Aus dem Schatten des Bruders
Bruno Giacometti ist tot. Sein Schaffen als Architekt ist der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt geblieben.
Bruno Giacometti ist tot. Er starb letzte Woche an seinem Wohnort Zollikon. Zeitlebens ging es wie vielen Menschen mit berühmten Verwandten: Er stand in ihrem Schatten. Sein eigenes Schaffen als Architekt ist der breiten Öffentlichkeit, im Gegensatz zum künstlerischen Werk seines Vaters Giovanni und seines Bruders Alberto, eher unbekannt geblieben. Doch er, der jüngste Giacometti-Spross, er überlebte sie alle, starb im biblischen Alter von 104 Jahren.
Geboren wurde Bruno Giacometti 1907 in Stampa, wo er mit der Kunst aufwuchs: Sein Pate war Ferdinand Hodler, dem Vater und Bruder stand er Modell, während die anderen Kinder des Dorfes Kühe hüteten. Mit neunzehn verliess er das Bergell zum ersten Mal in Richtung Grossstadt, nach Zürich, um an der ETH Architektur zu studieren. Bei Karl Egender arbeitete er ab 1930 am Zürcher Hallenstadion und an Bauten der Landi. Während seiner anschliessenden Selbständigkeit profitierte er von dieser Erfahrung und realisierte einige Ausstellungspavillons, die sein Land repräsentierten: 1945 bis 1950 die der Länder- und Gewerbeausstellungen in Paris und Mailand und 1952 den Pavillon der Biennale von Venedig, wohl sein bekanntestes Gebäude.
In den Sechzigerjahren plante Giacometti mehrere Krankenhäuser im Kanton Zürich, wie das Bezirksspital in Dielsdorf, dem er Anfang der Achtzigerjahre ein Krankenheim anfügte. Zum Bergell hielt der in Zollikon lebende Architekt sein Leben lang Kontakt. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren trug er für das Elektrizitätswerk Zürich die Moderne ins abgelegene Tal, baute die Post von Maloja, zwei Schulhäuser, zwei Siedlungen, Seilbahn, Spital und den kleinen Zollpavillon von Castasegna.
Ähnlich wie sein anderer Bruder Diego widmete Bruno Giacometti einen grossen Teil seines Lebens dem Werk des sechs Jahre älteren Albertos und dem seines Vaters. Als dieser 1933 starb, kümmerte sich der 26jährige um den Nachlass des schon zeitlebens berühmten Malers, da seine Brüder in Paris weilten. Seit dem Tod von Alberto (1966) und Diego (1985) war er ausserdem international gefragter Leihgeber und Experte für deren Werk. In Zürich schätzte man ihn als Vorstandsmitglied der Kunstgesellschaft und der Stiftung des Kunsthauses, sowie als Mitglied von dessen Sammlungskommission. Er schenkte dem Museum zahlreiche Werke seiner Familie und initiierte die Einrichtung der Räume für die Giacometti-Sammlung. Erst kurz vor seinem Tod wurde Bruno Giacomettis zurückhaltende Architektur mit kleineren Ausstellungen und zwei Büchern gewürdigt.