Im Genossenschaftshaus Stadterle in Basel können auch Rollstuhlfahrer eigenständig wohnen. Foto: Meinrad Schade

Wohnen für alle ermöglichen

Menschen mit Behinderungen haben kaum Chancen, eine Wohnung zu finden. Ein Aktionsplan der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur will auf den Missstand aufmerksam machen. Jetzt unterstützen!

Das Problem ist längst erkannt: Mietwohnungen sind in der Schweiz schwer zu finden – gerade in den Zentren. In der Stadt Zürich standen am 1. Juni dieses Jahres 144 Wohnungen leer, was 0,06 Prozent entspricht. In Bern betrug die Leerwohnungsziffer immerhin 0,45 Prozent.

Die Wohnraumknappheit betrifft alle Wohnungssuchenden, doch für Menschen mit Beeinträchtigungen wiegt sie besonders schwer. Von den wenigen verfügbaren Wohnungen kommt ein grosser Teil für sie gar nicht erst in Frage, denn in älteren Häusern und kleinen Neubauten sind die Wohnungen oft weder hindernisfrei noch auf ihre Bedürfnisse anpassbar.

Erstaunlich, möchte man meinen, schliesslich schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), das hindernisfreie Bauen seit 2004 vor. Doch das Gesetz, so die Bilanz der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur, zeigt beim Wohnungsbau zu wenig Wirkung: «Auch zwanzig Jahre nach Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes ist es um die Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen nicht gut bestellt.» Dass sich die Situation nur marginal verbessert habe, liege unter anderem daran, dass nur 11 Prozent der zwischen 2006 und 2021 in der Schweiz gebauten Wohnungen unter die Regelung das BehiG fielen, so die Fachstelle. Gebäude mit weniger als neun Wohneinheiten sind von den Bestimmungen befreit, und im Zuge eines Umbaus müssen die Massnahmen nur dann umgesetzt werden, wenn die Kosten dafür höchstens 5 Prozent des Gebäudeversicherungswertes oder 20 Prozent der Umbaukosten betragen.

 

Nur 11 Prozent der seit 2006 erstellten Wohnungen fallen unter die Bestimmungen des BehiG. Bild: Ausschnitt aus der Publikation Neue Wege im Wohnungsbau.

 

Viele Kantone haben die Minimalanforderungen des Bundes zwar verschärft. Dennoch decke das Angebot an hindernisfrei-anpassbaren Wohnungen die Nachfrage bei Weitem nicht, schreibt die Fachstelle. Mit dem Aktionsplan «Wohnen für alle» will sie auf den Missstand aufmerksam machen – und dazu aufrufen, das Konzept des hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbaus endlich konsequent umzusetzen.

Teil des Aktionsplans ist die Publikation «Neue Wege im Wohnungsbau». Eine Kernbotschaft der Broschüre: Hindernisfrei-anpassbar bauen ist weder gestalterisch einschränkend noch teuer, sofern die Entwerfenden von Beginn an einige einfache Regeln befolgen. Und: Hindernisfrei-anpassbar zu bauen heisst nicht, einige «Sonderwohnungen» zu erstellen, sondern sämtliche Wohnungen so zu konzipieren, dass sie für möglichst alle Menschen in allen Lebenslagen gut nutzbar sind.

Auf einer Online-Plattform will die Fachstelle nun gute Beispiele für solche Wohnhäuser zusammentragen. Für die Umsetzung der Online-Plattform und zur Verbreitung der Broschüre ist die Fachstelle auf Unterstützung angewiesen. Das Crowdfunding läuft noch bis Mitte September.

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Kommentare

Julia Röder 01.09.2023 11:11
An guten Beispielen fehlt es nicht! Die Frage stellt sich nach dem Angebot der geplanten Online-Plattform. Nur schöne Bilder werden nicht reichen. Es benötigt Informationen zu den eingehaltenen Normen und den Vorteilen für Menschen mit Beeinträchtigung sowie zahlreiche Hilfestellungen für gelungene Detaillösungen insbesondere im Bereich Balkonschwelle unter Berücksichtigung der Schlagregendichtigkeit und der SIA 271...
Hindernisfreie Architektur – die Schweizer Fachstelle 04.09.2023 11:12
Sehr geehrte Frau Röder Ich habe Verständnis dafür, dass die Anwendung der Normen und die bauliche Umsetzung nicht immer einfach sind. Bitte stellen Sie sich auch vor, dass es für eine Person im Rollstuhl nicht einfach ist, wegen baulicher Barrieren ausgeschlossen zu werden. Zu baulich-räumlichen Detailfragen haben wir verschiedene Merkblätter, die Sie auf unserer Homepage kostenlos herunterladen können oder Sie wenden sich am besten direkt an uns oder an eine Beratungsstelle in Ihrem Kanton. Leider gibt es unter Architektinnen und Architekten immer noch viele Vorurteile gegenüber hindernisfreiem Bauen. Je mehr gute Beispiele es gibt, desto besser! Wenn Sie ein gutes Beispiel kennen oder selbst gebaut haben, können Sie es uns gerne zusenden. Dass es mit schönen Bildern nicht getan ist, da sind wir uns einig und das ist auch nicht die Idee der Online - Plattform. Methodisch wenden wir hier die eigentliche Fallstudienanalyse an, d.h. die Beispiele werden aus der Fach- und Nutzerperspektive analysiert, dokumentiert und kommentiert und didaktisch so aufbereitet, dass man daraus lernen kann. Eine solche seriöse Recherche kostet Zeit und Geld, daher sind wir für jede Unterstützung dankbar!
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