Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität

Ein eigenes Werk in der Ukraine produziert für Huber Halbfabrikate. Das Unternehmen sorgt für die Aufzucht von jungen Bäumen und nutzt die Holzabfälle zur Energiegewinnung.

In Zusammenarbeit mit Huber Fenster

Ein eigenes Werk in der Ukraine produziert für Huber Halbfabrikate. Das Unternehmen sorgt für die Aufzucht von jungen Bäumen und nutzt die Holzabfälle zur Energiegewinnung.

Lokales Holz nicht einfach als Energiequelle zu nutzen, sondern im Bau zu verarbeiten – diese Idee liegt nahe. Doch wenn es um die Herstellung von Fenstern geht, wird ein solches Projekt zur Herkulesaufgabe. Denn der Weg vom stehenden Baum im Wald bis zum fertig montierten Bauteil im Gebäude ist lang. Als Erstes muss die richtige Baumart in der richtigen Qualität gefunden werden. Dann wird gefällt und eingesägt, die Bretter brauchen zudem die passende Restfeuchte für die Weiterverarbeitung. Anschliessend geht es an die Feinarbeit: Das millimetergenau zugeschnittene Holz wird zu Kanteln verklebt. Diese sind in der Regel aus drei oder vier verschiedenen Holzschichten zusammengesetzt und werden danach verleimt. «So werden die Kanteln besonders stabil, reagieren weniger auf Temperaturschwankungen und verziehen sich nicht», erklärt Martin Huber, ehemaliger Verwaltungsratspräsident von Huber Fenster. Die Holzstäbe sind üblicherweise sechs Meter lang und werden erst beim Fensterfabrikanten auf das gewünschte Mass zugeschnitten.

Verlässliche Zusammenarbeit
Würden nur lokale Bäume ausgewählt und zu Fensterkanteln verarbeitet, wäre das aufwendig und teuer, weil das Fällen in der Schweiz aufgrund der Topografie kompliziert ist und Rodungen im grossen Stil nicht erlaubt sind. «Hat ein Kunde diesen Wunsch, erfüllen wir ihn natürlich – bisher war das jedoch selten der Fall», so Pascal Huber, einer der Söhne von Martin Huber und heutiger CEO von Huber Fenster. Während es bei Massenware wie Balken und Brettern sinnvoll sein kann, auf regionales oder – etwa im Fall einer Gemeinde – sogar eigenes Holz zurückzugreifen, ist die lokale Beschaffung bei Spezialhölzern wie den Fensterkanteln zu aufwendig. Huber Fenster verlässt sich deshalb auf zwei europäische Hauptlieferanten für ihre Halbfabrikate. Der eine ist ein Familienbetrieb in Slowenien, der in erster Linie regionales Fichtenholz verarbeitet. Das relativ preiswerte Holz kommt bei Anwendungen zum Zug, bei denen das Holz des Fensterrahmens nicht sichtbar ist, sondern lackiert wird. «Jeweils Mitte Jahr bestellen wir, was wir in den nächsten zwölf Monaten benötigen», sagt Pascal Huber. Die Zusammenarbeit besteht seit 15 Jahren. Das schafft Vertrauen – auch in schwierigen Zeiten. Als es während der Pandemie zu Lieferengpässen kam, mussten zwar auch die Fensterbauer aus Herisau länger auf den Nachschub warten als üblich. «Doch wir sind unserem Lieferanten treu geblieben. Umgekehrt hat uns die Firma so zuverlässig wie möglich versorgt.»

Gefragte Eiche
Spezialanfertigungen bringen es mit sich, dass für jedes Objekt andere Masse und Holzarten gefragt sind. «Unsere Partner sind bereit, auf Sonderwünsche und Kleinstmengen einzugehen», so Pascal Huber. Immer beliebter werden Holzfenster, die nicht deckend lackiert sind und ihre Maserung zeigen. Gibt die Optik den Ausschlag, orientieren sich Bauherrschaft oder Architektin daran, welche Holzart für die Fassade oder den Innenraum gewählt wurde. Das ist etwa Nussbaum, Douglasie oder Zeder. Doch weil Eichenparkett boomt, schlägt sich das auch in der Nachfrage nach naturbehandelten Fenstern nieder. Eiche und andere Harthölzer haben gegenüber Nadelholz noch weitere Vorteile: Die höhere Dichte bringt mehr Festigkeit und verbessert den Einbruch- und Brandschutz. In unseren Breitengraden ist Eiche jedoch rar, in der Schweiz stehen lediglich 1,7 Prozent Eichen in den Wäldern. Ganz anders in der Ukraine, wo drei von zehn Bäumen dieser Gattung angehören. In Iwaniw, 250 Kilometer südwestlich von Kiew und 40 Kilometer nördlich der Gebietshauptstadt Winnyzja gelegen, macht Eiche gar 70 Prozent des Waldbestands aus.

