«Die Aufsatzsammlung ist akademische Petit-Point-Stickerei, ein loses Geflecht aus der Essay-Stube.», schreibt der Stadtwanderer.

Akademisches Sticken

Camillo Sitte ist längst aus der Versenkung zurück. Eine Aufsatzsammlung, fussnotenstark und detailfreudig stellt ihn in verschiedenen Beleuchtungen vor. Lest Sitte selbst, Leute!

Auf dem riesigen, ovalen Tisch bei Hochparterre Bücher lag es: «stadt: Camillo Sitte 1843-1883-1903». Wo Sitte drauf steht, muss ich drin lesen. Es ist seltsam, wie ich zu ihm kam. 1975 an der University of Kentucky gab’s eine deutsche Ecke in der Bibliothek und darin das Gründervaterbuch: «Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen», erschienen in Wien 1889. Ich hatte ein Jahr Spieker hinter mir, wo ich systematisch wurde und las nun im fernen Amerika, was der «Regierungsrat und Director der K. K. Staats-Gewerbeschule» in Wien über den «malerischen» Städtebau geschrieben hatte. Das Systematische wurde schnell vom Historischen überwuchert.

Dass es ein «Camillo Sitte Bautechnikum Höhere Technische Bundeslehr- und Versuchsanstalt» in Wien III gibt, wusste ich nicht. Dort wird Sittes Ruhm und Andenken gepflegt. Zum eigenen vierzigsten Geburtstag hat die Schule nun diesen schmalen Band herausgebracht. «Diese Publikation setzt die annähernde Kenntnis von Sittes Städtbau-Buch voraus», steht im Vorwort. Wir sind also unter Pfarrerstöchtern. Für alle andern ist dieser Satz die direkte Aufforderung, das Original zu lesen, die annähernde Kenntnis durch eine nähere zu ersetzten. Damit ist auch gesagt, dass die Aufsatzsammlung die hier vorliegt, keineswegs dringlich und nötig ist. Es ist akademische Petit-Point-Stickerei, ein loses Geflecht aus der Essay-Stube. Darin werden Einzelaspekte aus Sittes Werk und seiner Person beleuchtet, die mich zwar interessieren, weil er mich, aber die mein Wissen nur bescheiden erweitern.

Denn das hat Michael Mönninger bereits getan. Er veröffentlichte 1998 «Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Zur Kunst- und Architekturtheorie Camillo Sittes». Es ist vielleicht ungehörig, in einer Besprechung von dem Buch abzuraten, um das es geht, aber diesmal sei es gestattet. Mönninger hat den «konservativen Avantgardisten» ins kulturelle Umfeld Wiens der Jahrhundertwende eingebettet, hat Sitte mit Namen wie Richard Wagner oder Otto Wagner in Beziehung gesetzt, kurz, das historische Bindegewebe deutlich gemacht, das wir mit dem Stichwort Belle Epoque verbinden.

Was es mit der Jahrzahl 1883 auf sich hat, habe ich nicht herausgefunden. Hab ich’s überlesen, nicht geschnallt, bin ich zu beschränkt? Immerhin, 1843 und 1903 das sind die Lebensdaten des Helden. Henusode, liebe Lesefreundinnen, liebe Büchernarren, lest bitte zuerst Sitte, dann Mönninger. Langt Euch das noch nicht, so bleibt noch Wieczorek.   

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