Haute Couture statt Standard

Ein Auftrag von Ernst Gisel machte aus Huber Fenster ein Unternehmen für massgeschneiderte Produkte. Nun hat die fünfte Generation übernommen und führt diese Tradition in die Zukunft.

In Zusammenarbeit mit Huber Fenster

Ein Auftrag von Ernst Gisel machte aus Huber Fenster ein Unternehmen für massgeschneiderte Produkte. Nun hat die fünfte Generation übernommen und führt diese Tradition in die Zukunft.

«Sie sagen nie etwas, sondern hören nur zu. Ich weiss jeweils gar nicht, ob Sie mich verstanden haben.» Das habe Ernst Gisel, selbst kein Mann der grossen Worte, einst gesagt, erinnert sich Martin Huber. Er plante mit Gisel ab 1982 den Neubau der Appenzell-Ausserrhodischen Kantonalbank in Herisau. Im Jahr davor hatte Huber den Betrieb in vierter Generation von seinem Vater Emil übernommen. «Damals waren wir eine ganz normale Glaserei mit sechs Angestellten und Vater und Mutter im Betrieb», erzählt Huber. Die Werkstatt lag mitten im Dorf, am heutigen Firmenstandort gab es erst ein Holzlager. «Mit unseren Nullachtfünfzehn-Produkten standen wir in Konkurrenz mit allen anderen Fensterbauern. Der Günstigste erhielt den Zuschlag», blickt Martin Huber zurück. 30 bis 40 Kilometer betrug der Radius, in dem das Unternehmen lieferte.

«Den Auftrag für Gisels Kantonalbank erhielten wir wohl nur, weil ihn sonst niemand wollte», meint Huber schmunzelnd. Denn die Arbeit war anspruchsvoll: Ganzmetallrahmen aus Baubronze mit Fensterflügeln in Sipo-Mahagoni. ‹Emil Huber Fenster Herisau›, wie die Firma zu dieser Zeit hiess, führte den Auftrag in einer Arbeitsgemeinschaft mit dem damaligen Metallbauunternehmen Caluori aus Chur aus. «Das Holz haben wir unten im Lager – dem heutigen Standort der Firma – zugeschnitten und mit dem Hanomag-Transporter ins Dorf hinauf in die Werkstatt gefahren. Dort haben wir es gehobelt, profiliert und zu Rahmen verarbeitet», erzählt Martin Huber. Die Kantonalbank war nicht das erste Objekt von Architekt Gisel, für das Huber die Fenster lieferte. Ende der 1960er-Jahre hatte Emil Huber bereits die Fenster für den Andachtsraum im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen hergestellt. Aber die erfolgreiche Umsetzung der Kantonalbank gab Martin Huber den Mut, mehr zu wagen. Bald klopften weitere Architekten an: Dolf Schnebli, Martin Spühler, Roger Diener. Annette Gigon und Martin Huber sind in der gleichen Nachbarschaft in Herisau aufgewachsen, und weil Hubers Bruder Architekt bei der ‹Helvetia›-Versicherung war, kam der Kontakt mit Herzog & de Meuron zustande. «Wobei ich Christine Binswanger schon lange kenne», sagt Huber auf gemeinsame WG-Bekanntschaften zurückblickend.

Schubkraft aus Moskau
Von Herisau aus baute Huber Fenster ein Netzwerk mit renommierten Architekturbüros auf, und mit dem 1987 erstellten Fabrikationsgebäude am heutigen Standort setzte die vierte Generation Huber auch ein bauliches Zeichen. Einen grossen Schub erfuhr die Firma aber an einem anderen Ort: in Moskau. 1993, mitten in den politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen nach der Auflösung der Sowjetunion, nahm der Direktor des Moskauer Kombinats für Spanplatten, Möbel und Fenster DOK3 Kontakt mit Martin Huber auf. Die Situation in Russland war damals nicht nur chaotisch, sondern es war auch eine Zeit der Hoffnungen und der unbegrenzten Möglichkeiten. Diese wollte der Kombinatsdirektor Jurij Janower nutzen. Er besuchte die Huber’sche Fensterfabrik und war von der Qualität überwältigt. Beim Gegenbesuch in Moskau war auch Martin Huber überwältigt – jedoch nicht von der Qualität, sondern von der Quantität.

