Vom Bauerndorf zum Industriestandort

Mit der Entdeckung des Salzvorkommens von 1836 beginnt die Entwicklung von Pratteln. Prägend sind auch der Anschluss ans Verkehrsnetz sowie die wachsende Wirtschaft und Bevölkerung.

Fotos: Christian Aeberhard
In Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Landschaft und der Gemeinde Pratteln

Mit der Entdeckung des Salzvorkommens von 1836 beginnt die Entwicklung von Pratteln. Prägend sind auch der Anschluss ans Verkehrsnetz sowie die wachsende Wirtschaft und Bevölkerung.

Das Dorf Pratteln liegt am Fusse des Adlerbergs auf einer Terrasse, leicht erhöht über der Rheinebene. Die Gemeinde wird durch zwei Flüsse begrenzt: im Osten durch die Ergolz, im Norden durch den Rhein. Sie liegt – rund zehn Kilometer südöstlich von Basels Innenstadt – von jeher an wichtigen Durchgangsstrassen, die von Basel in Ost-West-Richtung über den Bözberg nach Zürich und in Nord-Süd-Richtung über die Jurahöhen ins Mittelland führen.

Pratteln gehörte im Mittelalter zur Herrschaft der Herren von Eptingen. Davon zeugt das ehemalige Wasserschloss inmitten des Dorfes. 1521 kaufte die Stadt Basel die Herrschaft. Seit der Trennung vom Kanton Basel im Jahr 1832 ist Pratteln eine Gemeinde des Bezirks Liestal im Kanton Baselland. Die Bevölkerung von Pratteln zählte im Jahr 1870 1613 Personen, 2020 waren es 16 686. Sie wuchs innert 150 Jahren um den Faktor 10, die Bevölkerung des Kantons Baselland hingegen nur um den Faktor 5 und jene der Schweiz um den Faktor 3. Die Segmentierung dieser Entwicklung zeigt auf, dass Prattelns Wachstum in den beiden Phasen 1888–1930 und 1960–1970 überdurchschnittlich, dagegen 1970–2010 unterdurchschnittlich war. Dies lässt sich mit den Besonderheiten der Prattler Wirtschaftsentwicklung erklären.

Salz für die Chemiefabriken
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Gemeinde landwirtschaftlich geprägt. Anders als in den oberen Teilen des Baselbiets, wo im 18. und 19. Jahrhundert etwa ein Drittel der Haushalte von der Seidenbandproduktion in Heimarbeit – der sogenannten Posamenterei – lebte, blieb diese frühe Form der Industrialisierung in Pratteln marginal. Besonders viel Rebbau wurde betrieben, um 1860 waren es rund fünfzig Hektar – heute sind es knapp sieben.


Pratteln, um 1970. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz/Werner Friedli

Die erste Phase der Industrialisierung fand 2,5 Kilometer nördlich des Dorfzentrums, in der Rheinebene, statt. Das Gebiet teilen sich die Gemeinden Muttenz und Pratteln. 1836 entdeckte der deutsche Unternehmer Carl Christian Friedrich von Glenck (1779–1845) auf Muttenzer Gebiet ein grosses Salzvorkommen. Wegen Differenzen mit dem Grundeigentümer richtete er im folgenden Jahr die Saline in der Gemeinde Pratteln ein. Das Gebiet erhielt den Namen ‹Schweizerhalle› und versorgt bis heute zu einem grossen Teil die Schweiz mit Salz. In den folgenden Jahrzehnten entstanden in der unmittelbaren Nachbarschaft chemische Fabriken, die Farben für die Textilindustrie oder Salz- und Salpetersäure herstellten.

In den Jahren 1854–1858 errichtete die Schweizerische Centralbahn die Eisenbahnlinie von Basel nach Olten. 1872 wurde die Saline Schweizerhalle ans Bahnnetz angeschlossen, und 1875 baute die Nordostbahn von Pratteln aus die Bahnlinie durch den Bözberg nach Brugg. Damit war die logistische Voraussetzung für die zweite Phase der Industrialisierung Prattelns geschaffen, die 1888 in der Umgebung des vom Dorfkern etwas abgesetzten Bahnhofs mit der Ansiedlung einer Zichorienfabrik einsetzte.

Fabriken im Bahnhofquartier
Bis um 1900 wurden im Bahnhofquartier in kurzer Zeit eine Filiale der Liestaler Zementwarenfabrik Brodtbeck, die Maschinen- und Metallbaufabrik Buss, eine Verzinkerei, ein Kohlensäurewerk (die spätere Rohner AG) sowie eine Parkett- und Holzwollfabrik errichtet. Ab dem Jahr 1904 ergänzte die Elektrifizierung den Dampfantrieb und ermöglichte weitere Produktivitätssteigerungen. Der deutsche Waschmittelproduzent Henkel erstellte eine Produktionsstätte, und die Coop-Vorgängerin VSK Basel baute ihr Zentrallager. Um die räumliche Entwicklung zu steuern, wies die Gemeinde den Industriebauten im ersten Siedlungsplan von 1925 das Gebiet nördlich der Tramlinie Pratteln–Basel zu.

