ruchat-Roncati im Jahr darauf die erste Professorin der gesamten ETH wurde, brauchten Frauen noch die Unterschrift ihres Mannes, um einen Job anzunehmen. Erst 1988 änderte sich das. 1991, im Jahr des Frauenstreiks, entstanden die Gleichstellungsbüros von ETH und Universität Zürich. 2004 kam der Erwerbsersatz während des Mutterschaftsurlaubs per Volksabstimmung. Beim Vaterschaftsurlaub ist die Schweiz noch immer ein europäisches Schlusslicht.
Die akademische Welt ist ein Spiegel dieser Gesellschaft. In den Statistiken der ‹International Alliance of Research Universities›, eines Elite-Uni-Verbunds von Nordamerika bis Australien, haben nur die Universitäten von Tokio und Singapur weniger Professorinnen als die ETH, selbst in den Bereichen Physik, Technik, Ingenieurswissenschaften und Mathematik. Mit 14 Prozent Professorinnen liegt die EPFL praktisch gleichauf. Zum Vergleich: Die Schweizer Fachhochschulen haben meist um die 30 Prozent Professorinnen und Dozentinnen. An den Universitäten sind es meist knapp ein Viertel. Bei den Uni-Studierenden ist der ‹gender shift› derweil längst passiert: 2001 begannen erstmals mehr Frauen als Männer ein Studium. Seit 2008 sind sie gesamthaft in der Überzahl.
Auf dem richtigen Weg?
Nachdem ein Artikel über die Belästigungsvorwürfe in den Damentoiletten hängt, sagt eine junge Entwurfsassistentin: «Mir hängt die Fifty-fifty-Rhetorik zum Hals raus, das Patriarchat ist doch längst Vergangenheit.» Fast alle Assistentinnen und Doktorandinnen berichten von einer diskriminierungsfreien und interessanten Umgebung. Ältere Wissenschaftlerinnen sagen eher Dinge wie: «Mit Glück leiten Frauen eine Forschungsgruppe oder bekommen einen befristeten Lehrstuhl oder eine Titularprofessur. Die grossen Futtertröge gehen immer an Männer.»
Am 13. Dezember 2018 ernennt die ETH Freek Persyn zum ordentlichen Professor für Architektur und urbane Transformation. Zehn zu null.
Persyn ist der sechste Belgier, der seit 2016 ans Departement berufen wird. Dazu kommen je zwei Deutsche und Franzosen, ein Holländer, eine Serbin und eine Japanerin. «Die Nationalität spielt keine Rolle», erklärte Philip Ursprung bereits in Hochparterres Aprilausgabe 2018.
Und das Geschlecht, spielt es eine Rolle? Am Tag von Persyns Berufung stellt Hochparterre Philip Ursprung diese und andere Fragen: Ob die Taten, die er in der NZZ aufzählte – die neue Kommission, die Fünfzig-zu-fünfzig-Vorgabe, die ‹Parity Talks› –, nicht vorab Dinge sind, die akademische Aktivisten in ungezählten Freizeitstunden erkämpften? «Das Departement besteht nicht nur aus der Professorenschaft, und darum begrüssen und unterstützen wir Initiativen aus dem Mittelbau und von den Studierenden.» Wie weit ist das Departement von sinnvoller Diversität entfernt? «Wir sind weiter, als es von aussen scheinen mag und auf dem richtigen Weg, allerdings liegt auch noch ein Stück vor uns.» Warum besetzte die ETH die ordentlichen Lehrstühle ausschliesslich mit Männern? «Wichtiger als der Status der Professuren ist, dass wir in der letzten Berufungswelle sechs Professorinnen gewinnen konnten.» Welche Rolle spielten die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung bei den jüngsten Fortschritten für die Chancengleichheit? «Im bereits laufenden Prozess dienten sie sicherlich als Katalysator, um unser Bewusstsein für Machtgefälle und Chancengleichheit noch zu schärfen.»
Komplizierter als Kinder
«Diese Themen sind präsenter als zuvor», sagt Entwurfsprofessor Adam Caruso, «und die Neuernannten sind diesbezüglich bewusster und interessierter.» Philippe Block bestätigt das und fügt an: «Mittlerweile ist die Stimmung sehr angespannt. Viele haben Angst, etwas Falsches zu machen oder zu sagen, Angst auch gegenüber den Medien. In der High-Speed- und High-End-Wissenschaft begegnen junge Eltern, die in leitenden Positionen kürzertreten wollen, erheblichen Barrieren. Über diese Dinge müssen wir offen sprechen, wollen wir die bestmöglichen Strukturen aufbauen. An unserem Institut diskutieren wir derzeit, wie sich erweiterter Mutterschutz und Elternzeit für beide Partner finanzieren liessen.»
