Innerschweizer Kulturpreis für Daniela Schönbächler: die Laudatio

Am 2. September wurde die Zuger Künstlerin und Architektin Daniela Schönbächler mit dem Innerschweizer Kulturpreis ausgezeichnet. Marcel Bächtiger hielt die Laudatio.

Am 2. September wurde die Zuger Künstlerin und Architektin Daniela Schönbächler mit dem Innerschweizer Kulturpreis ausgezeichnet. Marcel Bächtiger hielt die Laudatio.

«Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erinnerung beginnen. Ich lernte Daniela Schönbächler vor etwa elf Jahren kennen. Das geschah nicht ganz zufällig. Im Winterthurer Gewerbemuseum fand eine Ausstellung mit dem Titel «Glasklar. Schillernde Vielfalt eines Materials» statt. Wer das Oeuvre von Daniela Schönbächler kennt, wird nicht überrascht sein, dass unter den gezeigten Beispielen historischer und aktueller Glasarbeiten auch eines ihrer Werke zu sehen war. Weniger naheliegend war, dass ich als damals unbekannter junger Forscher im Rahmen dieser Ausstellung einen Vortrag halten konnte, der den ambitionierten Titel «Das gläserne Auge - Atmosphären der Transparenz im filmischen Raum» trug. Tatsächlich war ich nur zum Einsatz eingekommen, weil ein renommierterer Referent als ich kurzfristig abgesprungen war. Das hielt Daniela Schönbächler aber nicht davon ab, trotzdem zum Vortrag zu kommen. Wer sie persönlich kennt, wird auch davon nicht überrascht sein, denn eine ihrer schönsten Tugenden ist die wache Neugier, mit der sie durchs Leben geht. Noch am selben Abend – auch das wohl nicht untypisch – hatten wir bereits unsere Zusammenarbeit für eine Videoarbeit besiegelt, und wenn ich mich richtig erinnere, machten wir uns wenige Tage später bereits ans Werk.

Im Rückblick fällt mir auf, dass die damalige Zusammenarbeit mit Daniela, obwohl wir uns nicht häufig gesehen haben, mich an die unterschiedlichsten Orte geführt hat: nach Venedig, wo es von ihrer Wohnung am Nordrand der Halbinsel auf ein kleines Fischerboot und mit diesem nach Murano in ihre Werkstatt ging; ins Luzerner Hinterland nach Wauwil, wo sie zusammen mit Claudio Holdener eine alte Werkhalle in ein luftiges Kunst- und Architektur-Atelier verwandelt hat; nach London, wo Daniela Schönbächler wenige Schritte hinter den farbig blinkenden Screens des Picadilly Circus ein elegantes Kunst-am-Bau-Projekt realisiert hatte; oder dann nach Edlibach, in ein geschmackvollst umgebautes altes Bauernhaus, wo Daniela Schönbächler und besagter Claudio Holdener, seines Zeichens Architekt und Designer, unter anderem zuhause sind – zumindest momentan. Es ist ja nicht auszuschliessen, dass die beiden wieder weiterziehen. Als «Nomaden» wurden sie letzthin in einer Zeitschrift bezeichnet, und das trifft es wohl ganz gut.

Unerreichbare Orte: Die Installation «pièce d'eau» vor dem Zuger Regierungsgebäude (Foto: Lorenz Ehrismann)

Auf Reisen sein: Das ist bei Daniela Schönbächler der modus vivendi, der ihrem künstlerischen Schaffen zugrunde liegt, der es inspiriert und befördert, ja vielleicht überhaupt erst möglich macht. Ihre Biografie ist erstaunlich, geprägt von der Unerschrockenheit, die man häufig bei Menschen antrifft, die es zur Reise und zum Abenteuer ruft. Das Aufbrechen und Weiterziehen ist eine Konstante, genauso wie das Anklopfen an fremden Türen – mitunter ganz buchstäblich.

