Das Buch ist eine Zürcher Architekturgeschichte, die da vor mir ausgebreitet wird, beziehungsreich und umfassend, schreibt der Stadtwanderer.

Ein halbes Jahrhundert Zusammenhang

Ich las nicht die Geschichte von Vater und Sohn, die von den beiden Architekten Franz Bruno und Max Rudolf Frisch, sondern die ihres Umfelds. Das Buch ist ein Baustein zum Turm der Architekturgeschichte.

Wird Architektur vererbt? «Mit dem Werk und der Arbeitswelt seines Vaters gross geworden, müssen diese ihm unweigerlich eine gewisse innere Prägung mitgegeben haben.» Gemeint ist der Zugang zu Architektur und Städtebau. Wirklich? Die Beweisführung ist schwierig und hat mich nicht überzeugt. Gewiss, der Vater (1871-1932) war Architekt und der Sohn (1911-1991) wurde es auch. Doch was die «gewisse Prägung» angeht, ist sie mir bei der Lektüre kaum begegnet. Mir scheint eher, die beiden lebten in zwei verschiedenen architektonischen Welten. Das war stärker. Es wird auch so geschildert. Beide kriegen ihre abgeschlossenen Kapitel, sauber chronologisch aufgereiht. Die Schnittmenge ist gering. Der Vater, ein tüchtiger Baumeisterarchitekt, kriegt seine Würdigung und damit die erste akademische Auseinandersetzung mit seinem Werk. Ich habe nichts Aufregendes darin entdeckt. Seriöse Arbeit, zeitgenössisch, mittelständig und mittelmässig. Ohne seinen Sohn, wäre er nie beachtet worden. Damit ist der Vater abgehakt und kommt nur noch als Vergleich und Bezugsperson vor. War er denn mehr? Andersherum, ist da nicht zu viel psychologischer Spürsinn am Werk?

Der Sohn hingegen ist als Architekt von der Autorin, Petra Hagen Hodgson, bereits 1986 behandelt worden. Sie nimmt nun fast 40 Jahre später noch einmal das Thema auf und stellt es mit neuen Quellen «in einen breiteren zeit- und ideengeschichtlichen Kontext». Und der hat es mir angetan, das war für mich der wirkliche Inhalt dieses Buches. Es ist eine Zürcher Architekturgeschichte, die da vor mir ausgebreitet wird, beziehungsreich und umfassend. Das Buch hat 480 Seiten und die Leseliste ist beeindruckend. Die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zieht beim Lesen an mir vorüber. Meine Wissenslücken wurden gestopft, meine Ahnungen bestätigt, meine Irrtümer korrigiert. Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit hat Hagen Hodgson im Umfeld des Vaters und des Sohns gesucht, gegraben, gefunden und herauspräpariert welche Ideen, ja Architekturmoden sie beeinflussten und welche Lehrer und Kollegen sie prägten. Beim Vater rinnt ein dünner Bach, beim Sohn rauscht ein Strom vorüber. Damit ist auch die Bedeutung der beiden abgewogen.


Doch Vorsicht, man soll Max Frisch als Architekten weder kleinreden, noch grossmachen. Er war ein anständiger Architekt, wäre er im Beruf geblieben, BSA-Mitglied auch er. Doch sein Werk ist konventionell, selbst sein Entwurf für eine Etagenstadt, die die verschiedenen Verkehre auf unterschiedliche Ebenen legt. Doch spannend wird es erst, wenn Städtebau und Politik zusammenfinden, wie 1955 bei «achtung: die Schweiz», dem Vorschlag, zusammen mit Lucius Burckhardt und Markus Kutter, 1964 statt einer konventionellen Landesausstellung eine Musterstadt zu gründen. Hier trifft die Guisan-Schweiz auf die der Nonkonformisten und die Reibung entfacht Funken, die auszutreten sich die Guisan-Schweiz eifrig bemühte. Als zehnjähriger Bub hatte ich das rote Büchlein in Händen und war elektrisiert. Mich wehte Zukunft an.  


Die architektonische Laufbahn Max Frischs wird detailliert vorgestellt und im Zeitgeist verankert. Hagen Hodgson sucht und findet im Dichter den Architekten. Interessant ist seine Hinwendung zur technischen Moderne, wie er sie in seinem Stipendienjahr in den USA kennen gelernt hatte. Sie wird nachvollziehbar dokumentiert. Das war der Trend in den Fünfzigerjahren und Frisch hat ihn mitgemacht. Es war auch eine Auflehnung gegen die schweizerische Putzigkeit, die ihm gegen den Strich ging. Später aber wird er in die Gemütlichkeit abbiegen, sein Haus in Berzona ist der Alterssitz eines abgeklärten Intellektuellen. Es könnte auch ein ehemaliger Chefbeamter darin wohnen. Man kann Frischs Wohnkarriere folgen, denn seine verschiedenen Wohnungen und Häuser werden vorgestellt, sie sind die architektonischen Fixpunkte seines Lebens. Sie sind beziehungsreich in die damalige Zeit, in Frischs Leben und sein literarisches Werk eingebettet. Ein Werkverzeichnis beider, Vater und Sohn, zeigt «wie es wirklich gewesen ist».
Ich las meine eigene Geschichte in diesem Buch, genauer, die meines Vaters (wie Frisch *1911) und seiner Generation. Das verschaffte mir Aha-Effekte und Genuss. Solange Max Frisch von Architekten noch gelesen wird, solange wird auch dieses Buch lebendig bleiben.



 
 

49.-
 

 

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