Immer wieder geht es in den Gesprächen zur Chancengleichheit um Kinder. Ist es ein Zufall, dass die einzigen drei ordentlichen Architekturprofessorinnen keine haben? Die Vereinbarkeit von Familie und Karriere hat sich in den letzten zwanzig Jahren zwar entwickelt, doch in profilierten Jobs ist sie noch immer eine Herausforderung. Für die Kinderbetreuung während Departementsvorträgen ist mittlerweile gesorgt, doch bei Schlusskritiken, Lehrstuhlveranstaltungen oder Symposien ist das nicht der Fall. «Wir wünschen uns eine Hochschule, die sich weniger auf privat organisierte Kinderbetreuung verlässt oder Veranstaltungen zeitlich familienverträglicher ansetzt», sagen die Aktivisten der ‹Parity Group› und kritisieren: «Die Mutterschaftspause ist zwar bezahlt, aber dass der Vertrag nicht entsprechend verlängert wird, diskriminiert Frauen explizit. Diese Zeit fehlt den Müttern eins zu eins, beispielsweise um ihre Doktorarbeit zu schreiben.» Ein emeritierter Professor sagt: «Man kann das alte Modell umdrehen – der Mann kümmert sich um die Kinder, die Frau macht Karriere –, aber beides gleich aufteilen geht nicht in Jobs, die einen mit Haut und Haaren fressen. Im Übrigen braucht eine Frau, die Karriere macht, einen Mann, der das mitträgt – und erträgt.»
Kinder- und Familienfragen erklären nicht alles abschliessend. Ein Beispiel: Zwischen 1986 und 2017 reichten Frauen am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (GTA) 36 von 91 Doktorarbeiten ein. Dennoch ist das Institut seit der Gründung 1967 fest in Männerhänden. Die drei Jahre dauernde Titularprofessur von Ita Heinze-Greenberg sieht da wie ein aus der Reihe tanzendes Intermezzo aus. Sie sagt: «Persönlich würde ich mich an einem paritätisch besetzten Institut und Departement wohler fühlen, so wie ich es am Technion in Haifa in den Achtziger- und Neunzigerjahren erlebte.»
Immer wieder geht es in den Gesprächen zur Chancengleichheit auch um unbewusste Vorurteile und tief verankerte Rollenbilder, um die Erziehung von Jungen und Mädchen, um Erfolgskriterien und Führungsstile, die Dynamik von Männer- und Frauengruppen und die Frage: Wie überwinden wir die Opferrolle der Frauen zugunsten einer gemeinsamen Aufgabe?
Wie weiter?
Die akademischen Aktivisten erhoffen sich nun den Durchbruch für ihre Anliegen, nicht bloss etwas mehr Budget für die nächsten ‹Parity Talks› im März: «Im Fahrwasser des Belästigungsfalls sind wir einen Schritt vorangekommen, doch nun braucht das Departement eine festangestellte Diversity-Delegierte mit einer kompetenten und strategischen Vision. Denn wir und die Studierenden, die sich engagierten, sind temporäre Figuren.»
Die Parity- und Diversity-Kommission nimmt derzeit Stellung zur Besetzung der Berufungskommissionen. Sollte sie auch Kandidierende kommentieren dürfen? Sie brütet auch darüber, wie weibliche Vorbilder im Curriculum mehr Platz erhalten könnten und wie sich genderrelevante Themen fest verankern liessen. Die Studierenden sollen öfters die Werke von Lina Bo Bardi, Charlotte Perriand und Eileen Gray sehen, von Lux Guyer, Flora Steiger-Crawford und Flora Ruchat-Roncati. «Langfristig muss es aber um mehr als um das Geschlecht gehen, Diversität beinhaltet Fragen von Rasse und Klasse, Ethnie und Identität», sagen die Aktivisten. «Die Studierenden werden vielfältiger und stellen entsprechende Fragen, darauf muss der Lehrplan antworten.» Und natürlich brauche es weibliche Vorbilder, also Professorinnen. «Ohne positive Diskriminierung kommen wir da nie ans Ziel.»
