Ich fand «Belphegor» zwar bösartig, aber langweilig, obschon ununterbrochen ausserordentliche Dinge passieren, zu ausserordentliche, schreibt der Stadtwanderer.

Ein reiner Tor wird kuriert

Benedikt Loderer hat ein böses, aber langweiliges Buch gelesen. «Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne» ist für den Stadtwanderer keine Pflichtlektüre.

Arno Schmidt, einer meiner literarischen Hausgötter, empfahl dieses Buch als eines der «bösesten Werke» der deutschen Literatur. Neben Swifts «Gullivers Reisen» und Voltaires «Candide» sei «Belphegor» «das dritte dieser alten Bücher des ehrwürdigen Gott-, Welt- und Menschenhasses». Gibt es eine bessere Empfehlung?


Der Autor heisst Johann Carl Wezel (1747-1819), noch nie hatte ich von ihm gehört. Er war der Sohn eines Hofbedienten, hungerte sich durch sein Studium, hatte einige literarische Erfolge, konnte sich aber seiner sozialen Prägung als Armeleutekind nie entwinden. Er war ein unverbesserlicher Parteigänger der Aufklärung, der mit allen Leuten Krach kriegte, verfiel dem Wahnsinn und starb verarmt. Un film noir.


«Belphegor» heisst der Held der traurigen Gestalt. Er ist ein Idealist, der an das Gute im Menschen glaubt und die Welt als sein persönliches Verbesserungsprojekt begreift. Einer, der immer nur das Gute will und sich ins Unglück bringt. Ihm wird auf seiner langen Reise rund um die Erde mit Prügel, Wunden und Sklaverei schrittweise eingebleut, wie schlecht der Mensch in Wirklichkeit ist und wie ungerecht die Welt. Am Schluss wird er Gärtner. Er versucht sich jenem Zustand «nahe zu bringen, der die oberste Glückseligkeit ist, die friedliche Lebensart der ersten Väter, des arkadischen Dichterlandes und des Landmanns in den Zonen der Freiheit». Dieses Zitat ist auch eine Probe der Sprache, die Wezel schreibt, das Lesen ist ein Abtauchen ins 18. Jahrhundert. Erschienen ist das Buch 1776. Belphegor also beschreitet den Weg von der idealistischen Empörung zur resignatio, sine qua non.


Der zweite Mann in der Geschichte heisst Fromal, der Zyniker. Ihm macht niemand etwas vor. Er rechnet mit dem Schlimmsten, denn er weiss, jeder Mensch buckelt nach oben und tritt nach unten. Im Krieg aller gegen alle muss man oben aufschwimmen, sonst geht’s einem schlecht. Wie das geht, zeigen Fromals Erlebnisse. Mal ist er ein König, mal ein Sklave, immer aber ist er bei kritischem Verstand, sein Fach ist der Durchblick.


Der Dritte, Medardus ist ein schlichtes Gemüt von denkfauler Wurstigkeit. Er nimmt’s wie’ kommt, ob Liebes oder Leides, er ist vergnügt, dass beides irgendwie gut ist. Seine Weisheit in guten wie schlechten Tagen ist: «Wer weiss, wozu mir's gut ist». Mit diesem Spruch auf den Lippen stirbt er. Auch Medardus erlebt böse Abenteuer, das ist ja der Beruf der Drei.


Fehlt noch Akante, die Edelhure, die als Auftakt der Geschichte ihren Liebhaber Belphegor, weil er kein Geld mehr hat, mit Fusstritten aus dem Haus wirft, was die Geschichte in Gang setzt. Auch sie ist im Auf und Ab unterwegs und ihre Laufbahn ist mit den Drei mehrfach verknüpft.  


Die Geschichte ist hanebüchen. Wezel muss «Candide», erschienen 1759, gelesen haben. Die Reisen nach Voltaires Muster durch die Türkei, Persien, Europa und beide Amerika sind reine Schreibstubenfantasien. Sie sind das Deutschland von 1770 mit minus eins multipliziert, sie sollen der Spiegel sein, worin sich der Affe erkennt. Doch ist die Lektüre mühsam, Wezel kann die Tinte nicht halten, halb so dick, wäre sein Roman doppelt so gut. «Candide» ist hingegen schlank und unterhaltend.


Lieder hat sich Arno Schmidt in mir getäuscht. Ich biss nicht an. Ich fand «Belphegor» zwar bösartig, aber langweilig, obschon ununterbrochen ausserordentliche Dinge passieren, zu ausserordentliche. Die daraus destillierten «filosofischen» Grübeleien liessen mich kalt. Liebe Leserin, geneigter Leser, erspart euch das Buch und habt kein schlechtes Gewissen. Stellvertretend für euch habe ich es durchgekaut.

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