Neuer Weg im alten Holz
Mustafa Karaaslan studiert in Liechtenstein Architektur. Seine Bachelor-Thesis befasst sich mit der Wiederverwendung von Bauteilen aus einem historischen Strickbau in der liechtensteinischen Gemeinde Eschen.
Wie können Bauteile aus einem alten Strickbau wiederverwendet werden, um einem architektonischen Projekt eine lineare Typologie mit einem klaren tektonischen und strukturellen Ausdruck zu verleihen? Mit dieser Frage befasst sich meine Bachelor-Thesis an der Liechtenstein School of Architecture in Vaduz. Der 1793 errichtete und 1861 versetzte Strickbau mit nacherrichteter Scheune an der Kapfstrasse in Eschen bietet eine einmalige Chance zur Umnutzung. Die Semesteraufgabe bestand darin, das bestehende Gebäude zu vermessen, seine Teile zu katalogisieren und sie in einem neuen Entwurf wiederzuverwenden. Der Entwurfsprozess konzentrierte sich auf eine Form, welche die linearen Qualitäten des gewählten Standorts ergänzt – einen Weg und einen Parkplatz, der täglich von Hunderten von Menschen genutzt wird und gleichzeitig den Anwohnerinnen und Anwohnern als Joggingstrecke dient.
Das Bestandsgebäude repräsentiert eine traditionelle Bauweise mit spezifischen Anpassungen im Laufe der Zeit. Der Strickbau verfügt über ein gemischtes Fundamentsystem: ein Betonfundament an der Ostfassade und Trockensteinmauern aus verschiedenen Materialien an den anderen Seiten. Der direkt an den Strickbau angebaute Stall, erbaut 1821, ist als Leichtbau konzipiert und besteht aus Stützen, Streben und zwei Bohlenwänden. Die Raumhöhen variieren je nach Nutzungsbereich: zirka sieben Meter in der Tenne, fünfeinhalb Meter im Heustock und zwei Meter im Kuhstall. Der für meinen Entwurf gewählte Standort liegt in unmittelbarer Nähe wichtiger öffentlicher Gebäude wie dem Hallenbad, der Schule und dem Gemeindezentrum. Täglich wird er von vielen Menschen frequentiert, was ihn zu einem Schlüsselbereich für städtebauliche Interventionen macht. Durch die Nutzung eines bereits asphaltierten Weges werden die logistischen Herausforderungen für Transport und Montage der Bauteile effizient gelöst und die Umweltauswirkungen minimiert.
Die zentrale Idee meines Projekts entstand aus einer Studie über die lineare Typologie und deren Möglichkeiten für innovative Raumgestaltung. Das Gebäude soll nicht nur in sich funktionieren, sondern auch mit dem umgebenden öffentlichen Raum interagieren. Den Platz unter dem Gebäude verstehe ich als durchlässigen und lebendigen Bereich, während das zweite Obergeschoss eine klar definierte Nutzung ermöglicht. Das Ergebnis ist eine sich wiederholende Holzrahmenstruktur, die sich über 65 Meter entlang des Weges erstreckt. Im Erdgeschoss befindet sich ein öffentlicher Fitnessparcours, der von dem Verein ‹Eschen Aktiv› betreut werden soll. Diese Einrichtung fördert die Gesundheit der Menschen und stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Für Veranstaltungen ist im Erdgeschoss Platz. Dieser Gebäudeteil bietet dafür einen hohen, überdachten Raum. An den Stützen des Gebäudes sind Markisen angebracht, die bei Bedarf ausgefahren werden können. Die beiden Wohneinheiten sind über eine Wendeltreppe an der Westfassade zu erreichen und zeichnen sich durch raumhohe, rezyklierte Holzfensterfassaden aus, die durch Holzkammern unterteilt werden. Schlafzimmer und Bäder nutzen die Kammern des Strickbaus und erschaffen und erschaffen durch ihre versetze Anordnung interessante Räume für die Wohnungen.
Weil die Länge der ursprünglichen Balken nicht ausreichte, musste ich spezielle Verbindungen entwickeln, um den Anforderungen des Entwurfs gerecht zu werden. Das Tragwerk besteht aus mehreren sich wiederholenden Rahmen, die sich in ihrer Länge unterscheiden und sich so der Topographie anpassen. Die Rahmen bestehen aus Stützen, zwei Querbalken und zwei Sparren. Unter dem ersten Querbalken sind zusätzliche Streben angebracht, um eine leichte Aussteifung zu gewährleisten. Die Rahmen sind über Punktfundamente mit dem Gelände verbunden. Diese Fundamente ragen etwa sechzig Zentimeter über den Boden und verbinden sich mittels einer speziellen Holzverbindung mit den Stützen. Im Deutschen heisst diese Verbindung ‹Schräges Hakenblatt mit Kreuzzapfen und Keil› und im Japanischen ist sie als ‹kanawatsugi› bekannt. Diese Konstruktionsweise ermöglicht es, die Stützen bei Bedarf wieder abzubauen und trägt dem Prinzip des reversiblen Bauens Rechnung.
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* Mustafa Karaaslan studiert im 7. Semester Architektur an der Universität Liechtenstein.