Das Herz der Lernateliers sind die 210 Quadratmeter grossen ‹Klassenzimmer›, in denen Schüler und Schülerinnen den speziell entwickelten Lernateliertisch ‹Typ Basel› frei positionieren können. Fotos: Derek Li Wan Po

Lernateliers mit Wohnzimmer

Das Themenheft «Vom Schul- zum Lernhaus» widmet sich der Schulbauarchitektur von Basel-Stadt. Der Kanton steckt bis ins Jahr 2022 rund 790 Millionen Franken in den Umbau seiner Schulbaulandschaft. Am weitesten ging er beim Schulhaus Sandgruben: 200 Quadratmeter sind seine Lernateliers gross, ihr Raumkonzept entstand im intensiven Austausch zwischen Lehrerinnen und Stücheli Architekten. Am 12. April feiert das Heft mit Podium und Führung Vernissage in Basel.


Die Lernateliers im Schulhaus Sandgruben sind in Architektur übersetzte Pädagogik. Sie sind das Resultat eines intensiven Austauschs zwischen Lehrpersonen und Architekten.

Sanft dockt das neue Sekundarschulhaus Sandgruben an das alte Schulhaus an. 1949 bis 1951 von den Architekten Schneider & Gürtler erbaut zeigt der 2017 sanierte viergeschossige Bau nun wieder seinen ursprünglichen Charakter. Ein neues eingeschossiges Foyer verbindet Alt und Neu und dient als gemeinsamer Haupteingang. Im Architekturwettbewerb schlugen Stücheli Architekten den Abbruch der sanierungsbedürftigen Zweifachsporthalle vor, die sich L-förmig an den Hauptbau angliederte. Das schuf Platz für den Neubau. Dieser steht auch für einen pädagogischen Neuanfang. «Das pädagogische Herz des Sandgruben ist das Lernatelier», beginnt die Projektleiterin von Stücheli Architekten, Juliane Grüning, ihren Rundgang. Das Wettbewerbsprogramm, erarbeitet vom Hochbauamt in enger Zusammenarbeit mit der Schulleitung und dem Erziehungsdepartement, forderte die Architekten zu einer Neuinterpretation der Schulhaustypologie heraus. Jugendliche verschiedener Alters- und Niveaustufen sollten im Sandgruben in grossen Gruppen gemeinsam lernen und voneinander profitieren. Selbstständigkeit und Organisation, Rücksichtnahme und Kommunikation würden dabei gefördert und für eine zeitgemässe Ausbildung der folgenden Generationen sorgen, so die Architektin.

Lernen wie im Grossraumbüro

Nur ein Neubau erlaubte den Architekten eine direkte räumliche Umsetzung der pädagogischen Leitideen in Architektur: Auf drei Geschossen, an drei separate Treppenhäuser angegliedert, finden heute in seinem südlichen Trakt neun Lernateliers Platz. Sie fassen je drei niveauübergreifende Klassenverbände zu Clustern zusammen. Die jeweiligen Arbeitsweisen und Lernformen sind räumlich klar zugeordnet: Zentrum ist ein 210 Quadratmeter grosser, offener Raum, in dem bis zu sechzig Schüler und Schülerinnen sowie die Lehrkräfte an individuell eingerichteten Arbeitstischen Platz finden. Graue Sichtbetonwände, ein rostroter Linoleumboden und die weissen Arbeitstische treten farblich in den Hintergrund. Sie lassen Raum für bunte Ordner, selbstgemalte Namensschilder, Fotos und Notizen. Auffällig sind zwei Aushänge: Ein Plakat ruft zu Ruhe und Flüsterton im Lernatelier auf, ein Organisationsblatt zeigt, wer hier seinen Arbeitsplatz hat und wann wo arbeiten will. Neben dem eigenen Arbeitsplatz stehen auch Stehpulte mit Computern zur Verfügung.

Direkt ans Atelier angegliedert ist der sogenannte Inputraum, der mit Tafel, Beamer und Schulbänken einem traditionellen Klassenzimmer am nächsten kommt und auch als solches nutzbar wäre. Er ist für den Frontalunterricht gedacht. Wer an seinem Pult sitzt, sieht durch eine Glastrennwand, was einem Teil seiner Ateliergruppe im Inputraum gerade unterrichtet wird und umgekehrt.

Der dritte Ort des Lernens ist der Gruppenraum, wo die Schüler eigenständig zusammenfinden. Im Sandgruben ist die Lehrerin nicht mehr reine Wissensvermittlerin, sondern auch Beraterin. Sie begleitet das individuelle Lernen mehr oder weniger intensiv, je nach Hilfsbedürftigkeit der Schülerinnen und Schüler. Die einzelnen Räume der Lernlandschaft – Atelier, Input- und Gruppenraum – sind auch separat über ein Treppenhaus zugänglich, das sich jeweils drei Lernateliers teilen. Daran angegliedert sind die kleinteiligen Toilettenanlagen pro Geschoss, die sich mit leuchtend orangefarbenem PU-Boden und Wandkacheln in das Farbkonzept der Nebenräume einordnen.

