Durands Aufmerksamkeit gilt der Antike, genauer den Römern. Sie sind das Mass der architektonischen Dinge, schreibt der Stadtwanderer.

La leçon de Rome

Ein Nachdruck einer architektischen Gebrauchsanweisung von 1842 wartete über dreissig Jahre geduldig aufs Gelesenwerden. Jetzt aber weiss ich: Architektur ist, wenn man römisch baut.

In meinem Büchergestell gibt es zwei Fächer für die Überformate. Die sind sperrig und werden, da unhandlich, kaum hervorgezogen. Trotzdem, der Durand schaffte es doch noch auf den Tisch. Durand? Da läuten die Glocken der Erinnerung. Da war doch was. Genau, diese Gebrauchsanleitung «Précis des leçons d'architecture données à l'École polytechnique», die im Studium auftauchte und als Vorläufer des Funktionalismaus galt. Mir kam es damals eher wie ein Systembaukasten vor, so ein Marburgersystem von Helmut Spieker avant la lettre.


Nicht «Précis des leçons» stand im Fach, sondern «Receuil et parallele des édifices en tout genre», eine illustrierte Architekturgeschichte von den Uranfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Geschrieben von einer ARGE, denn Jean Nicolas Durand (1760-1834) lieferte die Kupferstiche und sein Kollege Jacques Guillaume Legrand (1753-1807) den Text dazu. Legrand hatte vernommen, dass Durand sein Receuil bearbeitet und schlug nun dem Citoyen Legrand vor, seine Stiche und den Text, den er, Legrand unterwegs hatte, zu verheiraten und gemeinsam ein Buch daraus zu machen. Es erschien 1809 und wurde später erweitert, auch noch nach dem Tod der beiden Autoren. Mein Nachdruck von 1986 basiert auf der Ausgabe von 1842.


Durand verwendet, soweit es praktikabel ist, durchgehend denselben Massstab für seine Grundrisse und Fassaden, es gibt also Objekte von einem Quadrat bis zur seitenfüllenden Darstellungen von 34 x 23 Zentimetern. Die Darstellung folgt dem Gänsemarsch der Stile, doch behandelt Durand, dessen Kupferstiche der rote Faden des Buches sind, die einzelnen Baugattungen separat, also zuerst die Tempel, sprich Kirchen, dann die Basiliken, Thermen, römische Grabmäler, Triumphbogen und so fort. Seine Aufmerksamkeit gilt der Antike, genauer den Römern. Sie sind das Mass der architektonischen Dinge. Dass die römische Architektur aus Griechenland stammte, war ihm wohlbewusst, doch schimmert in allem die Bewunderung für das römische Weltreich durch, das Napoleon damals ja neu errichten wollte, la grandeur!


Legrands Text dazu tönt so: «Toutes les combinaisons y sont, pour ainsi dire, épuisées, tous les modèles que nous offre la nature en différents genres y sont mis à contribution, et le ciseau des artistes grecs est parvenu, dans ces grandes ouvrages, et pour la gloire des Romains, au dernier terme de la délicatesse et de la grâce.» Die Stichworte heissen: Noblesse, simplicité, majesté, eine Generation früher von Winckelmann zusammengefasst mit edler Einfalt und stiller Grösse. Das Gegenteil davon ist der Barock und das Rokoko. Dieser überwundene Stil ist das Werk der Väter und Grossväter und kann nur mit Verachtung behandelt werden. Da wird statt die Einfachheit zu suchen, in Formen geschwelgt und in Dekoration gebadet, das tintenklecksende Säkulum. Das neue Programm heisst Klassizismus, le retour aux anciens.


Durand und Legrand schufen ein Vorlagenwerk. Die Künstler und Architekten können darin die richtigen Beispiele finden und Legrands Anleitungen bewahren die Abzeichner vor Fehlern, namentlich davor, von der Generallinie der Einfachheit abzuweichen. Nicht nur im Konzept, nein auch im Detail, darum gibt es seitenweise détails grecs et romains. Wie man eine Vase oder einen Kerzenständer korrekt entwirft, entnimmt der Designer diesen Schautafeln und er kann nicht mehr irren.


Mich hat eines besonders überrascht. In der erweiterten Ausgabe von 1842 gibt es ein Kapitel über die Kunst in Deutschland, wo es eine neue Architekturschule gibt, die gesund ist und zur Reinheit, zur Grösse und zum Adel der Griechen zurückkehrt. Das geschieht in Berlin, wo Schinkels Theater gelobt wird und in München, wo von Klenzes Glyptothek Anerkennung findet. Seltsam, während die deutsche Architektur als Vorbild hingestellt wird, ist die französische im Verfall, la grande nation schielt nach Osten. Das allerdings ist kaum die Meinung der ursprünglichen Autoren, sondern die zeitgeistige Ergänzung der späteren Herausgeber. Man muss sich an den hohen Ton des Textes erst gewöhnen, doch die Tugend und die Schönheit erfordern eine gehobene Sprache, die den Drang zum Ewiggültigen, zum Monumentalen auszudrücken vermag. Denn Architektur ist, wenn man römisch baut.


PS: Auf dem Vorsatz notierte ich: «Dieses Buch habe ich mir zur Eröffnung des Architektur Forums Zürich selber geschenkt, am 21. Februar 1987».

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Kommentare

Andreas Konrad 21.10.2023 12:09
Ein Meisterwerk ! Doch die « neuen Deutschen » wie Klenze oder Schinkel standen , anders als Frankreich, dass sich gerade von seinem geköpften Einheitsstaat verabschiedete, in Konkurrenz, Das Reich war ein wirres Gehäuf und Durcheinander - ideal für lokale Experimente. Aber der französische Baustil war nie so überbordend und irritierend wie etwa der süddeutsche Vulgärbarock oder die volkstümliche Renaissance im Norden. Er war stets feiner, eleganter, klarer gezeichnet und war vom Barock über Empire bis Haussmann und darüber eher eine fein tarierte Evolution, während in Deutschland die neuen Baustile immer auch klare Brüche erkennen liessen, schwarz oder weiss, gut oder böse. Die Franzosen, überhaupt der lateinische Sprachraum, sind bis heute der klaren, feinen Eleganz verpflichtet und waren nie empfänglich für Ideologien. Es herrscht ein Grundton im Stadtbild, ein Respekt vor dem Bestehenden und ein Hang fürs Grosse, aber immer mit klugem , angenehmen Strich gezeichnet. Die Deutschen haben sich, das gehört auch zur Wahrheit, dann leider auch schnell von Schinkel und seinen Epigonen verabschiedet - der nächste Bruch zeichnete sich ab. Fazit : Von den griechisch geprägten Römer lernen heisst bauen lernen. Das schaut man sich am Besten in Frankreich, Spanien, Italien und den von ihnen bis heute stark geprägten USA ab.
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