Mit dem ‹campo› entsteht in Winterthur ein kurioses Sammlungshaus, in dem auch gewohnt wird. Von Sammeleifer und flimmriger Architektur.
In der Schweiz entstehen am laufenden Band private Sammlungshäuser. Vergangene Wettbewerbe haben sich meist als unglücklich erwiesen. So erhielt Zürich im Herbst 2021 mit der Erweiterung des Kunsthauses einen unnahbaren Klotz voll ungeklärter Provenienzen, dessen Ausdruck und Inhalt einem längst erneuerten Museumsbegriff Jahrzehnte hinterherhinken. Zwischen der Formulierung der konservativen Ausgangshaltung und Fertigstellung lagen nahezu 20 Jahre, die ein unflexibler Grundriss leider auch nicht mehr ins Heute übersetzen kann.
Mit dem Projektwettbewerb ‹campo›, der 2022 von der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) und der Terresta Immobilien- und Verwaltungs AG (Terresta) ausgelobt wurde, verhält es sich anders. Zum einen, weil gar nicht erst der Versuch unternommen wird, aus einer Sammlung ein Museum zu machen. Zum anderen, weil die Sammlung nicht unbemerkt in einem Depot verschwinden soll. Die Sammlung, die nun in Winterthur ein neues Zuhause sucht, gehörte Bruno Stefanini, einer rätselhaften Figur, die nach ihrem Tod über 80'000 Objekte hinterliess, deren Ursprünge erforscht und katalogisiert werden müssen. Ein Schaulager soll dabei aber ebenso wenig entstehen. Es handelt sich um ein widersprüchliches Haus: privat angelegt und verwaltet, aber mit der grösstmöglichen Offenheit und Möglichkeit für Partizipation. Ein Vorhaben, das irritiert. So äussert sich Daniel Tyradellis, Professor für interdisziplinäres Kuratieren am Humboldt Forum in Berlin, in einem Gespräch mit Alain Gloor, Projektleiter Sammlungshaus der SKKG, zum geplanten Vorhaben: «Ich habe jetzt keine Idee, warum es so was braucht. Ich glaube aber schon.»
Wohnen und Sammeln
Die Wettbewerbsaufgabe besteht darin, ein nachhaltiges Sammlungs-, Büro-, Gewerbe- und Wohnhaus direkt am Eulachpark im wachsenden Winterthurer Stadtteil Neuhegi zu entwickeln. Interessant hierbei ist, wie gut das heterogene Programm mit der unfokussierten Sammlungsaktivität Bruno Stefaninis einhergeht. Neben Ölgemälden, Bronzestatuen, Möbeln und Kuriositäten sammelte dieser auch mehr als 200 Häuser und Wohnungen. Betrachtet man Stefaninis Immobilienaktivität gleichermassen als Sammeleifer, wird verständlich, dass es SKKG und Terresta nicht allzu abwegig scheinen muss, oberhalb einer von Sisis Haarlocken, der Baby-Elefantenfuss-Tabakschachtel von Otto von Bismarck, Gemälden von Hodler oder Winston Churchills Schreibtisch voller Geheimfächer zu wohnen. Was zunächst unheimlich klingt, soll einen Ort entstehen lassen, den es so noch nicht gibt.
Auch wenn alles anders wäre, nichts wäre anders
Es wirkt, als wissen die Veranstalterinnen den unbekannten Charakter des Vorhabens über die Methode des Wettbewerbs immer mehr zu schärfen: bei der Erstellung der Aufgabe, in der vorgängigen Testplanung, mit der Auswahl der Teams und dem Wettbewerb selbst. Wobei ‹schärfen› hier möglicherweise das falsche Wort ist: Der erste Preis der ARGE Studio Burkhardt und Lucas Michael Architektur präsentiert sich vielmehr ‹flimmrig›, bleibt verschwommen. Ein Riese absorbiert die verschiedenen Programme, breitet sich maximal aus, hält sich doch zurück. Ein abgetreppter Kopfbau im Süden verwebt sich mit dem Eulachpark, die Nordfassade weicht von den Bestandsgebäuden an der Hegifeldstrasse ab. Weil die Architekten sich von deren Anwesenheit nicht beirren lassen, weist ihr Projekt den höchsten Freiflächenanteil auf. Die Erhaltung dieser Häuser dient als weitere Körnung im Gesamtkontext, daneben setzen sie einen zusätzlichen Punktbau. Nahezu ungelenk scheinen die Strategien der anderen Teams, die sich mit Abriss, Wiederverwendung, Verschlucken der kleinen Häuser im Gesamtvolumen abmühen. Das ausgewählte Projekt besticht dadurch, dass die städtebauliche Beziehung zur Umgebung trotz Massstabssprung geschickt und einfach funktioniert.