«Ich haue ab», das weiss Daniela Schönbächler, kaum dass sie ihre Ausbildung beendet hat. Im Alter von zwanzig Jahren treffen wir sie folglich in Paris an, Architektur studierend und fotografierend. Etwas später in Lugano, im Atelier von Mario Botta, der erst von ihrer schönen Handschrift beeindruckt ist und sie dann mit der Ausführung seiner Kapelle in Mogno betraut. Daniela Schönbächler wohnt zu dieser Zeit in einer leerstehenden Villa über dem Lago die Lugano, sie beginnt sich für Skulptur und für das Material Glas zu interessieren, sie reist also nach Venedig und sucht nach dem Atelier des Künstlers und Designers Luciano Vistosi. Dieser lässt die junge Frau, die unangemeldet vor seiner Tür steht, mit leichtem Vorbehalt ein und macht sie später zu seiner Mitarbeiterin und Atelierleiterin. Ab Mitte der Neunziger Jahre dann trifft man Daniela Schönbächler immer häufiger in London an, sich nun vornehmlich der Malerei widmend.

Die Orte, sagt sie, stehen immer in Beziehung zu bestimmten Arbeiten und Interessen: Paris steht für Fotografie, Venedig für die Skulptur, London für die Malerei. In ihrem Atelier im Luzernischen Wauwil hat sich Daniela Schönbächlers künstlerischer Fokus nochmals neu justiert. Seit 2010 entstehen dort Kunst-am-Bau-Projekte und ortsspezifische Installationen. Ausserdem arbeitet sie gemeinsam mit Claudio Holdener am Entwurf eines Künstlerhauses. Es scheint, als würde ihre Reise durch die verschiedenen Disziplinen gerade zu ihren Anfängen als Architektin zurückführen.

Daniela Schönbächler in ihrem Atelier in Wauwil (Foto: Lorenz Ehrismann)

Auf Reisen sein: Das ist bei Daniela Schönbächler mehr als nur ein Lebensentwurf. Im Bild der Reise spiegelt sich auch Schönbächlers Zugang zur Kunst. Eine Kunst, die zwischen Disziplinen und Genres hin- und herwandert, die ihre eigenwilligen Wege zieht, die immer wieder Neuland betritt. Eine Kunst, die sich für das Ungesehene und das Unerwartete interessiert, die immer darauf angelegt ist, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Eine Kunst, die ebenso neu- und wissbegierig ist wie Daniela Schönbächler selbst.

Auf Reisen gehen, zu einer Reise eingeladen werden: Vielleicht wäre das auch eine schöne Beschreibung für die Erfahrungen, die Daniela Schönbächlers Kunst uns bietet.

Vor dem Zuger Regierungsgebäude findet sich eines ihrer neueren Werke. Es nennt sich «pièce d’eau», so wie die Wasseranlagen, die Teiche oder Brunnen im französischen Garten. Doch die grosse schimmernde Fläche, die im Garten vor dem Regierungsgebäude liegt, ist kein Brunnen, sondern entpuppt sich beim Näherkommen als kreisrunder Spiegel, ganze vier Meter im Durchmesser, aber nur 16 Millimeter dünn. Eine idealisierte Wasserfläche also, spiegelblank, den Himmel reflektierend und die Bäume weiterzeichnend – und gleichzeitig ein in die Unendlichkeit weisendes Loch im Boden.

Und schon sind wir als Betrachtende auch Reisende, werden sehenden Auges an unerreichbare Orte transportiert. Wir betrachten das grosse Bild der Welt, das vor uns ausgebreitet liegt, wir merken, wie es sich mit jeder Bewegung verändert, wie es uns immer wieder andere Dinge zeigt – vielleicht, wenn wir nahe genug sind, auch uns selbst.

Die schiere Grösse, die radikale Einfachheit des Spiegels, die nur durch die enigmatische Teilung der Kreisfläche in vier Segmente gestört wird, lässt eine uralte Faszination neu aufleben: Nannte man Spiegel in früheren Jahrhunderten nicht «Hexen»? Weil sie alles ins Gegenteil verkehrten, auf den Kopf stellten? Weil sie Bekanntes plötzlich fremd erscheinen liessen, das Heimelige unheimlich machten? Der Spiegel ist ein Nichts, der alles zeigt. Und keines seiner Bilder lässt sich festhalten, alles entschwindet, alles ist flüchtig. Nichts ist fixiert, alles in Bewegung. Schnell kann man sich im Halb-Imaginären der Spiegelwelt verlieren.

Die Menschen, sagt Daniela Schönbächler, sind Teil des Kunstwerks. Ich gebe meine Kunstwerke ab, schicke sie selbst auf Reisen.

