Das Buch ist ein Gang durch die Kulissen der Kunstgeschichte, schreibt der Stadtwanderer.

Der falsche Berg

Die echten Berge kennen wir Schweizer. Doch die falschen? Die haben wir bis heute ignoriert, obwohl wir dabei etwas lernen könnten. Immerhin einen falschen haben wir beigesteuert, den in Genf von 1896.

Die heiligen Berge, Sinai, Olymp und Fuji voran, sind in der Kunstgeschichte genügend berücksichtigt worden. Was aber ist mit den künstlichen Bergen? Die wurden eher als Curiosa abgetan, sie gehörten zur Abteilung Touristenattraktion. Doch da lag bei Hochparterre Bücher ein schmaler Band «Faux Mountains» auf dem ovalen Tisch, der mich irritierte. Hochparterre Bücher, das nur so nebenbei, ist die Buchhandlung, wo man findet, was man nicht gesucht hat. Henusode, falsche Berge. Michael Jakob stopft mir eine Lücke im kunstgeschichtlichen Wissen, denn er erzählt vom Aufhäufen, Konstruieren und Dekorieren, aber und vor allem davon, was jeweils dahintersteckte. Welche Bedeutungen, welche Botschaften, welche Mythen sehe ich den künstlichen Bergen an, nachdem ich Jakob gelesen habe? Er bleibt chronologisch, beginnt also mit dem künstlichen Parnass der Renaissance. Ein literarischer Berg aus der Antike wird im 15. Jahrhundert zum wirklichen Hügel. Es folgt das barocke Hauptbeispiel Berninis Brunnen auf der Piazza Navona in Rom. Er verkörpert die Erde mit ihren damals vier Kontinenten, aber auch den Herrschaftsanspruch der katholischen Kirche und ihres Papstes Innozenz X Pamphili. Auf der Spitze des Obelisks sitzt eine Friedenstaube, der Papst stellt sich als Friedensfürst dar, wonach er sich nach dem 30-jährigen Krieg Europa sehnte. Die riesigen barocken Festdekorationen mit ihren künstlichen Bergen lasse ich mal weg. Jakob geht ins Gegenteil, ins ganz Kleine zu japanischen «Bonsai-Bergen», zu Kleinskulpturen, die die Welt bedeuten. Dann schwingt er sich auf zum grossen Atem, zum Berg für das höchste Wesen. Am 8. Juni 1794 feierten die Jakobiner unter Robespierre die Revolution. Dafür errichteten sie einen künstlichen Berg, auf dessen Gipfel der Freiheitsbaum stand. Er war das Zentrum und das Bühnenbild des wohlchoreografierten Volksfestes, bei dem sich die RevolutionÃ...
Der falsche Berg

Die echten Berge kennen wir Schweizer. Doch die falschen? Die haben wir bis heute ignoriert, obwohl wir dabei etwas lernen könnten. Immerhin einen falschen haben wir beigesteuert, den in Genf von 1896.

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