Über die Treppenhäuser der Lernateliers erreichen die Schülerinnen und Schüler die zweigeschossige Halle im Erdgeschoss. Sie liegt im Gelenk des Turnhallen-, Spezialraum- und Lernateliertrakts und ist Dreh- und Angelpunkt des Hauses. «Wir nennen sie auch das ‹Wohnzimmer› der Schulanlage», so Grüning. Die neuen, markanten Sitzmöbel im Foyerbereich wurden im Zuge der Sanierung auch in den Altbau integriert. Geschickte Brandschutzmassnahmen machen es möglich, das ‹Wohnzimmer› als möblierbaren Aufenthaltsort zu nutzen. In seinem hinteren Teil ist eine Galerie eingezogen, oberhalb des Fensters, das Einblick in den Sportbetrieb gewährt. In diesem Zwischengeschoss liegt die in intensivem Grün gehaltene Bibliothek, die durch eine gewendelte Stahltreppe erschlossen wird. Auch die graue Halle ist farblich akzentuiert. Augenfänger ist allerdings der siebzig Quadratmeter grosse, grüne Mosaikteppich im Hartbetonboden. Die Kunst-und-Bau-Arbeit von Claudia und Julia Müller unterstreicht den wohnlichen Charakter.

Das Zusammenspiel

25 Klassen mit 600 Schülerinnen und Schülern, zwei Sonderklassen, acht Klassen im Altbau sowie rund neunzig Lehrpersonen, Sozial- und Heilpädagogen finden seit dem Sommer 2016 in der neuen Schulanlage Platz. Das Thema Integration prägt das Schulhaus: Manch ein Schüler, der Spezialangebote in Anspruch nimmt, besucht Teile des regulären Unterrichts, manche Schülerinnen der regulären Klassen brauchen die Unterstützung der Heilpädagogen. Die Einheit der Ausbildungsbereiche, verteilt auf Neu- und Altbau, wird im Städtebau deutlich.

Stücheli Architekten grenzen das Schul- und Sportgelände räumlich und akustisch von der stark befahrenen Basler Osttangente ab. Doch statt einen einfachen Riegel zu wählen, wie es die meisten anderen Architekten im Wettbewerb vorgeschlagen haben, wählten Stücheli Architekten einen eingeschossigen Sockel um einen quadratischen Pausenhof, aus dem vier Körper herausstehen: erstens der Altbau, zweitens der Neubautrakt für die Spezialnutzungen, drittens der Trakt mit den Lernateliers und viertens ein eingeschossiger Doppelkindergarten. So fassen die Architekten einen platzartigen Innenhof, gegliedert durch Sitz- und Baumgruppen und kleinteilige Platten, die mit dem Gelände verlaufen. Der Kindergarten lehnt sich in seiner Ausgestaltung und Farbkonzeption an den Schulneubau an. Er ist lediglich durch sein Dach mit der Schulanlage verbunden. Dem Innenhof dreht er den Rücken zu und orientiert sich somit zu einem eigenen, ins Grüne orientierten Aussenbereich. Von hier aus geht es in wenigen Schritten zu den Sportwiesen, zur benachbarten Gewerbeschule, zur Berufsschule und zur Primarschule.

Das Zusammenspiel der Baukörper ist das Resultat eines intensiven Austauschs im Planungsprozess. Ohne stetigen Dialog der Beteiligten, ohne transdisziplinäres Vorgehen wäre der in seiner Offenheit sorgfältig formulierte Architekturwettbewerb ebensowenig entstanden wie das klare pädagogische Programm und die nutzerorientierte Umsetzung. Ein solches Miteinander – keine Selbstverständlichkeit bei Grossprojekten dieser Art – steht im Schulhaus Sandgruben auch nach Bauabschluss im Zentrum: Drei Schulleiter mit unterschiedlichen Schwerpunkten teilen die Verantwortung und tauschen sich regelmässig mit der Lehrerschaft aus, zudem wird die nächste Generation nun explizit in diesen Bereichen geschult. Das klassen- und niveauübergreifende Zusammenspiel im Schulhaus Sandgruben ist vorerst bis 2023 befristet. Dann wollen die Verantwortlichen Bilanz aus ihrer ‹Erfahrungsschule› ziehen. Einen ersten Hinweis, dass die Pädagogen auf dem richtigen Weg sein könnten, gibt es bereits: 2017 hat das Sandgruben einen von sechs ‹Schweizer Schulpreisen› gewonnen. Damit werden besonders innovative, zukunftsorientierte Schulen ausgezeichnet.

Dieser Beitrag stammt aus dem Themenheft Vom Schul- zum Lernhaus der Zeitschrift Hochparterre. In Zusammenarbeit mit dem Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt.

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