Kritische Anmerkungen zu einem «Leuchtturmprojekt»
Ist Roger Boltshausers Projekt für das Zentrum für Zahnmedizin so klimavernünftig, wie alle finden? Muss das Kinderspital zwingend abgebrochen werden? Hugo Wandeler meldet Bedenken an.
Ein «markanter Solitär mit grünem Innenhof» hat den Wettbewerb für das neue Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich auf dem Areal des Kinderspitals in Zürich Hottingen gewonnen. Der Kanton ist stolz auf das «Leuchtturmprojekt», das Klimavernunft und Architektur vereine. Und doch stellen sich Fragen zur Klima- und Umweltverträglichkeit, nicht des erstprämierten Projektes, sondern des Vorhabens insgesamt.
Das Areal des Kinderspitals ist kein unberührter Bauplatz: Es ist mit vielen Gebäuden unterschiedlichen Al-ters und unterschiedlicher Qualität dicht überbaut, auch unterirdisch. Drei Gebäude stehen unter Denkmalschutz, alles Übrige soll abgebrochen werden, um dem geplanten Neubau Platz zu machen. Auch das Hauptgebäude von 1970 mit mehr als 10‘000 m2 oberirdischer Geschossfläche soll weichen – ein Bau von Rudolf und Peter Steiger mit vergleichbarer Qualität wie die geschützten Häuser A und B.
Unmittelbar anschliessend an den Bericht über den Wettbewerb für das ZZM ist im TEC21 10/2021 ein Beitrag über die Wiederverwendung von Bauteilen abgedruckt, der auf zwei wichtige Grundsätze zum Klimaschutz beim Bauen hinweist:
– Die mit Abstand wirksamste Klimaschutzmassnahme ist, nicht neu zu bauen, zumindest bis klimafreundliche Baustoffe erhältlich sind
– Gerade bei Neubauten müsste die Emission nicht nur im Betrieb, sondern auch für die Erstellung ein relevantes Kriterium sein. Das Erstellen eines Gebäudes erzeugt mindestens doppelt so viel CO2, wie ein 60 Jahre dauernder Betrieb.
Wenn Klimaverträglichkeit ein zentrales Anliegen ist, führen diese beiden Feststellungen zu Fragen an den Kanton als Veranstalter:
– Muss das Hauptgebäude des Kinderspitals nach nur 50 Jahren Betrieb wirklich zwingend abgebrochen werden?
– Weshalb muss/soll das Zentrum für Zahnmedizin auf dem Areal des Kinderspitals erstellt werden? Gibt es nicht Nutzungen und Bedürfnisse im Gesundheitsbereich, für welche die bestehenden Hauptgebäude auf diesem Areal geeignet sind?
– Kann das Raumprogramm des ZZM nicht in bestehenden, erneuerten und nach Bedarf erweiterten Gebäuden auf dem Areal des Kinderspitals untergebracht werden?
Bauen im Bestand ist anspruchsvoller als abbrechen und neu bauen und könnte gerade deshalb ebenfalls Thema eines Wettbewerbs sein.
Ein weiteres, wichtiges Thema und Problem, insbesondere beim Bau von öffentlichen Dienstleistungen, ist die bauliche Weiterentwicklung. Die Baugeschichte des Kinderspital zeigt das exemplarisch: Immer nach Vollendung einer Bauetappe haben neue Entwicklungen und Aufgaben zu neuen Raumbedürfnissen geführt. Weil kein Konzept für eine längerfristige bauliche Entwicklung des Areal bestand, wurden, immer in Zeitnot, Provisorien erstellt, welche weder betrieblich, noch gestalterisch, noch wirtschaftlich und ökologisch befriedigten. Bauten für öffentliche Dienstleistungen sollten grundsätzlich so konzipiert werden, dass Weiterbauen möglich bleibt. Dazu sind lineare Strukturen besser geeignet als «Solitäre».
Die obenstehende Skizze, die nicht als Projekt, sondern nur als «Fussabdruck» zu lesen ist, zeigt das Potenzial des Areals, wenn im Wesentlichen nur die als eigentliche Provisorien in Leichtbauweise erstellten Pavillons abgebrochen werden:
Allein im heutigen Hauptgebäude bestehen rund 10‘000 m2 oberirdische Geschossfläche. In der skizzierten Erweiterung könnten, auf im Mittel fünf Geschossen, weitere ca. 10‘000 m2 Geschossfläche realisiert werden. Dazu kommen die Flächen der übrigen Gebäude, so dass sich eine Gesamtkapazität von 25‘000 bis 30‘000 m2 Geschossfläche ergibt.
Weil mit einem solchen Konzept viel weniger abgebrochen und neu gebaut wird, wird es insgesamt klima- und umweltfreundlicher sein und zudem weniger kosten.
Für das Areal des Kinderspitals muss das Weiterbauen im Bestand sorgfältig geprüft werden, nicht nur als generelle Machbarkeitsstudie durch die Verwaltung, sondern als konkretes Projekt. Im Rahmen eines geeigneten Verfahrens sollen ausgewiesene Fachleute mit der gleichen Sorgfalt und mit der gleichen Kreativität, wie in einem Wettbewerb ein solches Projekt entwickeln. Dabei müssen alle Gebäude, auch die Denkmalschutzobjekte in die Überlegungen einbezogen werden. Wenn sich zweifelsfrei ergibt, dass die Anforderungen an das Zentrum für Zahnmedizin auf diesem Areal nicht hinreichend erfüllt werden können, ist dafür ein Alternativstandort zu suchen. Erst damit bestehen hinreichende Grundlagen für einen Investitionsentscheid im Umfang von 200 Millionen Franken.
Hugo Wandeler ist Architekt und Raumplaner in Zürich.
Lesen Sie zu diesem Wettbewerb auch den Artikel von Philippe Jorisch und den Kommentar von Axel Simon aus Hochparterre 4/21.