Huber und Janower gründeten zusammen eine Firma. Der erste Auftrag war ein Hochhaus mit 3600 Elementen in Moskau. «Mehr, als wir in der Schweiz pro Jahr produzierten», erinnert sich Martin Huber, betont aber, dass er und seine Frau Jacqueline das Risiko sehr dosiert eingesetzt hätten, um den Betrieb in Herisau nicht zu gefährden. So konnten die beiden auch noch ruhig schlafen, als nach der ersten Akontozahlung kein Geld mehr floss, obwohl der Auftrag bereits ausgeführt war. Sieben Monate mussten sie auf das Geld warten und beschlossen, fortan vom öffentlichen Sektor keine Aufträge mehr anzunehmen. Mit privaten Bauherrschaften machte das Unternehmen gute Erfahrungen und konnte etwa Fenster für Bauten von Nestlé oder für das Hotel Marriott Twerskaja in Moskau liefern. Der nächste Schritt war der Kauf einer alten Isolierglasstrasse, um die Glasproduktion ebenfalls selbst in der Hand zu haben, gefolgt von einer Handelsfirma für Beschläge. Die Geschäfte liefen gut – zu gut, wie Martin Huber sagt: «Es hat uns zwischen Russland und der Schweiz zerrissen.» 2004 verkaufte Huber seine Anteile in Russland.

Fokus auf die Schweiz
«In Russland haben wir gemerkt, wie gut wir es in der Schweiz haben», sagt Martin Huber. «Das gab uns den Mut, hier Gas zu geben.» Die enge Zusammenarbeit mit den Architektinnen und Architekten, die mit Ernst Gisel begonnen hatte, wurde immer wichtiger. Die Firma verabschiedete sich weitgehend von der Produktion von Standardfenstern, bei der einzig der günstige Preis zählt, und konzentrierte sich auf die ‹Haute Couture›. Das hatte zur Folge, dass heute rund ein Drittel der Mitarbeitenden im Büro tätig ist. Was für einen produzierenden Betrieb eigentlich ein zu grosser Wasserkopf wäre, ist für Huber Fenster lebenswichtig: Die Entwicklung von massgeschneiderten Lösungen erfordert viel Kopfarbeit. Und die hat ihren Preis. Der Radius, in dem das Unternehmen tätig ist, erstreckt sich längst über die ganze Schweiz – allerdings nicht flächendeckend, sondern punktuell an Orten, wo der Preis nicht die zentrale Rolle spielt. Dazu zählen neben dem Grossraum Zürich das Engadin, partiell Luzern, die Stadt Basel sowie Genf und das Tessin.

«Das Fenster wird immer mehr zum Möbel.» Pascal Huber

Besteht bei eigens entwickelten Lösungen nicht die Gefahr, dass die Fachleute von Huber etwas konstruieren, das dann ein anderer Fensterbauer herstellt? Tatsächlich nehmen die Architekten oft früh Kontakt auf und bitten um eine Kostenschätzung. Huber Fenster hütet sich, zu früh in die Entwicklung einzusteigen. «Wir machen höchstens eine Skizzenberatung, um abzuklären, ob eine Lösung grundsätzlich funktioniert», so Martin Huber. Sie hätten auch schon überlegt, bloss die Beratung zu verkaufen, doch davon habe die Firma nichts. «Man muss so lange in Kontakt bleiben, bis der Auftrag kommt.»

