Der junge Vertikalgarten musste mehrere Hürden überwinden. Heute reichen viele Kletterpflanzen bereits bis unters Dach.
Im Auftrag von Hydroplant

Wachsende Räume

Vertikalgärten schaffen neue Grünflächen in immer dichter werdenden Städten. Ein Beispiel zeigt, wie sich Natur auch in historische Quartiere integrieren lässt.

Im Zürcher Seefeld steht ein Hotel, das so wirkt, als sei es mit seinem Standort verwachsen. Wilder Wein, Berg-Waldreben, Clematis und Pfeifenwinden ranken entlang der zartblauen Fassade. Einige Kletterpflanzen decken fast die ganze Höhe ab, andere, etwa Rosen und Wurstbeeren, umarmen Eingang und Hochparterre. Doch was aussieht wie über Generationen gewachsen, täuscht: Erst vor rund einem Jahr wurde das Jugendstilhaus innen und aussen saniert und als ‹Alma Hotel› wiedereröffnet. Während es zuvor kaum als Gästehaus erkennbar war, lädt nun eine hölzerne Terrasse entlang der Mainaustrasse zum Sitzen ein. Rundherum wächst dichtes Grün. 

Das ehemalige Frauenhotel ‹Lady’s First› heisst seit 20 Jahren auch Männer willkommen – ein neuer Name war also überfällig. Es ist das älteste Haus der ‹Sinn & Gewinn Hotels›. Mit dem Umbau wollte die Bauherrin nicht bloss Interieur und Auftritt erneuern. Sie verfolgte auch verschiedene ökologische Ziele, darunter eine Fassadenbegrünung. «Die Voraussetzungen waren aufgrund des Altbaus und der geografischen Ausrichtung der Fassade nicht einfach», sagt Nadine Tschudi vom Architekturbüro GREGO Jasmin Grego &Stephanie Kühnle, das für den Umbau verantwortlich war. Um ein geeignetes System und die richtige Bepflanzung zu finden, wandten sich die Architektinnen an das Unternehmen Hydroplant. 
 

Statt auf Klimaanlagen setzt das Hotel ‹Alma› auf Verdunstungskühlung.

An den Distanzhaltern der mittleren Stahlseile sind Edelstahlleitungen mit Sprühdüsen angebracht, damit die historische Fassade vor Feuer geschützt ist.

Als grösste Herausforderung erwies sich der Brandschutz, weil eine Fassadenbegrünung das Brandrisiko erhöht. Auf Erfahrungswerte oder konkrete Richtlinien konnte das Team nicht zurückgreifen – das ‹Alma› ist der erste historische Altbau in Zürich, bei dem eine Fassadenbegrünung realisiert wurde. Die nun entwickelte prototypische Lösung baut auf den Kletterkonstruktionen auf, die sich zwischen den Fenstern nach oben ziehen. Während links und rechts dünne Drahtseile verlaufen, sind die dickeren Mittelstränge mit Sprühleitungen versehen. Im Brandfall schaltet sich die Sprinkleranlage automatisch ein, Abschlussbleche verhindern einen Brandüberschlag auf das Dach.
 

Unterschiedliche Blühzeiten sorgen das ganze Jahr für Akzente.

Vertikalgärten bieten mehrere Vorteile: Sie schützen die Fassaden, fördern die Biodiversität, binden Feinstaub und CO₂, spenden Schatten und kühlen die Umgebung.

Anspruchsvoll ist auch der Standort. Statt einheimischer Kletterpflanzen hat das Team deshalb Arten verwendet, die zurechtkommen mit der schattigen Lage und nicht zu stark verholzen. Michael Hagenauer, damals Projektleiter von Hydroplant, erklärt: «Wir haben möglichst diverse, immergrüne und laubabwerfende Pflanzen mit unterschiedlichen Blühzeiten miteinander kombiniert, um unterschiedliche Höhenstrukturen zu schaffen und Insekten Nahrung und Lebensraum anzubieten.» Besonders die vielen einheimischen Stauden, die in den Rabatten nahe der Terrasse wachsen, ziehen Schmetterlinge und Bienen an. Weil sich das Haus zum See hin leicht absenkt, orientiert sich das Gerüst an der optischen Horizontalen und wirkt so der Neigung korrigierend entgegen. 

Vertikalgärten schaffen nicht nur Lebensraum für Tiere, sie erleichtern auch den Menschen das städtische Dasein: Das Laub bindet Feinstaub und CO₂, produziert Sauerstoff und bricht den Schall. Es schützt Fassaden vor Schmutz und UV-Strahlen. Vor allem aber trägt es zur Hitzeminderung bei. «Um ihren ‹Leistungsauftrag› vollends erfüllen zu können, brauchen Kletterpflanzen ausreichend Wasser», sagt Hagenauer, «doch es ist nicht verschwendet. Indem es verdunstet, findet es in den natürlichen Kreislauf zurück. Der kühlende Effekt ist sogar in zehn Metern Distanz noch spürbar. Und dank des Schattens heizt sich die Fassade tagsüber weniger auf und gibt nachts weniger Hitze ab.» Bei Neubauten lässt sich auch Regen- oder Grauwasser einsetzen. Wird die Begrünung von Anfang an mit eingeplant, ist ihre Umsetzung weniger komplex. 


«Wir haben möglichst diverse Pflanzen kombiniert, um Insekten Nahrung und Lebensraum zu bieten.» Michael Hagenauer, ehemaliger Projektleiter Hydroplant


Hagenauer ist überzeugt, dass die Vorteile den Aufwand der Pflegearbeiten langfristig wettmachen werden. Wie Biodiversität und Hitzeminderung derzeit in den Fokus rücken, zeigt sich auch aus anderer Perspektive: Die Fachstelle Naturschutz und Stadtökologie von Grün Stadt Zürich fördert Vertikalbegrünungen gezielt, berät kostenlos und unterstützt Bauvorhaben finanziell. Zurzeit steigen die Anträge stark an – nicht nur für grosse Konstruktionen, sondern auch für kleine Projekte. Alle zusammen sollen einen grünen, biodiversen Flickenteppich bilden, der Zürich auf kommende Sommer vorbereitet.

Die Rubrik Werkplatz ist eine Kooperation von Hochparterre mit ausgesuchten Firmen und Institutionen des Werkplatzes Schweiz. Dieser Beitrag erscheint auch in der Hochparterre Sonderpublikation Werkplatz Spezial Aussenraum und Energielösungen.

 

Umbau Hotel Alma, 2022
Bauherrschaft: Sinn & Gewinn Hotels
Architektur und Innenarchitektur: GREGO Jasmin Grego & Stephanie Kühnle Architektur
Fassadenbegrünung und Bepflanzung: Hydroplant
Seilkonstruktion: Jakob Stahlseile

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