Beispiel Riegel: das Büro- und Laborgebäude ALL in Allschwil.
In Zusammenarbeit mit Senn und uptownBasel

Fünf Mal maximale Flexibilität

Das Gewerbehaus ist im Wandel. Riegel, Stapel, Überhöhe, Halle und Hof sind die gängigsten Bautypen heutiger Gewerbehäuser. Ein Ordnungsversuch.

Flexibel sollen sie sein, die Gewerbehäuser von heute. Mit hohen Räumen, geschickten Rastern und tragfähigen Böden. Auf den ersten Blick lässt die Bauaufgabe den Architektinnen viel Freiheit. Keine komplexen Funktionsdiagramme bestimmen den Entwurf, sondern die künftigen Mieter. Und die sind vor allem eines: heterogen. Lohnt sich da überhaupt der Versuch, die Bauten in Typen einzuteilen? Sind die Nutzungen nicht zu verschieden, die Standorte und Rahmenbedingungen nicht zu divers? Aber doch: Es lohnt sich. Bei einem genauen Blick auf die Gewerbehäuser in diesem Heft offenbaren sich Muster. Und die haben mit der gängigen flachen Wellblechkiste in der Agglomeration nichts gemein. Auch wenn die folgenden fünf Bautypen bei Weitem nicht alle Entwicklungen und Varianten umfassen, zeigen sie doch grundsätzliche Herangehensweisen auf, dank denen die Mieterschaft maximale Flexibilität in Grundriss und Schnitt findet.

Riegel

Das lange Gewerbehaus entwickelt sich im Grundriss an einem lang gestreckten Kern. Im ALL in Allschwil siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 12 nimmt dieser die Toiletten und die Erschliessung auf, versteckt die grossen Lüftungsschächte und teilt den Grundriss in zwei gleiche Längshälften. Im Haus der Wirtschaft in Pratteln siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 14 sind die Mietflächen zwar am langen Kern angeordnet, passen sich aber nicht wie beim ALL in einen starren Stützenraster ein. Zur Strasse hin tritt das Gewerbehaus in Pratteln selbstbewusst als Riegel auf. Mit seinen fünf, teilweise gar sechs Geschossen legt es sich an die Strassenflucht des Gewerbegebiets beim Bahnhof. Es trägt seine Länge gegen aussen, die grossen horizontalen Fenster nehmen die Strassenrichtung auf. Auch das ALL betont mit Fensterbändern und ausgestellten Solarpaneelen seine Länge in der Fassade und schliesst das BaseLink-Areal zur Strasse hin ab. Eine Sonderform des Riegels ist das Fahrwerk siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 15. Der Bau am Gleisfeld von Winterthur ist ebenfalls an einer langen Mitte organisiert. Diese gehört jedoch nicht der Erschliessung zu Fuss, sondern sie ist befahrbar. Die innen liegende Fahrgasse verdrängt die Kerne in die beiden sonst gleichmässigen Gebäudehälften. Auf beiden Stirnseiten schliessen Rampen das Haus ab. Im Riegeltyp spielt die strikte Ordnung im Zentrum des Gebäudes viel flexible Fläche frei und sorgt für eine klare, einfach unterteilbare Struktur.

Beispiel Stapel: das Gewerbehaus Flüelastrasse in Zürich.

Stapel

Das gestapelte Gewerbehaus entwickelt sich dort in die Höhe, wo in der Stadt wenig Fläche bleibt. Damit tritt es im Stadtraum trotz kleiner Grundfläche markant in Erscheinung. Seine Grundrisse sind kompakt, die Erschliessung liegt konzentriert in einer Gebäudeecke. So auch beim geplanten Gewerbehaus an der Flüelastrasse in Zürich siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 16. Im ersten Viertel des Grundrisses liegt die Erschliessung an der Stirnfassade, die weitere Fläche lässt sich frei unterteilen, sei es in grosse Gewerberäume oder Büros. Trotz ähnlicher Höhe zeigt sich in der Fassade ein Unterschied zum Riegeltyp: Sie betont nicht die Horizontalität, sondern erscheint als Stapelung. Die sieben Geschosse des Gewerbehauses an der Flüelastrasse streben in der Fassade sichtbar nach oben. Der Sockel trägt drei Geschosse, die von einer schmalen Balkonschicht zusammengebunden werden. Darüber läuft ihre Struktur mit feinen Streben gegen oben aus. In den beiden obersten Geschossen verändert sich die Fassade noch einmal. Jeweils zwei übereinanderliegende Fenster sind optisch miteinander verbunden und betonen ein letztes Mal die Bewegung nach oben.

Beispiel Überhöhe: das Gewerbehaus Yond in Zürich.

