Soglio im Bergell. Im Hintergrund die berühmten Palazzi, in der Mitte das turmartige Wohnhaus, dass Armando Ruinelli 1998 für sich selber baute. Fotos: Ralph Feiner

Der Dorfbaumeister von Soglio

Ein Buch stellt Armando Ruinellis Leben und Werk als Architekt in Soglio vor. Auf den ersten Blick sehen seine Häuser aus, als stünden sie schon immer da. Der zweite Blick zeigt die Unterschiede.

1982 baute Armando Ruinelli sein erstes Haus – mit dem Umbau des Hauses von Ivana Semadeni und Gian Andrea Walther in Promotogno legte der junge Architekt seinen Lebensfaden und seinen Berufsweg fest: Ich kehre nach ein paar Jahren in der Fremde nach Hause zurück; ich werde mich um das Bauen in meinem Tal kümmern. Umbauen, ausbauen, wegnehmen; Ideen und Bauteile zu einem bestehenden Gebäude fügen, um es so neuen Vorstellungen von Komfort und Lebensfreude anzupassen. Und schon bald mit seinem Atelier in Soglio und weiteren Gebäuden in den Dörfern des Bergell neue Häuser mit langem Schauen, Studieren und Reden einfügen in das, was da steht und zwar so, dass das Neue auf den ersten Blick aussieht als stünde es schon immer auch da. Auf den zweiten Blick dann die Unterschiede – kluge Überlegungen zum neuen Leben des Hauses, schöne Details, liebevoll gemachtes Handwerk, wohlüberlegte Eingriffe, die langes Brauchen und andere Zumutungen gut ertragen werden. Dieses Programm ist in Ruinellis Haus für die Walthers in Promotogno schon angelegt, und in den folgenden vierzig Jahren wird er es zusammen mit seinem langjährigen Büropartner Fernando Giovanoli und einer kleinen Schar Mitarbeiterinnen und Architekten ausfalten, verfeinern, neu Gelerntes probieren, wieder zurückkommen auf seine Grundsätze und diese verfestigen in Bauten, als Lehrer an Hochschulen, als Mitglied von Baugremien und auch als beliebter Gast in Architekturzeitschriften. Diesen Lebensweg können wir nun nachlesen in italienisch und deutsch und nachschauen in einem Rechenschaftsbericht mit dem Titel «Leggere il tempo» – «Zeit lesen».

Mehrzweckhalle, Schreinerei und immer wieder Wohnhäuser
So klar und wohl geordnet wie er seine Bauten denkt und macht hat Armando Ruinelli zusammen mit dem Hochparterre-Redaktor Axel Simon das Buch entworfen: In der Hauptsache das Werk als Katalog aller Bauten. Er ist etwas gar knapp geraten, gerne läse ich nebst Bauaufgabe und Bauherrschaft auch die Baukosten; gerne läse ich auch eine Referenz an die für die Schönheit von Ruinellis Bauten massgebenden Maurer, Schreiner oder Zimmerleute. Und an die beteiligten Mitarbeiterinnen – ein Held steht ja nie allein auf weiter Flur. 18 Bauten, die einen besonderen Stellenwert im Werk haben, widmen der Architekt und sein Herausgeber eine ausführliche Dokumentation: Bilder, Pläne und präzise Texte, so dass auch der in Architektur Ungewohnte, sich das Haus in seinem Kopf zusammensetzen kann. Wir finden da sechs Porträts von Renovationen und Ersatzneubauten in Soglio, weitere aus dem Bergell nebst Wohnhäusern eine Mehrzweckhalle oder eine Schreinerei, dann Ausflüge in die Nachbarschaft ins Hotel Waldhaus von Sils-Maria etwa, wo Ruinelli seit vielen Jahren als Hausarchitekt die Zimmer im Schuss hält und schliesslich gar in die Fremde zum Haus einer Fotografin in den Norden von Deutschland.

Auch in der Architektur gilt: Tue Gutes und sprich darüber. Nebst kurzen Protokollen von Bauherrn setzte Axel Simon drei Gespräche zwischen die Bauporträts. Das ist eine gescheite Wahl, denn das Gespräch mit sich, mit dem Ort, mit der Landschaft und vor allem mit Menschen ist eine Essenz von Ruinellis Leben und Werk. Wie die Bauten begleiten diese Texte ein Stück seines Lebensfaden über die Zeit und so können wir mitlesen, wie bedächtig da einer an einem angemessenen Haustyp für seine Ideen feilt und seine Werkzeuge poliert. Und wir lesen, wie er mehr und mehr seine Freude am raffinierten Design entdeckt – edles Machen mit wenigen, einfachen Materialien, eigens entworfene Bauteile, die ihren Anteil zur gediegenen Atmosphäre der Räume beizutragen haben. Und wie einer schliesslich selbstbewusst und zufrieden nun im Abendrot beglückt zurückschaut – ein Glückspilz ist er, der in seinem Tal seine Bestimmung gefunden und es mit Um- und Neubauten bereichert hat, die nicht nur ihm und seinen Bauherrschaften, sondern auch den Leuten behagen.

Ungeputzte Bilder
Schliesslich – Architektur ist immer auch ein Bild. Da ist Axel Simon und seinem schon langjährigen Bergeller Freund ein Glücksgriff gelungen: Sie baten die St. Galler Fotografin Katalin Deér um ein Porträt von Ruinellis Lebenswelt und Bauten. In zwei Strecken sehen wir farbenstarke Bilder, ungeputzte Fotografien von Häusern und ihren Details, schöne Porträts des Architekten und seiner Freunde, der Schafe, Bäume und Kinder. Diese Bilder sind ein künstlerischer Beleg, dass die Hoffnung des jungen Ruinelli gut geraten ist – ich möchte eines Tages im Alltag des Tales ankommen. Er hat es geschafft.

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Kommentare

Andreas Konrad 20.07.2023 23:11
Grandios ! Ein Hoch dem Handwerk, der Liebe zum Detail, dem Abschwören vom minimalistischen Renditeklötzli, ein Nein dem Kalten, Seelenlosen. Hier hat einer begriffen. Er soll als Held durch die Architekturschulen reisen und von seinen Taten erzählen.
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