Können wir das Kunsthaus retten?
Studierende der ETH und der ZHdK gingen im neuen Kunsthaus Zürich der Frage nach, wie die Architektur auf die Provenienzfrage der Bührle-Sammlung reagieren kann. Mit-Organisator Nicolás Egon Wittig berichtet.
Seit Erich Keller im September sein Buch ‹Das kontaminierte Museum› veröffentlicht hat, hält die Frage nach den Provenienzen der Werke in der Bührle-Sammlung, die prominent im Chipperfield-Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich ausgestellt wird, die Zürcher Presse auf Trab. Die Diskussion prägte zuletzt auch die politische Debatte zu den Stadtratwahlen mit, zumal das neue Zuhause der umstrittenen Sammlung auch eine grosse Herzensangelgenheit der letztendlich doch mühelos wiedergewählten Stadtpräsidentin Corine Mauch gewesen war. Dass die Kunsthaus-Gesellschaft die hochkarätigen Werke den skrupellosen Geschäften des seinerzeit reichsten Mannes der Schweiz, dem Waffenfabrikanten E. G. Bührle zu verdanken hat, war also bereits den meisten Studierenden bekannt. Als die architektura im November zu zwei Führungen mit Philip Ursprung im Kunsthaus einlud, bildete sich jedoch in der Diskussion ein neuer Gedanke: Dass die Architektur, mit der Sir David Chipperfield 2008 die Jury überzeugen konnte, in ihrem steinernen, schwer angreifbaren Klassizismus, möglicherweise ihren Teil dazu beiträgt, dass die jüngste Debatte um die Verstrickungen der Schweiz mit dem NS-Regime so harzig vorwärtskommt. Die Gruppe beschloss also, nach Ideen zu suchen, wie mit Mitteln der Kunst und der Architektur jener Tendenz beizukommen sei, die Daniel Binswanger unlängst in der Republik als «Antisemitismus der Indifferenz» bezeichnete.
Bevor die Studierenden sich dem Thema spielerisch annäherten, bekamen sie Inputs von verschiedenen Seiten: So stellte Philip Ursprung die reflexartige Verknüpfung der Museumstypologie mit einer gewissen Monumentalität, der Architekt*innen immer wieder gerne verfallen, in den historischen Kontext von nationalistischen Bestrebungen, mit Monumenten Identität für ein Land oder eine Stadt zu schaffen, die heute in ähnlicher Form zur Schaffung von touristischen Kapitalanlagen wiederaufleben. Emanuel Christ, der Ersatzpreisrichter im Wettbewerb zur Erweiterung gewesen war, erläuterte, dass zwar viele Teilnehmer versucht hätten, durch aufgebrochene, reduzierte oder zumindest visuell aufgelockerte Baukörper einen städtebaulichen Mehrwert am Heimplatz zu schaffen, die Schuhschachtel, wie sie heute dasteht, aber letztlich durch das volle, komplexe Programm und die Erwartungen der Bauherrschaft vorprogrammiert gewesen sei. Schliesslich präsentierten Ella Eßlinger und Fabienne Girsberger das Wissen, das sie bisher für ihre freie Diplomarbeit mit dem Arbeitstitel ‹Bauen im Neubau› zusammengetragen hatten und schlugen vor, den Chipperfield-Bau im Sinne des ‹Momentalismus› zu sanieren. Es gelte, eine neue Form für das öffentliche Monument zu finden, das seine Strahlkraft weniger durch das Festschreiben einer bestimmten Vergangenheit entwickle, als durch das Zulassen von ephemeren Momenten – gemeinschaftlichem Erleben also, um das es bei Kultur ja letztlich geht.
Die Vorschläge, die die Teilnehmer*innen noch am gleichen Abend entwickelten, waren vielfältig. Viele versuchten, der grossen Halle die Öffentlichkeit zu geben, die im Jurybericht versprochen wurde, in dem Wochenmärkte, Yogakurse oder schlicht das gegenwärtig wenig mit dem Haus verflochtene Café dort angesiedelt wurden. Ausführlich besprochen wurde auch ein möglicher Befreiungsschlag für den Heimplatz: Eine Verkehrsumleitung quer durch das Kunsthaus hindurch. Die unterirdische Passage mit ihrer Marmorbank würde hinfällig und könnte zur Sauna umfunktioniert werden. Auch war an den Beiträgen eine gewisse Unzufriedenheit mit der konsequent durchgerasterten Fassade abzulesen. Diese stärker aufzubrechen, als das die bestehenden Fenster tun, wurde als architektonisches und symbolisches Potential erkannt.
Wie der als Gastkritiker eingeladene San Keller feststellte, waren all diese Vorschläge zwar vielversprechend, um das Kunsthaus zu einer öffentlicheren und zeitgemässeren Institution zu machen, halfen aber weniger, um das Bührle-Problem zu lösen. Diesem ist vielleicht besser mit den Mitteln der Kunst und Kuratierung beizukommen. Dazu stiessen am zweiten Workshop-Tag Maurin Dietrich und Gloria Hasnay, die Direktorin und die Kuratorin des Kunstvereins München dazu und präsentierten, wie sie im Falle ihres Hauses, dessen Geschichte als Schauplatz einer grossen Ausstellung für «entartete Kunst» noch viel enger mit dem NS-Regime verknüpft ist, die lange versäumte Aufarbeitung angestossen haben. Zur kritischen Vorbereitung auf das 200-jährige Jubiläum luden sie Julian Göthe ein, einen permanenten, öffentlich zugänglichen Archivraum zu konzipieren, mit dem auch Künstler*innen, die in Zukunft im Kunstverein ausstellen, die Gelegenheit erhalten, in seine Geschichte einzutauchen. So kam es beispielsweise zu einem längeren Dialog mit der Künstlerin Bea Schlingelhoff, die schliesslich 2021 in einer Ausstellung, dauerhaften Interventionen und der Einführung einer entschuldigenden, aber auch für die Zukunft zu antirassistischem Handeln verpflichtenden Präambel in der Vereinssatzung mündete. Mit ihrem Wirken im Kunstverein zeigen Gloria Hasnay und Maurin Dietrich beispielhaft, wie proaktive Auseinandersetzung mit einer schwierigen Geschichte aussehen kann.
Im Podiumsgespräch am Schluss einigten sich die Anwesenden: Die Mittel für die Rettung des Kunsthauses sind noch nicht gefunden. Aber es konnte gezeigt werden, dass noch Hoffnung besteht, wenn sich die Kunsthaus-Gesellschaft ernsthaft und gewissenhaft ihren Problemen stellt, statt sie unter einem marmornen Mausoleum mit Messinglettern zu verstecken.
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* Nicolás Egon Wittig studiert Architektur an der ETH Zürich im Bachelor. Zusammen mit Berit Seidel, Simona Ferrari und Rami Msallam hat er den Workshop zum Kunsthaus organisiert. Die Gruppe will weitere Schritte unternehmen, um fruchtbares aus dem erlangten Wissen zu gewinnen – für Anmeldung zu Updates und deine Anregungen freuen wir uns über dein Mail an wittig@arch.ethz.ch.