Der von Baumschlager Eberle geplante Bau in Schlieren basiert auf dem Prinzip ‹22•26›. (Visualisierung: Baumschlager Eberle Architekten)
Im Auftrag von Ego Kiefer

Klug klimatisiert

In Schlieren entsteht ein Büro- und Laborgebäude, das ohne Heizung und Lüftung auskommt. Die Fenster übernehmen dabei wichtige Aufgaben – ohne visuell etwas davon zu verraten.

Waldameisen hüten im Innern ihrer Hügel einen Schatz, der das Überleben ihrer Kolonie sichert: die Eier. Weil diese empfindlich auf Hitze und Kälte reagieren, haben sich die Tiere zu wahren Klimatechnikern entwickelt. Mittels Baumaterialien und Luftströmen halten sie Temperatur und Sauerstoffgehalt konstant. Ausserdem nutzen sie ein einfaches Heizsystem, das perfekt auf den Standort ausgerichtet ist. Ganz ähnlich funktionieren die Gebäude von Baumschlager Eberle Architekten. Das vorarlbergische Büro mit Dependenzen in St. Gallen und Zürich hat auf dem Gelände der alten NZZ-Druckerei in Schlieren einen gewaltigen Neubau geplant. Er trägt den Buchstaben D, abgeleitet vom englischen Dare, und ist der letzte Teil einer umfangreichen Arealentwicklung. Bauherrin ist die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site, die mit ‹JED› (Join, Explore, Dare) den Innovationshub auf dem Areal erweitern und gleichzeitig ein Zeichen für Nachhaltigkeit setzen will. Der fünfgeschossige Neubau wird nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft erstellt und nach SNBS Gold (Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz) zertifiziert.


Im dritten Obergeschoss des ‹Dare› verbaut der Fensterhersteller EgoKiefer vier von insgesamt sieben Fenstertypen.

◼︎ Typ 2.1 L, 1,40 × 2,34 m
◼︎ Typ 2.1 R, 1,40 × 2,34 m
◼︎ Typ 2.2 L, 1,55 × 2,34 m
◼︎ Typ 2.2 R, 1,55 × 2,34 m

Auf den 15 000 Quadratmetern Nutzfläche des jüngsten Gebäudes sollen Büros und Labors einziehen. Der Plan zum Neubau basiert auf dem Prinzip ‹22•26›, entwickelt von der Baumschlager-Eberle-Gruppe: In den drei Bürogeschossen gibt es keine Heizung, keine Kühlung, keine Lüftung – und dennoch sollen die Temperaturen bei stabilen 22 bis 26 Grad Celsius zu liegen kommen. Dass dieses Konzept funktioniert, haben die Architekten bereits mehrfach bewiesen, wenn auch nicht bei einem so grossen Haus. Der Neubau in Schlieren wird seine Wärme einzig von Menschen, technischen Geräten und Lichtquellen beziehen. Aussergewöhnlich dicke Aussenwände und Decken dienen als Dämm- und Speichermasse, die Fassaden- und Fensterflächen sind perfekt aufeinander abgestimmt und an den Standort angepasst. Eine besondere Rolle spielen die Fenster: Sie gewährleisten nicht nur Wärme- und Schallschutz, sondern regulieren auch den Luftaustausch. Jedes enthält einen sensorisch gesteuerten Lüftungsflügel. Ist es zu heiss oder ist der CO2-Anteil zu hoch, öffnen sie sich automatisch und regulieren so das Raumklima.



Das neu entwickelte System basiert auf einer flächenbündigen Holz-Aluminium-Kombination.

«Üblicherweise kommen wir ins Spiel, wenn alles fertig geplant ist», sagt Sebastian Schönwetter, Projektleiter bei Fensterbauer EgoKiefer, «doch das Prinzip ‹22•26› verlangt mehr als eine Standardlösung.» Rund ein Jahr lang tüftelte die Abteilung Forschung und Entwicklung an einer massgeschneiderten Lösung. Das so entstandene System basiert auf dem bereits bestehenden flächenbündigen Holz-Aluminium-Fenster ‹Ego Selection›. Die reduzierte Geometrie des Fensterprofils erlaubt besonders dicke Isoliergläser, die den hohen Ansprüchen in Sachen Schall- und Sonnenschutz sowie Wärmedämmung gerecht werden. Neues haben die Ingenieure in Sachen Steuerung gewagt: Statt auf den üblichen Kettenmotor haben sie auf einen Axialmotor gesetzt, der mithilfe des Herstellers so umgerüstet wurde, dass er sich direkt in die Lüftungsklappe verbauen lässt. So bleibt er von aussen unsichtbar. Auch zu hören ist er kaum, weil Axialmotoren leiser sind als Kettenmotoren und der Einbau Schall schluckt. Und weil er dichter schliesst, schützt er zusätzlich vor dem Lärm der vorbeifahrenden Züge.


Innenansicht: Holzrahmen mit Lüftungsklappe (rechts); aussen sorgen tiefe Laibungen für Schatten.

Zudem übertrifft der Axialmotor den Konkurrenten um Längen In Sachen Unterhalt. «Er läuft jahrelang ohne Wartung und muss wesentlich später ersetzt werden», so Schönwetter. Bei 593 Fenstern fällt das ins Gewicht. Dazu passt, dass die Lebenszykluskosten des gesamten Gebäudes verhältnismässig tief sind, da man keine komplexe Haustechnik warten muss. Es erstaunt also nicht, dass das Prinzip ‹22•26› zurzeit mächtig Fahrt aufnimmt. Dass man sogar ein so grosses Haus wie das in Schlieren mit den elementaren Mitteln der Baukunst wärmen, lüften und kühlen kann, lässt auf zukunftsträchtige Architekturlösungen hoffen. Schönwetter ist von dem Konzept überzeugt – und hat bereits weitere in der Pipeline.

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