Die Einmischer
Für Timothy Allen und Ronan Crippa beginnt Architektur bereits bei den gesetzlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. In Grabs, wo sie aufwuchsen, engagieren sie sich bauend und vermittelnd für mehr Baukultur.
Die Hänge um die St. Galler Gemeinde Grabs sind weiss gepudert. Im alten Holzhaus ist es kühl, die Bauarbeiten sind noch im Gange. In der niedrigen Stube wartet ein Kachelofen auf seinen Einsatz. Daneben beugen sich Timothy Allen und Ronan Crippa über Pläne und Baustellenfotos. Die Architekten kennen jeden Balken, der sie umgibt. In Grabs aufgewachsen, haben sie den Strickbau aus dem 17. Jahrhundert während ihrer Studienzeit an der ETH Zürich dokumentiert. Als selbständige Architekten ins Dorf zurückgekehrt, setzten sie sich gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe für den Erhalt des vom Abriss bedrohten Zeitzeugen ein. Private aus dem Kreis der Arbeitsgruppe erwarben das Haus schliesslich für einen symbolischen Franken und das Versprechen, es mitzunehmen.
In ihrem Auftrag haben Allen + Crippa den Strickbau im vergangenen Jahr an seinem früheren Standort ab- und auf dem Land seiner neuen Eigentümer wiederaufbauen lassen. Noch im Rohbau und unter Abdeckplanen versteckt, dockt auf der Rückseite ein leicht grösseres Haus aus tragendem Stampflehm und unverleimten Holzdecken an das historische Gebäude an. Im Innenraum verbunden, werden Alt und Neu künftig eine Einheit zum Wohnen und zur Vermittlung von Wissen über Permakultur bilden. Der Freiraum rundherum soll denn auch als Anschauungsort für das Gartenbaukonzept dienen.
Debatten anzetteln
Timothy Allen und Ronan Crippa verstehen ihr Schaffen als Lernprozess. Bereits während des Studiums bauten sie gemeinsam zwei Häuser. Mit jeder Erfahrung legten sie sich die Messlatte höher, insbesondere punkto Nachhaltigkeit und Ökologie. Im jetzigen, dritten Projekt finden ihre zentralen Themen und Ansprüche wie selbstverständlich zusammen: Umbau und Wiederverwendung, Ökologie und CO2-Sparen, Konstruktion und Atmosphäre, behutsame Siedlungsentwicklung und baukulturelles Engagement.
Im überschaubaren Grabs fallen die beiden damit auf – und das mit Absicht. Schliesslich ist es das Unverständnis für planerische Fehlentscheide, fragwürdige Bauprojekte und die fortschreitende Zersiedelung, das sie seit dem Studienabschluss 2022 immer stärker zurück nach Grabs zieht. «Themen der Architektur, Raum- und Baukultur werden hier kaum debattiert», sagt Allen. «Wir wollen dazu beitragen, das zu verbessern.»
Tatsächlich verschafft sich das Duo bei der lokalen Bevölkerung Gehör. 2021 waren Allen und Crippa Mitinitianten einer Petition gegen eine neue Überbauung im Dorfzentrum. Unter dem Druck von 400 Unterschriften sistierte der Gemeinderat den Sondernutzungsplan für das Grossprojekt. Ein Jahr später, als in Grabs das Mitwirkungsverfahren zur Ortsplanungsrevision anstand, erarbeiteten die beiden auf eigene Faust die Website Einbaureglementfüralle.ch, organisierten Dorfspaziergänge, verteilten Flyer. Ihr Ziel: die Menschen über den Einfluss des Baureglements auf ihre Umgebung aufklären und Klimaschutz, Klimaanpassung und Biodiversität im Regelwerk verankern.
Die Resonanz bei der Bevölkerung war beachtlich, ein handfester Erfolg blieb aber aus: Die Gemeinde lehnte die Vorschläge rundweg ab. Dennoch: Der Anfang ist gemacht. Bis zur nächsten grossen Aktion finden Allen + Crippa im Kleinen Wege, um Baukultur zu vermitteln. Auf ihrer Baustelle werden sie gleich eine öffentliche Führung veranstalten. Es ist eine von vieren, die sie dieser Tage anbieten. Unter die Gäste von auswärts werden sich auch Interessierte aus der Umgebung mischen.
In der Rubrik ‹Wilde Karte› präsentieren Hochparterre und Zürcher Ziegeleien vier ausgewählte Architekturbüros, deren Gründerinnen und Gründer höchstens 40 sind. Am 19. September wetteifern die vier Büros im Architekturforum Zürich um einen Platz bei einem eingeladenen Architekturwettbewerb.