WTO-Gebäude in Genf: Aus dem offenen Hof ist ein lichter Innenraum geworden. Fotos: Johannes Marburg
Im Auftrag von Kästli & Co.

Einheit aus 104 Teilen

Beim umgebauten WTO-Hauptsitz in Genf ist ein ausgeklügelter Sonnenschutz im Einsatz. Er trägt massgeblich dazu bei, dass ein Innenraum wie ein Aussenraum wirkt.

Innenraum oder Aussenraum? Für den Architekten Georges Épitaux war das keine Frage: Zwei grosse offene Höfe sind das Merkmal des eindrücklichen Gebäudekomplexes, den der Architekt vor 100 Jahren für das Internationale Arbeitsamt (ILO) am Ufer des Genfersees errichtete. Der eine Hof ist annähernd quadratisch und von Büros umschlossen, der andere, von zwei Korridoren flankierte, ist lang und schmal. 

Längsschnitt durch das Gebäude; Plan: Group8

WTO-Gebäude, Erdgeschoss; Plan: Group8

Seit gut zehn Jahren ist der schmalere Hof ein Innenraum. Bereits seit 1995 dient das nach dem Schweizer Diplomaten William Rappard benannte Gebäude als Sitz der Welthandelsorganisation (WTO). 2008 beschloss sie, ihr Haus umzubauen und durch einen Neubau zu ergänzen. Dabei nahmen die Architekten von Group8 den Altbau unter ihre Fittiche. Sie überdachten den Hof mit einer filigranen Stahlkonstruktion und fachten sie mit transparenten Folienkissen aus Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer (ETFE) aus. 

Blick von senkrecht unten auf das Glasdach

Die Walzen sind im Stahlprofil untergebracht.

Präzision dank Gegenzugsystem

Eine Sonnenstore für jedes einzelne Glasfeld

Die Stahlkonstruktion des Dachs liegt auf der ursprünglichen Traufe in 18 Metern Höhe und ist nach allen vier Seiten hin gekrümmt. Dadurch entsteht eine scheinbar unter Spannung stehende Membran. Damit die Stahlprofile in den Knotenpunkten in einer Ebene aufeinandertreffen, sind diese mehrfach leicht gekrümmt. Rund drei Meter beträgt die Maschenweite dieses Rasters, das mit den ETFE-Kissen ausgefacht ist. Solche Folien zeichnen sich durch ein geringes Eigengewicht und eine hohe Licht- und UV-Durchlässigkeit aus. Das war hier wichtig, denn der Innenraum sollte seine Aussenraumqualitäten weitgehend behalten. 

Je durchlässiger jedoch die Dachhaut ist, desto leistungsfähiger muss der Sonnenschutz sein. Das Ziel der Architekten war es, den von der filigranen Stahlkonstruktion geprägten Raumeindruck auch bei Sonneneinfall zu bewahren. Grosse Sonnensegel oder ganzflächig ausfahrbare Stoffbahnen kamen also nicht infrage. Schliesslich haben die Architekten zusammen mit den Konstrukteuren von Kästli Storen eine Lösung gefunden: Sie haben jedes einzelne der 104 Felder des Dachs mit einem separaten Sonnenschutz ausgestattet. So setzt sich die Einrichtung über dem grossen Atrium aus der Nähe betrachtet aus vielen einzelnen Storen zusammen, die in die Felder der Stahlkonstruktion eingefügt sind. Aus der Ferne hingegen, also vom Boden aus gesehen, verschmelzen die 104 Storen und das Stahlgitter zu einer Einheit.

So nötig der Sonnenschutz bei Sonnenschein ist, so störend tritt er oft bei eingefahrenem Zustand in Erscheinung. Um dies zu vermeiden, haben die Konstrukteure die Walze mit dem aufgerollten Stoff weitgehend unsichtbar im Querschnitt des Stahlprofils untergebracht. Ein Gegenzugsystem führt den Sonnenschutz – die Spezialanfertigung einer Horizontalstore – präzise an die gegenüberliegende Kante. Die von den Architekten und Ingenieuren ersonnene komplizierte Geometrie der Tragstruktur bewirkt, dass sich der Stoff des Sonnenschutzes über die Diagonale verdreht.

Unsichtbar, aber umso wichtiger ist die Torsionsfeder in der Stoffwalze: Sie sorgt dafür, dass die Store die Schwerkraft überwinden kann und sich horizontal öffnen und schliessen lässt. Bespannt ist die Sonnenschutzkonstruktion mit dem Stoff ‹Soltis 92-2010›. Er bietet einen hohen Blendschutz bei grosser Transparenz. Und so spürt man im ehemaligen Aussenraum, der jetzt ein Innenraum ist, auch bei geschlossenem Sonnenschutz weiterhin Aussenraumatmosphäre. 

Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz. Dieser Beitrag erscheint auch in der Hochparterre Sonderpublikation Werkplatz Spezial Aussenraum und Energielösungen.

 

Umbau Centre William Rappard, 2008
Rue de Lausanne 154, Genf
Bauherrschaft: WTO
Architektur: Group8, Carouge

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