Salina Raurica – quo vadis?

Um die Entwicklung der Rheinebene wird seit vielen Jahren gerungen. Nach dem Aus für die Tramlinie nach Basel werden neue Perspektiven erarbeitet.

Fotos: Christian Aeberhard
In Zusammenarbeit mit dem Kanton Basel-Landschaft und der Gemeinde Pratteln

Um die Entwicklung der Rheinebene wird seit vielen Jahren gerungen. Nach dem Aus für die Tramlinie nach Basel werden neue Perspektiven erarbeitet.

Wer vom Dorfzentrum Pratteln her das Gebiet von Salina Raurica erreichen will, hat zuerst die Bahnlinie und die Autobahn zu queren – sowie neuerdings auch die Rauricastrasse, die Verbindungsstrasse zwischen Augst und Schweizerhalle. Der mächtige Verkehrsriegel trennt das traditionelle Siedlungsgebiet von der Ebene des Rheins. Doch jenseits der laut Statistik am stärksten frequentierten Autobahnachse der Schweiz und den Bahngleisen weitet sich der Blick. Er schweift über weite landwirtschaftlich genutzte Flächen, Industriebauten und Brachen bis zur bewaldeten Böschung, hinter der man den Fluss ahnt.

Zwei Störche auf Futtersuche staksen über ein abgeerntetes Feld. Auf einer Parzelle bewegen Bagger grosse Erdmassen. Die geschützten Kreuzkröten, die sich zwischenzeitlich in der ehemaligen Grube ausgebreitet hatten, wurden nach Muttenz umgesiedelt. Nun soll das Gebiet fit gemacht werden für künftige Firmenansiedlungen sowie Grün- und Freiraumstrukturen. Der Weg führt weiter, an der Abwasserreinigungsanlage und verschiedenen Logistikzentren vorbei über die Rheinstrasse bis zum neu gestalteten Bushof zwischen Augst und dem Prattler Längi-Quartier. Die Siedlung mit in die Jahre gekommenen Wohnblöcken und einer Schule, die soeben frisch saniert wurde, stammt aus den 1960er-Jahren, als Pratteln ein starkes Wachstum verzeichnete. Gefühlt gehört das Gebiet eher zur Gemeinde Augst, deren Dorfzentrum in Gehdistanz liegt. Seit 2008 ist das Quartier durch die S-Bahnstation Salina Raurica erschlossen. Hier, am genannten Bushof ‹Augst Stundeglas›, wäre auch die Endstation der über die Rheinebene verlängerten Tramlinie gebaut worden, die Basel bereits heute mit Pratteln verbindet. Ein Millionenprojekt, das der baulichen Entwicklung des rund neunzig Hektar grossen Gebiets zwischen Schweizerhalle und Augst hätte Schub verleihen sollen.

Doch dazu kommt es nicht, zumindest vorläufig nicht: Im Sommer 2021 lehnte die Stimmbevölkerung des Kantons Basel-Landschaft den Planungskredit für die Tramverlängerung mit grosser Mehrheit ab. Mobilisiert hatte vor allem die Aktionsgruppe ‹Aapacke›, die sich für den Erhalt des noch bestehenden Grünraums in der Gemeinde Pratteln engagiert und das Referendum ergriffen hatte. «Die einst für die Industrie reservierten Flächen von Salina Raurica sind zum Glück bis heute unbebaut – das soll auch in Zukunft so bleiben», wünscht sich die ehemalige Prattler Gemeinderätin Denise Stöckli, Mitgründerin der Aktionsgruppe. Mit der Absage an das Tram habe die Bevölkerung deutlich auch die Überbauung des Gebiets negiert. Zudem habe sich die Situation in Pratteln seit der ersten Planung verändert: «Um den Bahnhof ist viel am Entstehen.» Die Gemeinde werde in den nächsten Jahren auch ohne neue Überbauungen in Salina Raurica enorm wachsen. «Umso wichtiger wäre es, die noch unbebauten Grünflächen für künftige Generationen zu erhalten.»

Für Thomas Waltert, den Kantonsplaner von Basel-Landschaft, greift diese Argumentation zu kurz. Das bestens erschlossene Bauland liege mitten in der trinationalen Metropolregion Basel mit einem Einzugsgebiet von rund 800 000 Menschen. «Salina Raurica ist so sehr Teil eines grösseren Ganzen, dass man sagen muss: Solche Lagen dürfen auch überproportional wachsen, weil sie wichtige Aufgaben für eine ganze Region übernehmen.»

Planungswettbewerb und Spezialrichtplan
In der Rheinebene hat man bereits im 18. Jahrhundert Kies, Grien und Gips abgebaut. Mit der Entdeckung der Salzvorkommen und der Gründung der Saline Schweizerhalle wurde 1837 der Grundstein für die Basler Chemie gelegt, die sich in der Folge rasant entwickelte. Damit die boomende Industrie entlang des Rheins über genügend Reserveflächen verfügen konnte, wurde die Schwemmebene von Schweizerhalle bis zum heutigen Längi-Quartier in den 1960er-Jahren zur Industrie- und Gewerbezone deklariert. Als sich dreissig Jahre später abzeichnete, dass die Chemie diese Parzellen nicht im erwarteten Umfang beanspruchen würde, prüfte man alternative Nutzungen. Zur Debatte stand unter anderem der Bau einer grossen kantonalen Kehrichtverwertungsanlage.


Die schweizweit bekannte Autobahnraststätte Pratteln Nord.

Schon damals gab es aber auch Stimmen, die für den Erhalt der Grünflächen plädierten: Im Jahr 1987 verlangte die Volksinitiative ‹Denkpause› ein zehnjähriges Bau-Moratorium für noch nicht beplante Flächen in Pratteln, das allerdings 1996 an der Urne abgelehnt wurde. In der Folge erklärte der Regierungsrat die Rheinebene zwischen Pratteln und Augst zum Entwicklungsgebiet mit den «besten Standortqualitäten des Kantons für Arbeiten, Wohnen, Wissen, Erleben am Rhein» und taufte sie auf den illustren Namen ‹Salina Raurica›; ein historisch geprägtes Vermarktungslabel aus Salzabbau und Römerzeit.

Um eine Leitidee für das gesamte Gebiet zu entwickeln, wurde ein Planungswettbewerb ausgeschrieben, den a.e.v.i mit dem Entwurf ‹Meile am Rhein› für sich entschied. Die Vorschläge aus dem Siegerprojekt wurden daraufhin weiterentwickelt. Sie dienten als Basis für den Spezialrichtplan Salina Raurica, der 2009 verabschiedet wurde und seither behördenverbindlich in Kraft ist. Ein guter und wichtiger Schritt, wie Thomas Waltert betont: «Auch wenn heute vieles noch nicht umgesetzt ist, zeigt die Vision Wirkung. