Guillaume Habert ist Professor für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Im Interview erklärt er, wie der Lehmbau den Sprung aus der Nische schaffen kann.
Der Flüssiglehm von Oxara soll sich wie Beton verarbeiten lassen. Wie einfach ist es für einen Hersteller, die Technologie zu implementieren?
Guillaume Habert: Wenn das Material fertig gemischt ist, können die Handwerker es wie Beton verarbeiten. Aber die Hersteller müssen die Additive besser beherrschen. Die Mischung reagiert empfindlicher auf den Anteil der Zusatzstoffe als bei Zement. Auch die korrekte Mischung der Erde ist anspruchsvoll.
Das Architekturbüro Duplex überlegt, das Material auch für tragende Konstruktionen zu verwenden. Ist das sinnvoll?
Architekten und Start-ups wollen immer mehr. Natürlich ist konstruktiver Lehmbau möglich – die Menschheit macht das seit 5000 Jahren. Aber normalerweise sind die Wände relativ dick, was bei den heutigen Landkosten schwierig ist. Es gibt jedoch viele nichttragende Anwendungen für Lehm. Es ist ein Fehler zu glauben, dass ein Material alle Probleme lösen kann. Das wird nicht funktionieren, weil wir das Material an seine Grenzen bringen. Die einfachere, sicherere und günstigere Variante ist die passende Materialkombination. Es geht also um eine gute Materialdiät, nicht um einen Krieg der Materialien.
Und wie sieht diese Diät aus?
Beton ist ein wunderbares Konstruktionsmaterial für Fundament, Treppenkern und den tragenden Teil der Bodenplatten. Der ganze Rest lässt sich mit Lehm bauen: Wände, Füllungen und die nichttragenden Elemente der Böden. Das entspricht wahrscheinlich 60 Prozent des Betons in einem Gebäude. Wenn die anderen 40 Prozent intelligent und sparsam betoniert werden, sparen wir nochmals die Hälfte dieser Emissionen. Also bleiben 20 Prozent des ursprünglichen CO2-Ausstosses. Für mich ist das gut genug. Wir können diesen Rest durch biogene Materialien kompensieren, etwa durch Strohballen als Dämmung. Das Gebäude ist dann klimaneutral, aber dennoch normgerecht bauphysikalisch zertifiziert.
Was br...
«Es geht um Materialdiät, nicht um einen Krieg der Materialien»
Guillaume Habert ist Professor für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Im Interview erklärt er, wie der Lehmbau den Sprung aus der Nische schaffen kann.
16.01.2023 15:12