Aufgetischt!
Im Projekt ‹Meine Stimme, Deine Stimme› haben die Textildesignerinnen der HSLU kritisch das Jubiläum 50-Jahre-Frauenstimmrecht hinterfragt. Eine Ausstellung auf dem Campus Emmenbrücke zeigt die Ergebnisse.
«Inhalt aufs Textil!» – das war die Aufgabe, der wir uns im vierten Semester stellten. Wir, das sind 15 Studentinnen im unterdessen dritten Bachelorjahr Textildesign. So unterschiedlich wir sind, so unterschiedlich wurden die Arbeiten, die unter dem Thema 50-Jahre-Frauenstimmrecht in der Schweiz entstanden sind. Initiiert und begleitet haben das Projekt die Dozentinnen Franziska Born und Brigitt Egloff.
Zu Beginn ging es darum, herauszufinden, was uns beschäftigt, wo wir uns vertiefen möchten und was uns interessiert. Wo stehen wir als Frauen heute? Was ist nicht im Gleichgewicht in unserer Gesellschaft? 50 Jahre Frauen-Mitspracherecht ist ja nicht ein bequemes Sofa, auf dem wir uns ausruhen wollen und können. Es gibt viele Themen, die uns beschäftigen und für die es sich lohnt, die Stimme zu erheben.
Die Palette wurde farbig, divers und spannend. Themen wie Mental Overload im Projekt ‹in a spin› von Laurène Affolter, sexistische Sprüche im Alltag mit Florence Schöbs ‹chlikariert› und ‹Silence is also an echo› von Gaia Leonardi zu Femizid wurden umgesetzt. Die Themen, die wir in jeweils einer Serviettenserie auftischen, sind aktuell. Die Betrachter:in darf ruhig ein bisschen Mühe haben beim Schlucken, es sind teilweise harte Brocken.
In meiner Arbeit ‹17'527› beschäftigte ich mich mit den Statistiken des BAG zur häuslichen Gewalt vom Jahr 2020. Es entstand eine Serie von zehn Servietten im Digital- und Siebdruck. Jede Serviette zeigt eine Form der häuslichen Gewalt in einer Infografik, auf der Rückseite sind weitere Details mittels QR-Codes verortet. Spitzendeckchen überlagern die Grafik, sie stehen für das Beschönigen, das so oft mit häuslicher Gewalt einher geht und diese täglich weiter geschehen lässt.
Neben den Servietten entstand auch ein Vorhang. Er steht für die Schwelle zwischen dem Innen und Aussen, für Intimität und Öffentlichkeit. Hier habe ich mit der Zahl 17'527 gearbeitet, so viele Delikte wurden 2020 der Polizei gemeldet. Unten auf dem Vorhang ist die Zahl deutlich zu lesen, nach oben löst sie sich nicht auf, aber sie verschwimmt. Sie erinnert an die Gewalttaten, die verdreht und schöngeredet werden: «Er hat es nicht so gemeint», «er wollte das eigentlich auch nicht.» (Ich wähle bewusst die männliche Form, da der Grossteil der Delikte von Männern begangen wird.) Die fotografische Inszenierung ist dort entstanden, wo häusliche Gewalt am meisten stattfindet: im heimischen Kontext. Die Servietten wurden hier bewusst weg vom Tisch genommen und sind sozusagen stille Zeugen der Gewalt.
Das Thema war ‹Meine Stimme – Deine Stimme›. Ich bin privilegiert und in einer ‹heilen Bubble› aufgewachsen – Bullerbü wurde das mal von einer Kollegin genannt. In diesem Projekt hatte ich die Möglichkeit, meine Stimme den Menschen zu geben, die die besonders traurigen Seiten der schweizerischen Gesellschaft erleben. Ihnen fehlt oft die Kraft, ihre Stimme zu erheben oder sie wird nicht gehört.
* Simone Kuhn studiert im 5. Semester Textildesign an der Hochschule Luzern Design & Kunst.
Ausstellung ‹Meine Stimme – Deine Stimme›
Freitag, 26. und Samstag 27. November 2021
Hochschule Luzern – Design & Kunst, Nylsuisseplatz 1, 6020 Emmen, Ausstellungsraum 745_050
Anlässlich der Info-Tage Design & Kunst