Vom Bauschutt zur Dämmung
Am Brownbag-Lunch in der Schweizer Baumuster-Centrale konnte das Publikum mit eigenen Augen erleben, wie aus Bauschutt ein mineralisches Dämmmaterial entsteht.
Vorsichtig mischt Urs Gonzenbach im weissen Kittel und mit Laborbrille die beiden Pulver im Glaszylinder. Das eine ist Bauschutt, das andere ein Schäumungsmittel. Dann gibt er ein paar Zentiliter Flüssigkeit dazu. Langsam wie von Geisterhand steigt die graue Brühe den Zylinder hoch.
Die beschriebene Szene spielte sich letzte Woche in der Schweizer Baumuster-Centrale in Zürich ab, im Rahmen des Brownbag-Lunch, an dem die Firma swisspor eine neue, mineralische Dämmplatte aus Bauschutt vorstellte. ‹Ecorit› heisst der Mineralschaum. Entwickelt hat ihn die Firma in Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen Eberhard und Urs Gonzenbach, Gründer und Geschäftsführer des ETH-spin-offs de Cavis.
Der präsentierte Effekt ist das Resultat von zwanzig Jahren Forschung. «Das sieht gemütlich aus», kommentierte Christian Roethenmund, Director Business Development bei swisspor, «doch es ist knallhart Hightech.» Die aus ‹Ecorit› entwickelte Dämmplatte weist alle für die Baustandards wichtigen Eigenschaften auf. Sie schneidet im Vergleich mit Konkurrenzprodukten gut ab, ihre Dämmleistung beträgt laut Entwicklern 0,035 W/mK. Weil es sich um ein Kaltschäumungsverfahren handle, benötige die Herstellung keine Prozessenergie, «wogegen zum Beispiel Glas- oder Steinwolle auf 1500 Grad erhitzt werden muss», bemerkt Roethenmund. Die Dämmplatte bestehe zu 98 Prozent aus Luft, ein Kilogramm Werkstoff beinhalte 60 Gramm CO2, die nächste Entwicklungsstufe sogar nur noch 30 Gramm.
Insgesamt sei die Platte sehr nahe an den Standardprodukten, sodass sie auf der Baustelle ohne Anpassung der Prozesse anwendbar sei. «Die Verarbeiter müssen normal damit arbeiten können», sagt Roethenmund. Die gegenüber anderen Dämmprodukten etwas kleinere und leichte Platte bringe auf der Baustelle sogar Vorteile beim Handling mit sich.
Wie das neue Produkt in der Praxis funktioniert, erklärt Felix Thies den anwesenden Architektinnen und Planern. Mit seinem Büro Ilmer Thies Architekten hat Thies ‹Ecorit›-Dämmplatten für die Sanierung eines Bürokomplexes an der Zürcher Müllerstrasse verwendet. Hergestellt wurden diese mit dem Bauschutt aus den abgerissenen Gebäudeteilen. Anhand des Umbaus präsentiert Thies dem Publikum eine Reihe weiterer, konkreter Beispiele von zirkulärem Umgang mit Materialien. So haben die Architekten die Aluminium-Fassade des 1981 erstellten Gebäudes für die neue Fassade wiederverwendet. «Gussaluminium wird normalerweise nicht rezykliert, weil es beim Giessverfahren verunreinigt wird.» Dabei bringe es eine schöne Struktur und Patina mit, wie er auf den projizierten Projektbildern beweist. Eine Betonbrüstung des alten Gebäudes haben die Architekten abgeschnitten und als Sitzbank in der neuen Lobby platziert. Und die alte Treppe aus rotem Kunststein – ein Element, das normalerweise herausgerissen und dann in ähnlicher Art und Weise wieder reingegossen werde – haben die Architekten erhalten. «Wir haben die Umgebung an das alte Material angepasst, das dadurch eine neue Wirkung erzielt», sagt Thies.
Bedenkenträger habe es viele gegeben, erzählt der Architekt, er habe sein Vorgehen immer wieder bekräftigen müssen. Thies rechnet vor: Hätte sein Büro das Gebäude abgerissen und neugebaut, hätte es für den Rohbau 13'000 Kubikmeter Beton benötigt. Das entspreche 3900 Tonnen CO2 beziehungsweise 3900 gepflanzten Buchenbäume, die 80 Jahre lang wachsen. Doch der Neubau werde von der Baubranche noch immer für günstiger erachtet, «und er bestärkt auch das Ego der Architekten.» Er selbst sieht das anders: «Wenn wir verwenden, was wir vor Ort finden, schützt das uns Architektinnen und Architekten vor der Irrelevanz.»
Und was macht das eingangs beschriebene Experiment? Der Glaszylinder ist inzwischen bis an den Rand gefüllt, das Material hat sich verhärtet und Urs Gonzenbach holt es aus dem Gefäss. So kann sich das zahlreich erschienene Brownbag-Lunch-Publikum mit eigenen Augen versichern: die Dinge ändern sich, langsam aber sicher.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version haben wir geschrieben, dass Urs Gonzenbach Leiter des Materialdepartement der ETH Zürich ist. Das ist nicht mehr der Fall. Wir entschuldigen uns für den Fehler.