Diese Gelassenheit muss überzeugt haben, denn nicht alle Wünsche konnten beachtet werden. Beispielsweise erschwert der Erhalt des Untergeschosses der bestehenden Halle die betriebliche Optimierung, aus baurechtlichen Gründen können nur weniger Wohnungen als vorgeschlagen umgesetzt werden, und ob die schwebende PV-Anlage oder die intensive Fassadenbegrünung, die die Sammlung umhüllt, in dieser Form zustande kommen, ist fraglich. SKKG und Terresta scheinen diese Hindernisse ebenso gelassen zu nehmen, denn das Projekt erträgt das Unbestimmte und macht es sich zu eigen. Entschieden hat sich die Jury für das Projekt, das am besten zu den Veranstalterinnen passt: keine allzu fixen Vorstellungen, aber ein grosses Versprechen und Ambition. Die anderen Projekte gelangen nicht zu dieser Übereinstimmung. Die zweitplatzierten Gigon/Guyer geben zwar ebenso clever und pragmatisch Flächen frei, gehen mit diesen aber weniger spielerisch um. Die drittplatzierten NEUME erarbeiten als Einzige mit nur einem Volumen eine grosse Sichtbarkeit, die für den Kontext aber doch zu wagemutig erscheint. Bei vielen Projekten stellt die Jury die Frage, ob die vorgestellte Aktionsdichte an dem Ort überhaupt erreicht werden kann. Im ‹campo› treffen allerdings so viele Programme aufeinander, dass für genügend Durchmischung im Alltag ohnehin gesorgt sein sollte.
Das Flimmern aushalten
Mit dem Wettbewerb ist die ehemalige Stefanini-Häuser-und-Objekt-Sammlung um einen weiteren Bestandteil gewachsen, der die herkömmlichen Ausstellungs-, Archivierungs- und Vermittlungsformen hinterfragt. Hoffentlich kann dieser Ansatz als Orientierung für zukünftige Macher*innen von Sammlungshäusern dienen, um die Präsenz ihrer Sammlungen mit einem prozesshaften Verständnis vor Ort zu erweitern. Dennoch kann es sein, dass es einmal den Moment geben wird, in dem wir die Augen vor dem Vorschlag stark zusammenkneifen müssen, um unseren Blick auf das, was vor uns liegt, scharf zu stellen. Bis dahin ist es unsere Aufgabe, die flimmernde Unschärfe des Projekts auszuhalten. Das Einzige, was wir über das Projekt bisher sicher wissen, ist, was es nicht ist.
campo, Winterthur
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren
Aufgabe: Entwicklung des zukünftigen Standorts ‹campo› im wachsenden Winterthurer Stadtteil Neuhegi. Direkt am Eulachpark soll ein Sammlungs-, Büro-, Gewerbe- und Wohnhaus entstehen. Weder Museum noch Schaulager soll der Standort zugleich das Zuhause für seine Bewohner*innen und die Sammlung, Arbeitsplatz für die Mitarbeiter*innen der Stiftung und Dreh- und Angelpunkt für die Kulturerbe-Fachcommunity sowie das Quartier sein.
Veranstalterin: SKKG Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte und Terresta Immobilien und Verwaltung, Winterthur
Teilnehmer*innen: 12 Teams
Fachjury: Marcia Akermann, Jens Andersen, Barbara Buser, Adam Caruso, An Fonteyne, Michael Oser
Sachjury: Franziska Burkhardt, Zita Cotti, Christoph Lichtin, Hans Rupp, Michael Hauser, Bettina Stefanini (Vorsitz)
Jurierung: März und April 2023
– 1. Rang: ARGE Studio Burkhardt / Lucas Michael Architektur, Zürich
– 2. Rang: Anne Gigon / Mike Guyer, Zürich
– 3. Rang: NEUME, Basel
– Engere Wahl: Karamuk Kuo, Zürich
– Engere Wahl: ARGE 51N4E, Brüssel / TEN, Zürich