Der Firmenhauptsitz in Zürich als grünes – und blaues – Kraftwerk
Im Auftrag von Energie 360°

Sprechendes Blau

Was passiert, wenn ein Unternehmen für nachhaltige Energie- und Mobilitätslösungen den eigenen Hauptsitz nach den geltenden Werten umsetzt? Architektur aus Solartechnik.

‹Architecture parlante› nennt man Gebäude, deren Form ihre Nutzung nach aussen trägt. Wie sähe der sprechende Hauptsitz eines Energieunternehmens aus? Das Basler Architekturbüro Jessenvollenweider hat sich dieser Aufgabe gestellt. Die gefundene Lösung war nicht ohne Hürden umzusetzen.

Energie 360° ist ein schweizweit tätiges Energieunternehmen mit Sitz in Zürich und Lausanne. Sein Hauptsitz in Zürich stammt aus dem Jahr 2004 und wird zurzeit für 28 Millionen Franken zu einer modernen Büroarbeitswelt für rund 400 Mitarbeitende umgebaut. Die bestehenden Räume werden erweitert und zu einer offenen Bürolandschaft mit unterschiedlichen Zonen umgestaltet, die Haustechnik wird modernisiert. Das Gebäude wird nun mit Fernwärme versorgt und die nötige Kälte über Wärmetauscher selbst produziert. Eine grossflächige Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und an der Fassade wird künftig rund die Hälfte des jährlichen Strombedarfs des Unternehmens decken – was man auf den ersten Blick erkennen soll. Tausende von kleinen Solarzellen schillern in unterschiedlichen Blautönen und prägen drei Seiten des 13 Meter hohen Gebäudes, vor allem die 70 Meter lange Westfront. Und hier sind wir wieder beim Thema, bei der sprechenden Architektur: Das Haus ist ein Solarkraftwerk und redet davon.


Die Dichte der PV-Zellen variiert.

PV-Module am Modell (Jessenvollenweider)

Schon beim Neubau des Amts für Umwelt und Energie im Kanton Basel-Stadt aus dem Jahr 2021 setzten sich Jessenvollenweider intensiv mit der Frage auseinander, wie das technische Element Photovoltaik-Fassade zu einem architektonischen Ausdruck gelangen kann, ohne dass man es hinter aufgedruckten Farbschichten verstecken – und dabei noch ein Drittel des möglichen Energieertrages verlieren – muss. Zwar ist die Aufgabe in Zürich eine völlig andere: Es geht nicht um einen Neubau, sondern um ein bestehendes Gebäude, das wesentlich grösser ist. Und: Es steht nicht in der Altstadt, sondern zwischen einem Gleisfeld, einer darüberführenden Brücke und einer Stadtautobahn. Die eigentliche Herausforderung jedoch ist die gleiche: aus Solartechnik eine schöne Fassade zu machen.

Sven Kowalewsky ist Architekt und Partner bei Jessenvollenweider. Er schildert den Weg zur sprechenden Fassade so: Die heute gebräuchlichen Solarzellen sind monokristallin, also schwarz und ohne Struktur. Je nach Sichtweise könnte man sagen: zurückhaltend oder langweilig. Ihre Rückseite ist erstaunlicherweise aber blau, denn sie wird nicht nachbehandelt, damit sie alles Licht schluckt. Kowalewsky schlug vor, die Module einfach umzudrehen. Jede der Solarzellen schimmert nun in einem anderen Blauton und lässt die Fassade lebendig wirken. Der Nachteil der Lösung: Sie erzeugt 10 bis 20 Prozent weniger Strom, da rund zehn Prozent des Lichts reflektiert werden, was wir eben als Blau wahrnehmen. Allerdings, so der Architekt, kosten andere «Ästhetisierungen» wie das Bedrucken wesentlich mehr Strom und Geld.


Das Mock-up der umgedrehten Solarzellen

Brandversuch zur Überprüfung der Sicherheit

Doch mit dieser Idee war der Weg zur sprechenden Fassade noch nicht zu Ende. Vor einem Jahr verschärften die Gebäudeversicherer der Kantone die Brandschutzauflagen für PV-Fassaden. Bei Gebäuden, die höher als elf Meter sind, brauchte es neu den Nachweis, dass sich ein Fassadenbrand nicht über mehr als zwei Stockwerke ausbreiten kann. Viele Projekte wurden deshalb verschoben oder gar gestrichen. Der Energie-360°-Hauptsitz war eins der ersten Projekte, die die neue Reglementierung betraf. Das Unternehmen nahm die Herausforderung an, schliesslich ging es um einen zentralen Bereich ihres Wirkens. Für den nötigen Nachweis beschritt es den Weg der «objektspezifischen Freigabe» und machte einen aufwendigen Brandversuch: Weil in der Schweiz eine geeignete Prüfanlage fehlt, setzte man in Leipzig zwei Testfassaden aus PV-Modulen unter kontrollierten Bedingungen in Brand. Die erste brannte rasant ab. Bei der zweiten hielten Profile aus Stahlblech das Feuer im Zaum: horizontale Brandstopper zwischen den Modulreihen. Diese Lösung wird nun in Zürich umgesetzt. Und kann anderen Projekten als sprechendes Vorbild dienen.


Der Firmenhauptsitz in Zürich als grünes – und blaues – Kraftwerk

close

Kommentare

Andreas Konrad 11.04.2024 21:35
Da hat sich einer monatelang mit einer ästhetischen Lösung bestehender Solarpaneel - Fassaden befasst. Das Ergebnis ist nicht der Ende des Weges, aber das beharrliche Forschen zeigt, dass für Gestalter ein weites Feld aufgetan ist. Ein Kompliment an die Beharrlichkeit des Büros, den Versuch nicht aufzugeben, grüne Energie nicht allein den Ingenieuren und Politikern zu überlassen. Sondern sie als freudvolles Forschen zu verstehen, immer bereit, gegebene Konventionen über den Haufen zu werfen.
Kommentar schreiben