In der Zwischenkriegszeit errichteten die US-amerikanische Pneufabrik Firestone, die Metallverarbeiter Metallum und Rohrbogen sowie die Schweizerische Teerindustrie AG (STIA) grosse Fabrikationsbetriebe. Nach 1945 folgten die Schindler Waggon AG und die Kranfabrik Rüegger / Mars-Uto. Gleichzeitig entstanden kleine und mittlere Betriebe in grosser Zahl. Haupttreiber dieser rasanten Entwicklung Prattelns zum grössten Industrieort des Kantons war die hervorragende Erschliessung Prattelns für den Güter- und Personentransport, die 1922 durch die Tramverbindung nach Basel und 1969 durch die Autobahn N2/N3 ergänzt wurde.

Bevölkerungs- und Raumentwicklung
Die Zunahme und Vergrösserung der Industrieunternehmen waren nur durch den Zuzug von Arbeitnehmenden und ihren Familien möglich, sowohl aus der übrigen Schweiz als auch aus dem Ausland. Der Ausländeranteil Prattelns erreichte 1910 15,5 Prozent und bis 1960 18,0 Prozent. In den beiden Weltkriegen ging er jeweils stark zurück. Der Zuzug von Familien aus der übrigen Schweiz nach Pratteln wird – neben der Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern – durch die starke Zunahme der nicht-reformierten schweizerischen Bevölkerung bis 1960 auf 34 Prozent dokumentiert (1910: 15,3 Prozent). Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Pratteln eine stürmische Wachstumsphase, die sogar noch jene des Kantons Baselland übertraf. Zwischen 1950 und 1970 stieg die kantonale Bevölkerung um 95 Prozent und jene Prattelns gar um 120 Prozent. Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung wuchs 1980–2010 trotz stagnierender Bevölkerungszahl von 24 auf 37 Prozent, 2020 waren es 42 Prozent.


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Das Siedlungsbild veränderte sich grundlegend. Ein für das Baselbiet pionierhafter kommunaler Zonenplan versuchte 1956 mit sieben verschiedenen Arten von Bauzonen das ungestüme Wachstum in geordnete Bahnen zu lenken. Nach 1960 legten sich innert weniger Jahre die Gesamtüberbauungen Gehrenacker Ost, Stockmatt, Rankacker / Neusatz und Buholz um den Dorfkern sowie in der Rheinebene in der Nachbarschaft von Augst die Längi. In diesem Aussenquartier fanden viele Zuwanderinnen und Zuwanderer aus der Schweiz und dem Ausland eine neue Heimat, die eine Anstellung in der stark expandierenden Chemieindustrie in Basel und in Schweizerhalle annahmen. Pratteln bot preiswerten Wohnraum an, der für Familien mit einem schmalen Budget attraktiv war.

Die wirtschaftliche Entwicklung
1973 erreichte die Bevölkerung von Pratteln einen vorläufigen Höchststand von 16 628 Personen, rund 3000 von ihnen lebten im Ortsteil Längi. Durch die folgende Wirtschaftsrezession verlor die Gemeinde mehr als tausend Einwohnerinnen und Einwohner. Firestone als grösster Arbeitgeber entliess 1978 auf einen Schlag 620 seiner 837 Arbeitnehmenden und stellte die Produktion ein. Im Vorjahr hatten die Kantons- und Bundesbehörden mit der Firmenleitung in Akron, Ohio, noch einen Sanierungsplan verhandelt, vergeblich. Diese Erfahrung, dem Wohl und Wehe der Unternehmen schutzlos ausgeliefert zu sein, war der Ausgangspunkt für die Verabschiedung eines kantonalen Wirtschaftsförderungsgesetzes im Jahr 1980.

Es folgte in Pratteln eine Zeit der wirtschaftlichen Stagnation. Ein tiefgreifender Strukturwandel setzte ein. Grosse Industrieunternehmen wurden stillgelegt, oder sie kollabierten. Der Tiefpunkt war 2005 mit der Schliessung des Bombardier-Werks erreicht, in dem seit sechzig Jahren unter den Besitzern Schindler Waggon, ADtranz und Bombardier Eisenbahnwagen produziert worden waren. 520 Arbeitsplätze gingen verloren. Die Bevölkerungszahl sank auf 14 976 Personen. Bald jedoch drehte die wirtschaftliche Entwicklung wieder in die positive Richtung. Ein neuer Besitzer entwickelte das Buss-Areal, das nun von Dutzenden Kleinunternehmen besiedelt wurde. Im 2006 errichteten Triago-Bürokomplex liessen sich internationale Firmen wie Schindler Aufzüge und Henkel nieder, ein Jahr später erstellte das Transportunternehmen Planzer ein grosses Lagerhaus. Die STIA (heute SI Group) wandelte sich von der Teerproduzentin zur Chemieunternehmerin. Im Gewerbegebiet entstanden Einkaufszentren sowie Handels- und Logistikfirmen mit vielen neuen Arbeitsplätzen, und auch das Möbelhaus Ikea konzentrierte die europäische Logistik in Pratteln.


* Matthias Manz (69) ist Historiker und lebt in Zürich. 1987–2000 war er Staatsarchivar des Kantons Basel-Landschaft. 1982–1990 wohnte und politisierte er in Pratteln. 2020 publizierte er zusammen mit René Salathé das Buch ‹Pratteln an der Schwelle zur Moderne›, erschienen im Verlag des Kantons Basel-Landschaft.

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