Passage durch Raum und Zeit: Die Installation "Wilder Walk" am Picadilly Circus in London (Foto: Paul Riddle, London)

Wenn der blanke Spiegel das eine Ende des Spektrums von Daniela Schönbächlers Kunst der metaphysischen Reise markiert, dann sind am anderen Ende ihre ausgetüftelten Licht-Maschinen zu platzieren. Ihr Kunst-am-Bau Projekt in London mit dem sprechenden Namen «Wilder Walk» macht aus einer Fussgängerverbindung zwischen zwei belebten Strassen am Picadilly Circus eine ebenso elegante wie geheimnisvolle Passage durch Raum und Zeit. Eine gläserne, in grünlichen Schattierungen leuchtende Wand begleitet die Passanten vom einen Ende zum anderen. Die Wand hat Tiefe, aber diese Tiefe ist unergründlich. Ungreifbar auch die Bilder, die an der Decke entstehen, wo schräg gestellte Spiegelflächen die Lichtwand, den Boden, die Passanten und sich selbst reflektieren, vervielfältigen, fragmentieren, an unerwartete Orte transferieren.

Wer der feinen Irritation mehr Aufmerksamkeit schenkt, wer seinen eigenen Schritt für einen Moment anhält, der stellt staunend fest, dass die leuchtende Wand selbst in ständiger Veränderung begriffen ist. Die Lichtintensitäten wechseln, beschreiben Bewegungen von Lichtflüssen über die ganze Länge der Passage. Entworfen für einen Ort des Durchschreitens, veranlasst Daniela Schönbächlers Arbeit die Menschen, für einen Augenblick oder mehr innezuhalten. Und wer innehält, dem offenbart sich eine Kunst, die selbst in Bewegung ist, die die grossstädtische Hektik in ein kontemplatives Fluidum auflöst. Die Kunst-Erfahrung ist bei Daniela Schönbächler eine Raum-Erfahrung, und die Raum-Erfahrung eine Zeit-Erfahrung.

Im besten Fall, sagt sie, wird das eigene Ich auf Reisen geschickt.

Vielleicht geht es in Daniela Schönbächlers Kunst ohnehin nicht so sehr um das Objekt selbst, sondern vielmehr um den umgebenden Raum, der in enger Wechselwirkung mit dem Objekt steht. Manchmal greift dieser Raum bis zur Sonne aus. Daniela Schönbächlers Kunst setzt ihn in Szene, bringt ihn zur Wirkung, macht ihn sichtbar.

Stetige Veränderung, wandernde Lichtstrahlen: Die Installation «The Lantern» in Oxford (Foto: Lorenz Ehrismann)

Es sind wiederkehrende Motive: Wandernde Lichtstrahlen. Schattierungen von Hell und Dunkel, die entstehen und vergehen. Erstaunliche Farbwelten, die von der Brechung des Sonnenlichts im Glas hervorgerufen werden. Wir finden diese Motive in Oxford, wo an städtebaulich prominenter Stelle ein acht Meter hoher Zylinder aus 78 unterschiedlichen Glasscheiben in den Himmel ragt und ebenso viele unterschiedliche Lichteffekte zeitigt. Wir finden diese Motive aber auch in der Eingangshalle einer Bankfiliale in Cham, wo zwei präzis platzierte Gläser neben einem Fenster ein abstraktes Farbgemälde auf die Wand zeichnen. Am Morgen sieht es anders aus als am Nachmittag, im Sommer anders als im Winter. So erinnert Daniela Schönbächlers Kunst – in den unterschiedlichsten Massstäben und mit den unterschiedlichsten Materialen ­­­– ein ums andere Mal an das Wunder der stetigen Veränderung der Welt.

Gehöre ich noch hierher oder gehe ich bald woanders hin? Das fragt sich auch Daniela Schönbächler immer mal wieder. Als sicher kann gelten, dass unsere ruhmreiche Reisende weiterhin unbekanntes Terrain erkunden wird. Wie und wo, weiss ich nicht und kann ich nicht sagen. Aber wir alle warten gespannt auf Neuigkeiten von irgendwo.

Ich gratuliere Dir, liebe Daniela, zum wohlverdienten Innerschweizer Kulturpreis und wünsche Dir weiterhin ein inspiriertes, neugieriges, weltzugewandtes Schaffen.»

Laudatio anlässlich der Verleihung des Innerschweizer Kulturpreises an Daniela Schönbächler
Marcel Bächtiger, September 2023

Geehrte Künstlerin: Daniela Schönbächler an der Preisverleihung vom 2. September im Kalandersaal der Papieri Cham (Foto: Michel Gilgen)

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