Überhöhe

Mit dem Stapeln – diesmal von Einbauten der Mieterschaft – beschäftigen sich auch die Gewerbehäuser Yond siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 17 und MACH siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 16. Mit überhohen Geschossen wollen sie ihren Nutzerinnen maximalen vertikalen Spielraum auf einer minimalen Mietfläche bieten. Dafür braucht dieser Gewerbehaustyp vor allem eine robuste Tragstruktur, die die Lasten der zusätzlichen Einbauten der Mieter aufzunehmen vermag. Maximale Flexibilität bei maximaler Tragkraft, lautet die Devise. Das lässt sich auch am Stützenraster ablesen. Mit acht bis zehn Metern ist er etwas grösser als bei anderen Bautypen. Die Stützen des MACH zeigen ihre überdurchschnittliche Belastbarkeit gar in Pilzform und lehnen sich damit an tragkräftige Industriebauten an. Die Mietflächen sind an einer langen Mitte angeordnet, die Flächen jedoch um einiges freier zu bespielen als bei Stapel und Riegel. Einschnitte im Grundriss gliedern das Gebäude Yond in verschiedene Bereiche, sodass es im Strassenraum als drei kleinere Häuser in Erscheinung tritt. Beim MACH geschieht die Gliederung des kompakten Körpers im Innenraum. Treppen und Toilettenanlagen schieben sich aus der Mitte in die Fläche beidseitig des Erschliessungsgangs und unterteilen den grossen Raum. Um ausreichend Platz für Einbauten und doppelgeschossige Bereiche zu lassen, sind die Mietflächen tiefer als bei anderen Typen. Die überhohen Fenster bringen genügend Licht in die Räume.

Beispiel Halle: das Gebäude Q auf dem Areal der ehemaligen SBB-Werkstätten in Zürich.

Halle

Auch beim Umbau von alten Lager- und Industriehallen stellen Gebäudetiefe, Raumhöhe und Belichtung die Architekten vor Herausforderungen. Das Baubüro In Situ hat im Auftrag von SBB Immobilien die weite Halle auf dem Areal der ehemaligen SBB-Werkstätten in Zürich siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 17 durch die Aufteilung in vier Quadranten neu organisiert. Dazwischen sorgen Gassen für Richtung und Orientierung auf der grossen Fläche. Zusätzlich plant In Situ Zwischengeschosse, damit die Nutzer von der Höhe der Halle profitieren können. Die belichtete Mitte soll jedoch nicht nur Anlieferungsgasse sein, sondern auch ein Treffpunkt für die Mieterinnen. Gemeinsam mit der Geschichte der Hallen stiften die Begegnungsräume die besondere Identität dieser Gewerbehäuser.

Beispiel Hof: GreenSpin in Winterthur.

Hof

Dieser Bautyp trumpft mit grünen Höfen und gemeinschaftlichen Aussenflächen auf. Auf die bereits gebauten Beispiele Switzerland Innovation Park Main Campus siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 12 und Elys siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 13 folgt bald GreenSpin in Winterthur siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 15, welches das Grün bereits im Namen trägt. Die Erschliessung ist unterschiedlich gelöst und hängt doch bei allen eng mit dem Hof zusammen. Beim Switzerland Innovation Park Main Campus liegen die vier Erschliessungskerne an den Hofecken. Beim GreenSpin wird der Hof selbst zur Erschliessung. Die mit Fahrrad oder E-Mobil befahrbare Rampe bringt Besucher und Arbeiterinnen dereinst direkt in die Gewerberäume und wird für das ganze Haus zum Begegnungsort. Neben flexiblen Räumen vermieten die Entwickler auch ein gutes Gewissen. GreenSpin bemüht sich um eine möglichst ökologische Tragstruktur und wird mit grossen Photovoltaik-Anlagen zum urbanen Kraftwerk. Das Gebäude Elys, dessen kleiner Innenhof wegen seiner Lage im Bestand unbegrünt bleibt, leistet seinen Beitrag bei der Bauteilwiederverwendung.

Neue Anforderungen

Neben diesen fünf Gewerbehaustypen begegnen uns auch immer wieder Mischformen: Das Gewerbehaus The Pioneer auf dem Areal von uptownBasel siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 13 ist zwar ein länglicher Bau, bildet aber in den Geschossen über der Halle einen Hof aus. Mit den Erschliessungskernen an der Fassade unterscheidet es sich grundlegend von anderen Gewerbehaustypen. In Biberist entsteht mit der Halle für das Batterie-Recycling-Unternehmen Librec siehe ‹Zwölf Projekte›, Seite 14 ein flacher Riegel, der im Innern jedoch wie eine Halle organisiert und in grosse, fast quadratische Bereiche unterteilt ist. Solche Beispiele gibt es viele, ein Typenkatalog für das Gewerbehaus kann nicht abschliessend sein. Doch er zeigt – gerade zusammen mit den Mischformen –, welche unterschiedlichen Lösungen aus verschiedenen Rahmenbedingungen und Standorten entstehen können. In der Auswahl sind die wichtigsten Strategien erkennbar, um Flexibilität zu gewährleisten. Daneben zeigen die Bautypen, dass heute einiges mehr gefordert ist als flexibel bespielbare Räume. Angesichts der immer drängenderen ökologischen und sozialen Fragen werden sich die Anforderungen an Gewerbeflächen wohl auch in den kommenden Jahren weiterentwickeln und abgewandelte Typen mit neuem Potenzial hervorbringen.

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