Inventarisierte Landschaft: Die Landzunge der Isleten am Fuss der Innerschweizer Berglandschaft

Nach Andermatt der Urnersee?

Auf der Halbinsel Isleten möchte Samih Sawiris eine Marina realisieren. Auf dem Spiel steht ein Ort von einmaliger landschaftlicher und kulturhistorischer Bedeutung.

Manchmal sprechen Wörter Bände: Das Areal der ehemaligen Sprengstoff-Fabrik auf der Halbinsel Isleten ist laut Samih Sawiris «hässlich» und «vergammelt». So sagte er es an der örtlichen Gemeindeversammlung im April dieses Jahres, als er der Bevölkerung zum ersten Mal seine Pläne für eine Marina am selben Ort präsentierte. Auf der Halbinsel, die am steilen Westufer des Urnersees liegt, möchte der Investor ein gediegenes Sommerurlaub-Ressort errichten. Um ein künstliches Wasserbecken mit Yachthafen sollen sich dereinst ein Hotel sowie verschiedene Appartmenthäuser und Bungalows gruppieren. Die Visualisierung der ersten Projektidee zeigt eine Ferienanlage global-generischen Charakters in romantischer Abendstimmung. 

Es ist ja nicht so, dass Samih Sawiris die Halbinsel Isleten nicht gefallen würde. Wie man seit der Gemeindeversammlung ebenfalls weiss, hat er auf einer seiner Bootstouren über den Vierwaldstättersee die idyllische Landzunge entdeckt und gleich ins Herz geschlossen. Bloss ist die landschaftliche Schönheit des Orts in seinen Augen offenbar verschenkt, solange sie nicht genutzt wird. Eine stillgelegte Industrieanlage neben ausladenden Obstwiesen? Ja, so etwas muss dem Investorenauge irgendwie «vergammelt» und «hässlich» vorkommen.

Für die Umweltverbände ein Projekt «aus der Küche von Disney World»: Visualisierung von Samih Sawiris' Marina-Projekt (Stand April 2022)

Und natürlich geht es bei Sawiris' Rhetorik auch um die Wiederaufführung des Märchens, das die Bevölkerung bereits aus Andermatt kennt: Kommt ein Mann von Welt und küsst einen vergessen Ort aus dem Dornröschenschlaf... Das Geld des Investors verspricht, aus dem beschaulichen Fleckchen Erde einen blühenden Garten Eden des internationalen Tourismus zu machen.

Künstliches Seebecken in geschützter Landschaft

Wovon dieses Märchen wenig wissen will: Das Urner Seebecken ist eine Geschichtslandschaft erster Güte, in der Nachbarschaft von Isleten liegen das Rütli, die Tellsplatte, der Schillerstein. Die symbolische Wiege der Schweiz ist ein denkbar sensibles Umfeld für globale Implantate, wie es die Idee einer Marina darstellt. Des weiteren – wen mag es überraschen? – gehört der gesamte Vierwaldstättersee zu den vom Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) geschützten «wertvollsten Landschaften der Schweiz». Sicher: Der Tourismus ist seit über zwei Jahrhunderten selbst Teil dieser Landschaft und hat auch deren Kulturgüter massgeblich mitgeprägt. Ein künstlich ausgehobener Bootshafen ist in diesem Kontext dennoch ein problematisches Vorhaben. Das scheint selbstverständlich, ist es aber nicht.

«Vergammelt» und «hässlich»? Blick über die Wiese zur Fabrikantenvilla auf der Isleten.

Auf der einen Seite stehen die Landschafts- und Naturschutzverbände und ein beträchtlicher Teil von Bevölkerung und Politik: Sie haben mit über 10'000 Unterschriften eine Petition gegen die Marina-Pläne eingereicht (die Idee für einen zweiten Marina-Standort in Flüelen hat Sawiris in der Folge bereits fallen gelassen). Auf der anderen Seite stehen die Sympathisanten des Projekts, vertreten nicht zuletzt von der Urner Regierung.

In seiner Antwort an die Petitionäre äusserte der Regierungsrat im Juli zwar Verständnis für deren Anliegen, bekräftigte aber seine Überzeugung, dass die Isleten ein grosses Potenzial für den Tourismus und weitere Nutzungsmöglichkeiten biete. Daher unterstütze man die Öffnung und Transformation des Areals «für eine nachhaltige Standortentwicklung», selbstverständlich unter Berücksichtigung der «bestehenden ökologischen, landschaftlichen und kulturhistorischen Werte»  – was immer das konkret bedeuten mag.

Die Federführung bei der weiteren Projektentwicklung jedenfalls liegt bei der Grundstückseigentümerin Isen AG, hinter der sich wiederum Samih Sawiris verbirgt. Die Isen AG möchte momentan keine weiteren Auskünfte zum Projekt erteilen.

Vogelperspektive auf die Halbinsel Isleten

Bauzeugnisse der Industriegeschichte

Nun geht es bei der ganzen Geschichte aber nicht nur um Landschaftsschutz, sondern auch um Kultur- und Baugeschichte. Die «hässlichen» Industriebauten gehören zu den inventarisierten Kunstdenkmälern der Schweiz. Und dies mit gutem Grund, handelt es sich doch bei der Halbinsel Isleten um den ältesten Industriestandort des Kantons, mit einer über 400-jährigen Geschichte, die von der Sprengstofffabrik über die Papierherstellung bis zur Eisenerz-Verarbeitung zurückreicht – alles an einem Ort von beeindruckender topografischer Charakteristik und ziemlich unvergleichlicher Atmosphäre. Das grosse Haus der Papierfabrik und die Fabrikantenvilla aus dem frühen 19. Jahrhundert tragen dazu ebenso bei wie die merkwürdigen Bauten der Sprengstofffabrik, die 1873 von Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits und Stifter des berühmten Preises, gegründet worden war.

Wiege der Industrialisierung: Blick vom See auf die historische Papierfabrik

Für den Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee (LSSV) schreibt Dieter Geissbühler, Architekt und Professor der HSLU, in einem Positionspapier, dass «eine Abwägung bezüglich landschaftlichem Schutzgedanken und baukulturell geprägter Weiterentwicklung unabdingbar» sei. Dazu würden im Moment die Grundlagen und eine öffentliche Debatte fehlen. Und weiter: «Das Vorpreschen mit Projektvorstellungen ist als Marketingstrategie nachvollziehbar, trägt aber wenig zu einer differenzierten Diskussion und Meinungsfindung bei. Darum gilt es einen Schritt zurück zu gehen. Es muss eine umfassende Auslegeordnung stattfinden. Beurteilungskriterien müssen definiert werden. Dann kann in einem breiten Diskurs ein Weg in die Zukunft gesucht werden.»

Dieser Forderung ist eigentlich nichts beizufügen.

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Kommentare

Friedrich Meyer 13.10.2022 02:58
Absolut schützenswert !
Franz Bricker-Grepper  06.10.2022 21:34
Et ceterum censeo, Urnersee für alle: Ja! - Jachthafen für wenige: Nein! ....................oder besitzen Sie etwa eine Jacht?
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