Es dauert 100 Jahre, bis eine Eiche ausgewachsen ist.

Divario finanziert die Aufzucht von 25 000 Eichen jährlich.

Forsttechnik lässt die Bäume gerade wachsen.

Die Belegschaft hilft bei der Aufzucht.

Pawlo Medwedtschuk bearbeitet das Holz in Iwaniw.

Seit den 1990er-Jahren hatte Martin Huber geschäftliche Beziehungen mit Moskau gepflegt, wo er eine Fensterfabrik mit einer Produktionsstrasse für Isolierglas betrieb siehe ‹Haute Couture statt Standard›, Seite 5. «Als der junge Mitarbeiter Sergij Medwedtschuk hörte, dass ich mich aus dem Geschäft in Russland zurückziehe, fragte er mich, ob wir nicht in der Ukraine – seiner Heimat – eine Produktion mit Eichen-Fensterkanteln aufbauen könnten. Und ich sagte: Ja, warum eigentlich nicht?», erinnert sich Huber. Das war vor bald 20 Jahren.

«25 Prozent, bitte»
Der Umzug von Moskau nach Iwaniw im Jahr 2005 erinnert an die Gründergeschichten von Microsoft, Google und Apple: Auch die heutige Huber-Tochter Divario nahm ihren Anfang in einer Garage, in der Sergij Medwedtschuk von Hand Kanteln leimte. Die Nachfrage stieg, und als in der Nähe des Bahnhofs von Iwaniw ein Areal frei wurde, griff Huber zu. In einem nächsten Schritt kauften die ukrainischen Arbeiter die Bretter nicht mehr ein, sondern sägten und hobelten sie selbst. Das verbesserte die Qualität und erhöhte die Wertschöpfung. Doch bereits im zweiten Jahr am neuen Standort trat ein, was Martin Huber befürchtet hatte: «Der Verwalter des Areals teilte uns mit, dass er gerne einen Anteil von 25 Prozent an der Firma hätte.»

«Unsere Partner sind bereit, auf Sonderwünsche und Kleinstmengen einzugehen.» Pascal Huber

Huber bezahlte kein Schmiergeld, sondern liess den korrupten Bürokraten ins Leere laufen. Zusammen mit Medwedtschuk suchte er eine neue Bleibe. Schnell wurden sie fündig: ein altes Eisenbahnerlokal, gut ein Hektar gross, mit zwei dunklen Hallen und einem in die Jahre gekommenen Bürogebäude. Nach zwölf Jahren kam unvermittelt die Kündigung. Geschäftsführer Medwedtschuk aber fand in Iwaniw ein freies Grundstück und beteiligte sich mit 20 Prozent an der neuen Gesellschaft. Huber und Medwedtschuk bauten ein Werk inklusive Sägerei, Trockenkammern und Fertigungskette für die Fensterkanteln. «In den vergangenen fünf Jahren hat die Korruption spürbar abgenommen», sagt Huber. Als Beispiel führt er die Vermarktung von Rundholz aus dem öffentlichen Wald an: Während man das früher diskret mit dem zuständigen Förster per Handschlag regelte, laufe heute alles transparent über eine Onlineauktion ab.

Eichen für die Fenster der fernen Zukunft
Heute stammen alle Kanteln aus Eiche, Kiefer, Esche und Lärche, die Huber Fenster verarbeitet, aus Iwaniw. Die Firma ist Abnehmerin der Hälfte der Produktion, die andere Hälfte verkauft Divario an Dritte. Das Holz stammt nicht von irgendwoher, sondern wird seit Jahren in den Wäldern rund um Iwaniw geschlagen. Der Weg jedes Stamms zum jeweiligen Holzschlag ist rückverfolgbar, seit drei Jahren bietet Huber auch FSC-zertifizierte Halbfabrikate an. «Wer in Westeuropa Holzprodukte absetzen will, kommt an Zertifikaten nicht mehr vorbei», ist Martin Huber überzeugt. In Iwaniw ist die Eiche die dominierende Baumart. Mit der richtigen Forsttechnik wachsen die Bäume hier besonders gerade und bilden erst weit oben in der Krone Äste – beste Voraussetzungen für hochwertige Kanteln. Damit der Rohstoff langfristig verfügbar bleibt, engagiert sich Divario auch für die Verjüngung der regionalen Wälder. Jedes Jahr finanziert das Unternehmen die Aufzucht von 25 000 Eichen und ergänzt damit die Arbeit des örtlichen Forstdiensts, der jeweils im Frühling und im Herbst nicht weniger als 200 000 Eicheln setzt.

