Vertikalmarkisen im Erdgeschoss Fotos: Ralph Feiner
Im Auftrag von Kästli & Co.

Die Nichtfarbe des Halbdunkels

Im Oberengadin gibt es ein neues Hotel, das Aufsehen erregt. Dahinter stehen ein bekanntes Hotelierpaar und ein ebenso bekannter Architekt. Die bauliche Sorgfalt zeigt sich auch beim Sonnenschutz.

Im Zentrum von Pontresina steht, was es in den Schweizer Tourismushochburgen nur noch selten gibt: der Neubau eines Hotels, das einen Anspruch formuliert – bei der Gastlichkeit wie bei der Architektur. Sieben Jahre lang haben Bettina und Richard Plattner mit dem Architekten Gion A. Caminada das Hotel Maistra 160 erdacht, geplant und gebaut. Ihr Neubau ist nicht klein. Der viergeschossige Baukörper mit den Gesellschaftsräumen und 36 Doppelzimmern liegt an der Via Maistra, laut Fremdenverkehrswerbung die längste Dorfpromenade im Engadin. Die elf Ferienwohnungen und der grosszügige Spa-Bereich betten sich mit einem talseitigen Sockelbau aus verschiedenen Volumen unauffällig in die heterogene Umgebung. Manche der Nutzungen öffnen sich auch den Pontresinern, zum Beispiel die «Creative Box», ein Raum zum gehobenen Basteln, oder der Pöstlikeller, die Wiedergeburt eines beliebten Treffpunkts der Dorfjugend. Die Website des Hotels zitiert Gion A. Caminada mit dem Satz, man solle nicht darüber nachdenken müssen, ob das Gebäude an diesen Ort passe oder nicht: «Es ist.»


Ausgefräste Löcher in den Fallstangen

Hinter dem halbtransparenten Gewebe: die Engadiner Berglandschaft

Und dass es ist, ist vor allem der starken Präsenz des Baukörpers zu verdanken. Seine Fassade gliedern massive und tragende Steinpfeiler, die sich nach oben verjüngen. Ihr kühl-dunkles Blaugrau hebt sich ab von der warmen Helle der unterschiedlich breiten Felder dazwischen. Diese füllen mal geschlossene Betonplatten, mal schmale Fenster. Die Hauptrolle spielen allerdings die Loggien und Fenster der Hotelzimmer, ebenfalls von vorgefertigtem Beton gefasst. ‹Plastizität› ist hier das Schlüsselwort; Masse war das Ziel, nicht Leichtigkeit – auch wenn die tonnenschweren Betonplatten etwas geneigt sind und an ihrem unteren Ende mit je drei Metallschrauben sichtbar befestigt scheinen.

«Sensationell ist das Gebäude, nicht unser Beitrag», sagt Marc Kästli. Im Hauptgebäude haben die Sonnenstoren der Firma Kästli neben dem Verschatten vor allem eine Aufgabe: nicht weiter aufzufallen. Sie sind weder gestreift noch strahlend weiss, sondern umbrafarben (lat. umbra, der Schatten), tragen also die schöne Nichtfarbe des dahinterliegenden Halbdunkels nach vorne. Als Vertikalmarkisen mit Seilführung bleiben sie demütig innerhalb des Gebäudevolumens, bei den Hotelzimmern in den Obergeschossen wie bei den Gesellschaftsräumen im Erdgeschoss. Nur bei den Ferienwohnungen im weissen, talseitig gelegenen Sockel dürfen sie ausscheren. Die Farbe der dortigen Markisen entspricht derjenigen der Putzfassade und trägt den etwas unzeitgemässen Namen «Colonial White». Mit ihrem Fallarm strecken sich die Markisen in Richtung Val Roseg. Da das Energiegesetz dies vorschreibt, haben die sonnenexponierten Loggien zwei Storen hintereinander: eine Vertikalmarkise am Fenster und eine Fallarmmarkise an der Loggiabrüstung.



Fallarmmarkise einer Ferienwohnung

Bergseitiger Anbau mit Ferienwohnungen

Die Markisen sind von hoher Qualität. Ihr farbechtes Polyestergewebe stammt von der Weberei Sattler aus Graz. Es wirkt haptisch und ist halbtransparent, daher sieht man auch bei geschlossenen Storen, dass die Berge davor noch immer dort stehen. Mit 2,6 Metern sind die Bahnen des Stoffes extra breit, und vertikale Nähte entfallen. Die ausgefrästen Drahtseilführungen an den Enden der Fallstangen aus Chromstahl zeigen, dass es sich nicht um Standardware handelt.

Mit Gion A. Caminada zu bauen, sei für ihn sehr spannend und herausfordernd gewesen, sagt Marc Kästli. Der Unternehmer in der dritten Generation nimmt sich jeweils viel Zeit, um auf die Wünsche der Architekten einzugehen. In Pontresina haben sie viele Details gemeinsam erdacht, um den verschiedenen Einbausituationen gerecht zu werden. Und das Gerüst wurde temporär abgebaut, damit man die Farbtöne der Stoffe direkt an der Fassade bemustern konnte. Das Ergebnis lässt sich sehen, von innen wie von aussen: Es ist.

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