Eine zweite Chance
Nun ist der Generationenwechsel passiert. In den letzten zwei Jahren hat die ETH je vier Frauen – An Fonteyne, Momojo Kajima, Anne Lacaton und Elli Mosayebi – und vier Männer – Arno Brandlhuber, Anne Holtrop, Alexandre Theriot und Jan de Vylder – zu ausserordentlichen Entwurfsprofessorinnen mit Sechsjahresvertrag ernannt. Am Institut Stadt der Gegenwart arbeitet Milica Topalovic seit 2018 ebenfalls als ausserordentliche Professorin. Ita Heinze-Greenberg, seit 2016 Titularprofessorin am GTA, wird Ende 2019 emeritiert.
Im Februar 2019 ist die Lage dennoch eindeutig: Der Departementsvorsteher und die sieben Institutsleiter sind Männer, vier Institute haben keine einzige Professorin. Insgesamt stieg der Frauenanteil zwar auf zwanzig Prozent, doch bei den ordentlichen Professuren stehen 31 Männer drei Frauen gegenüber: Annette Gigon, Karin Sander und Annette Spiro. Alle drei werden bis 2025 emeritiert, ebenso wie die fünf ordentlichen Professoren Marc Angélil, Andrea Deplazes, Mike Guyer, Marcel Meili und Markus Peter. Die nächste Berufungswelle rollt heran.
ETH-Report #1: ‹Professor X›
ETH-Report #3: ‹Einzelfälle? Strukturwandel? Zivilcourage?›
Parity Talks IV – Making ‹Excellence› Work
– 7. März, 17.30 Uhr, Werner-Siemens-Auditorium, HIT Hönggerberg, ETH Zürich: Präsentation SNF-Forschungsprojekt Flora Ruchat-Roncati, Podiumsgespräch ‹Exhibiting Bo Bardi› mit Madelon Vriesendorp und Mitgliedern von Assemble (UK).
– 8. März, 9 bis 17.30 Uhr, ITA Main Space, HIB Hönggerberg, ETH Zürich: Inputvortrag ‹Parity Group›, Beiträge verschiedener Departementsvertretender, Keynote Naomi Stead (Parlour Group, Melbourne), Schlusspodium und performative Vorlesung.
Internationalisierung und frischer Wind
Der Generationenwechsel ist eine Chance, Eingespieltes zu hinterfragen: Welchen Stellenwert haben Geschichte und Theorie im Lehrplan von morgen, welchen Konstruktion und Technologie, welchen Städtebau und soziale Fragen? In welchem Verhältnis stehen Entwurf und Vorlesungen, Forschung und Lehre? Wären mehr freie Diplome und im Entwurf integrierte Disziplinen sinnvoll?
Unabhängig von Macht- und Geschlechterfragen ist das ETH-Architekturdepartement im Umbruch. Die zwanzig Neuernannten sind nicht nur jünger, sondern auch internationaler. Das entspricht einer Elite-Hochschule, deren Postdoktoranden zu fast neunzig Prozent und deren Assistenzprofessoren zu fast achtzig Prozent aus dem Ausland kommen. Manche fragen sich, ob die Luft dünn wird für in der hiesigen Praxis verwurzelte Architektinnen. Andere finden, die kulturelle Kreuzbestäubung sei so nötig wie erfrischend. Bereits in Hochparterres Aprilausgabe 2018 lobte Philip Ursprung «eine stärker spekulative und experimentelle Haltung». Ältere Forschende fürchten, Architektur, Kunst und Technologie verdrängten Konstruktionslehre, Kunstgeschichte und Soziologie.
Auffallend ist der Wandel in den Entwurfsstudios: Letztes Semester gab es erstmals keine Jahresausstellung der Studierendenentwürfe, und die Schlusskritiken verteilten sich auf vier statt bisher zwei Tage. «Weil sich Professoren, Assistierende und Studierende nun gegenseitig besuchen können, gibt es intensivere Debatten», sagt Entwurfsprofessor Adam Caruso. Er findet die Veränderung überfällig: «Die extreme Autonomie der Lehrstühle mit ihren dogmatischen Positionen, die an den Kritiktagen stummen Assistierenden – all das gibt es im anglo-amerikanischen Raum schon seit 15 Jahren nicht mehr.» Ein weiterer Schritt in diese Richtung ist das 2016 gegründete Institut für Entwurf und Architektur, das die Entwurfsprofessuren zusammenfasst. Professor Philippe Block spricht von einer positiven Stimmung auf dem Hönggerberg: «Endlich ist es möglich, den ‹courant normal› zu hinterfragen.» Er wünscht sich mehr Zusammenarbeit zwischen den Entwurfsprofessuren und anderen Instituten. Ausserdem diskutiert die Professorenschaft, ob zukünftig auch Lehrstühle des Instituts für Technologie in der Architektur Entwurfsstudios anbieten sollen.