235 Covers zeigen den Wandel Fotos: Palle Petersen

40 Jahre Archithese oder das Schicksal der Architekturkritik

40 Jahre Archithese bedeuten 40 Jahre Architekturdiskurs – in der schnelllebigen Medienlandschaft fraglos ein Grund zum Feiern.

Gefeiert wurde gestern Dienstag an der Vernissage der Ausstellung ‚zum beispiel die archithese – 40 jahre, 235 hefte’, die der ehemalige Redaktor Martin Steinmann kuratierte. Auftakt bildet eine eindrückliche Wand mit sämtlichen Ausgaben hinter zwei fingierten Arbeitsplätzen aus den Jahren 1983 und 2011. Hier wird offensichtlich, dass sich nicht nur das Format und die agitative Kraft der Grafik im Laufe der Jahre verändert haben, sondern auch die Produktionsbedingungen einer Redaktion. Wo einst mit Schere, Kleber und Tipp-Ex gearbeitet wurde, übernimmt heute der allmächtige iMac alle Aufgaben.

Rückblick...

Dem atmosphärischen Beginn folgen im grossen Ausstellungsraum zwei Wände mit verschiedenen Schwerpunkten. Zum einen 15 von den ehemaligen Chefredaktoren ausgewählte Ausgaben, die auf je einem Poster dargestellt werden. Die rückblickende Gewichtung gibt Aufschluss über die unterschiedlichen Agenden, Schwerpunkte und Sichtweisen der jeweiligen Redaktionen. Gegenüber findet sich das «Dessous, wo dem Heft unter den Rock geschaut wird», so Steinmann. Typoskripte, Korrespondenz mit Architekten und Verlegern, Collagen für Titelseiten und dergleichen zeigen die keinesfalls reibungslose Auseinandersetzung, die einer fixfertigen Archithese vorausgeht. Das letzte Element der Ausstellung sind Sprechblasen, in denen die Schweizer Architekturszene zu Wort kommt. Die baukulturelle Nationalliga A und B sprechen hier kurze und lange, lobende und kritische Worte und bringen zum Ausdruck, dass 40 Jahre Archithese für jeden etwas anderes bedeuten.

...und Selbstlob

Neben viel Selbstlob des aktuellen Verlegers Christoph Bürkle – der sich genötigt sah, die gegenwärtige Qualität des Heftes zu verteidigen, das unter seiner Ägide kommerziell erfolgreich auszurichten war – gab es gestern auch kritische Worte. Steinmann selbst diagnostizierte der Archithese im Zeitalter der vielfältigen Medienlandschaft und zahlloser Monographien und Publikationen eine abnehmende Relevanz. Es gäbe zu viele Gefässe, als dass die Archithese noch wirklich ein Ort der Identifikation (auch der negativen: des Auschlusses) sein könne. Neben der grafischen Professionalisierung, sprich Vereinheitlichung, und bildgewaltigen Verkäuflichkeit, wurde auch der abnehmende Tiefgang bemängelt. Bürkle sprach vom Vorwurf des ‚Bildli-Hefts’ und Hans Frei verkündet in einer der Sprechblasen, die Archithese ab 1987 sei bloss noch Infotainment. Auch Martin Steinmann bedauerte ein wenig, dass die Archithese ‚zur gewöhnlichen Architekturzeitschrift’ geworden sei. Der aktuelle Archithese-Redaktor Hannes Meyer formulierte es so: «Wir sind hier an einer geriatrischen Veranstaltung gelandet.» Schliesslich: Gestern waren zwar bekannte und verdiente Gesichter anwesend, aber zum 40. Geburtstag hätte man der Archithese mehr als nur 50 Gratulanten gewünscht.

Die Rahmenbedingungen...

Allzu düster steht es um die Archithese trotzdem nicht. Dies zeigt das aktuelle Heft, das sich der eigenen Geschichte widmet und die heutigen Rahmenbedingungen der Architekturkritik thematisiert: Bei zunehmend medialer Professionalisierung von Seiten der Bauherren und Architekten – man denke an ganze PR-Abteilungen etwa im Hause HdM und projektbegleitende Homepages, Happenings und dergleichen – wächst die Erwartungshaltung an den Kritiker und gleichzeitig sinkt seine Integrität. Nur allzu oft stehen die Mittel nicht zur Verfügung, eigenständige Bilder anfertigen zu lassen und so zirkulieren in den Medien die optimierten und nachbearbeiteten Sichtweisen der Architekten auf ihre eigenen Projekte – Hochparterre, dies als Randbemerkung, ist da eine Ausnahmeerscheinung, indem es die grossen Beiträge meist selbst fotografieren lässt. Knappe Budgets führen verschärfend dazu, dass die hübsch vorformulierten Sätze der Architektenschaft leicht abgewandelt ihren Weg in die Publikationen finden und die nötige Zeit für eine kritische Auseinandersetzung weggespart wird. Architektur wird daher zunehmend als Marketinginstrument und ästhetisches Artefakt wahrgenommen und die gesamtgesellschaftlichen, kulturellen Implikationen werden marginalisiert. Es mag vielleicht schlecht um die Rahmenbedingungen der Architekturkritik stehen, aber noch findet die Archithese die Kraft, diesen Missstand anzuprangern.

...und ein Gespräch

Unterstützend zum Heft und der durchaus selbstkritisch konzipierten Ausstellung folgen zwei Veranstaltungen im Architekturforum Zürich: Am 31. August thematisiert das Gespräch ‚die archithese machen’ unter sämtlichen ehemaligen Chefredaktoren die Vergangenheit und am 14. September reden unter dem Titel ‚andere stimmen, andere orte’ junge und verschiedenartige Architekturvermittler. Wir bleiben dran.

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