Ein Fertighaus des Vereins ‹Ukraine Hilfe› steht im Garten neben einem zerstörten Haus.

Das Modulhaus wird bei Divario in Iwaniw zusammengebaut.

Aufbau im ukrainischen Iwankiw.

Bereits 35 Häuser konnten bezogen werden.

36 Quadratmeter für eine vier- bis fünfköpfige Familie.

100 bis 120 Jahre dauert es, bis eine Eiche ausgewachsen und reif für die Holzproduktion ist. Entsprechend sorgfältig geht Divario mit dem wertvollen Rohstoff um. Was nicht zu Kanteln verarbeitet werden kann, wird zur Wärmegewinnung – und damit zur Trocknung des Holzes – genutzt oder zu Briketts gepresst. Das reduziert die Abhängigkeit von fossiler Energie. Die Schwarten und Teile der Resthölzer schenkt das Unternehmen der örtlichen Schule. Inzwischen hat sich Divario zu einem regelrechten Kraftwerk gemausert: Dank 3000 Quadratmeter Solarpaneelen auf dem Fabrikdach und der Eigenversorgung mit Betriebswärme für die Holztrocknung produziert das Unternehmen im Jahresschnitt mehr Energie, als es verbraucht. Ähnliche Pläne gibt es für die Firmenzentrale in Herisau: Schnittabfälle und Photovoltaik sollen mittelfristig für CO2-Neutralität sorgen. Auch der Zulieferer in Slowenien nutzt die Holzabfälle zur Wärmeerzeugung, und auch sein Rohmaterial erfüllt ökologische Mindeststandards: Die Fabrik und damit ihre Halbfabrikate sind ebenfalls FSC-zertifiziert.

Sägen und hobeln um Mitternacht
Der in Iwaniw produzierte Strom wird ins Netz eingespeist und von dort bezogen – bei einem Blackout stehen die Maschinen still. In den vergangenen Monaten war das immer wieder der Fall, wenn aufgrund der Luftangriffe der russischen Armee die Stromversorgung nur stundenweise sichergestellt war. Die Belegschaft passte sich den Umständen notgedrungen an und arbeitete in ermüdenden Einsätzen von 8 bis 10 Uhr, von 14 bis 16 Uhr und von Mitternacht bis 4 Uhr früh. «Die Ukraine ist riesig, die Front liegt 600 Kilometer von Iwaniw entfernt», sagt Martin Huber. Dennoch sei der Krieg auch abgesehen von den Stromausfällen spürbar. In der Nähe von Iwaniw befand sich ein Munitionsdepot, das die Russen am ersten Kriegstag angriffen. Mehrere Armeeangehörige wurden getötet, auch aus dem Dorf. Das Militär ist überall präsent. Bisher wurde nur einer der 50 Mitarbeiter in den Kriegsdienst eingezogen. «Wir wissen nicht, wie es ihm geht. Wir haben seine Frau und die beiden Söhne besucht. Auch sie wissen nichts über sein Schicksal und hoffen, er sei bloss in Gefangenschaft und noch am Leben.» Der ältere Sohn arbeitet ebenfalls bei Divario, die Firma bezahlt den Lohn für den vermissten Vater weiter.

Mit seinem Unternehmen schafft Martin Huber in der Ukraine nicht nur Wertschöpfung, er hat auch ein humanitäres Projekt ins Leben gerufen siehe ‹Fertighäuser made in Iwaniw›, Seite 20: «Wir wollen Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, eine Unterkunft geben. Wenn wir dabei auch noch Arbeitsplätze schaffen und den lokalen Rohstoff Holz nutzen können, ist das umso besser.» Der Verein ‹Ukraine Hilfe› finanziert und errichtet Modulhäuser. Mit einer Grösse von 36 Quadratmetern sind sie bescheiden, doch die Schweizer Qualität soll es möglich machen, dass sie auch über das Kriegsende hinaus bewohnbar bleiben.

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