Im Bergdorf Ftan nicht üblich: Sichtbetonfassade mit strengem Raster. Fotos: Ralph Hauswirth

Fin de chantier: Alpin verdichtet

Die Wohnbaugenossenschaft «Chasa Reisgia» baute in Ftan ein Mehrfamilienhaus. Sechs Büros aus der Region wurden zu einem Wettbewerb eingeladen, das Projekt von Urs Padrun überzeugte die Jury.

Das Oberengadin ist bekannt für steigende Immobilienpreise durch ungebremsten Zweitwohnungsbau. Auch im weniger bedrängten Unterengadin findet, wer arbeiten und leben will, oft keine bezahlbare Wohnung. In Ftan will man dem nicht mehr länger zusehen. So gründeten einige Bürger vor vier Jahren die Wohnbaugenossenschaft «Chasa Reisgia» — eine Rarität im Kanton. «Die Gemeinde übergab uns eine Parzelle am Rande des Dorfkerns im Baurecht und unterstützte uns mit einem günstigen Darlehen», erzählt der Genossenschaftsvorsteher Jon Plouda. Sechs Büros aus der Region wurden zu einem Wettbewerb eingeladen, das Projekt von Urs Padrun überzeugte die Jury.


Er teilte die 13 Wohnungen auf zwei Volumen auf. Statt die beiden Gebäude hintereinander aufzureihen, drehte Padrun das vordere senkrecht zum Hang: Ein Platz entsteht. Ihm zugeordnet ist eine Waschküche, die auch als Mehrzweckraum dient. Die Autos werden unter dem hinteren Gebäude abgestellt, Garagentore gibt es keine. Der pragmatische Umgang mit Raum erinnert an dicht genutzte Dorfplätze im Engadin. Der Entwurf spinnt deren Struktur unverkrampft weiter. Das Verfremden regionaler Elemente setzt sich im Ausdruck fort. Der Sichtbeton nimmt Bezug zur Schwere des Engadinerhauses. Dazu passen die Holzfenster und Brüstungen aus heimischer Fichte. Die subtile Verschiebung der Fensteröffnungen im Holzrahmen lockert das strenge Raster der Lochfassade auf. Das Spiel erinnert entfernt an Trichterfenster alter Häuser.


Der Bau an der Strasse ist als Reihenhaus organisiert. Maisonettewohnungen reichen bis unter den Dachstuhl. Das hintere Haus ist dank schaltbaren Studios zwischen je zwei Geschosswohnungen flexibel einteilbar. Der Sichtbeton der Loggien und der tragenden Wände sorgt auch im Innenraum für eine ruhige Massivität. Die übereck angeordneten Fenster im Wohnraum lassen die Engadiner Stube wieder aufleben.
Der Ftaner Mut hat sich gelohnt. Diese Architektur schafft mit einfachen Mitteln bezahlbaren Wohnraum und stellt den Einfamilienhäusern, die den Hang zersiedeln und zerstören, einen robusten Ort entgegen. «Das Projekt war gut getragen im Dorf», sagt Gemeindepräsident Reto Pedotti. Folgen andere Gemeinden im Tal dem Beispiel? Er ist skeptisch: «Viele haben hingeschaut. Wenn es aber um konkrete Schritte geht, kommen die meisten nicht vom Fleck.»

Mehrfamilienhaus Reisgia, 2010

Sainas, Ftan GR
– Bauherrschaft: Wohnbaugenossenschaft «Chasa Reisgia», Ftan
– Architektur: Urs Padrun, Guarda, 
Mitarbeit: Rebekka Kern
– Auftragsart: Wettbewerb auf Einladung mit sechs Teilnehmern, 2007
– Miete: 4½ Zimmer: CHF 1620.-, 5 Zimmer: CHF 1780.-
– Baukosten (BKP 1–9): CHF 5,0 Mio.

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