Fensterkanteln aus der Ukraine
Mit dem Verkauf des Russland-Geschäfts war das Engagement in Osteuropa nicht beendet. Noch in Moskau kam der aus der Ukraine stammende Mitarbeiter Sergij Medwedtschuk auf Martin Huber zu und schlug vor, in seiner Heimat im Gebiet Winnyzja etwas zusammen zu machen. Doch was? Die Wälder gaben die Antwort: In der Gegend um Winnyzja bestehen sie zu mehr als 70 Prozent aus Eiche. In der Schweiz sind es gerade mal 1,7 Prozent, während Huber Fenster für die Produktion mittlerweile rund 50 Prozent Eichenholz braucht. Mit der eigenen Firma in der Ukraine kann das Herisauer Unternehmen die für die Fensterfabrikation benötigten Kanteln aus nachhaltiger Produktion beziehen – und das seit nunmehr 18 Jahren (siehe ‹Ukrainisches Holz für Schweizer Qualität›). So ist es für Martin Huber selbstverständlich, dass er sich nach dem russischen Angriff vor Ort humanitär engagiert (siehe ‹Fertighäuser made in Iwaniw›). Gut 40 Jahre führten Martin und Jacqueline Huber ihre Firma. Dann übernahm die fünfte Generation das Steuer, und zwar gleich dreifach: 2018 wurde Pascal Huber CEO und Matthias Huber COO, 2021 folgte Sebastian Huber als CFO. Martin Huber hat das Unternehmen an seine Söhne verkauft. Er sitzt noch in der Geschäftsleitung, aber nicht mehr im Verwaltungsrat, und er leitet noch die Tochterfirma Divario in der Ukraine.

Jacqueline Huber war es, die den Generationenwechsel 2016 initiierte. Im gleichen Jahr mussten die Huber-Brüder eine erste Bewährungsprobe bestehen, als ihr Vater nach einem Velounfall zwei Monate ausfiel. Bei Pascal Huber (geboren 1986) war schon länger klar, dass er einmal in den Familienbetrieb einsteigen würde. Während der Ausbildung am Technikum machte er ein Praktikum bei einem Fenstermaschinenhersteller in Italien. 2013 stieg er voll in den elterlichen Betrieb ein. Matthias Huber (geboren 1987) absolvierte eine Lehre als Hochbauzeichner. Danach arbeitete er in verschiedenen Abteilungen der Firma, um Geld für seine Reisen zu verdienen. So lernte er mit der Zeit alle Bereiche des Unternehmens kennen. Als er 2014 die Abteilung Hebeschiebetüren leitete, erlitt der Produktionsleiter ein Burn-out. Matthias sprang ein – und blieb hängen. Sebastian Huber (geboren 1992) machte zunächst eine kaufmännische Ausbildung, besuchte in St. Gallen die Kunstgewerbeschule, studierte an der ZHdK in Zürich Design und bildete sich sprachlich weiter. Matthias und Pascal haben sich an der Universität St. Gallen weitergebildet, Sebastian macht zurzeit den Fachausweis in Finanz- und Rechnungswesen. Für alle drei galt eine Timeline bis zum Entscheid, ob sie in die Firma einsteigen möchten oder nicht. Als Jüngster hatte Sebastian etwas mehr Zeit; er entschied sich erst Mitte 2021 definitiv für das Unternehmen.

Die fünfte Generation übernimmt
«Als Eigentümer ist es schon noch mal ein anderes Arbeiten», sagt Pascal Huber. Er blickt grundsätzlich positiv in die Zukunft. Der Bereich Sanierung und Umbau werde deutlich wichtiger werden. Dort seien die Stückzahlen oft hoch, der Arbeitsaufwand jedoch ebenfalls. Doch in dem Umfeld, in dem die Firma heute aktiv sei, sei vermutlich immer Geld vorhanden. Eine Herausforderung sei zurzeit der Fachkräftemangel. «Du musst für alles bereit sein», meint er mit Blick auf die Arbeitsbedingungen und erwähnt die Diskussionen um die Vier-Tage-Woche. «Aber es ist sicher spannender, bei uns Fenster zu bauen als anderswo.» Immer wichtiger würden Zubehör, Gadgets und Kleinigkeiten, die technisch zwar nur einen geringen Mehrwert brächten, aber ästhetisch von Bedeutung seien. Neu erfinden müsse man dabei kaum etwas, aber man könne das Bestehende verbessern. «Das Fenster wird immer mehr zum Möbel.» Die Philosophie bleibt dabei die gleiche wie vor mehr als 40 Jahren in der Zusammenarbeit mit Ernst Gisel: zuhören, verstehen, umsetzen.

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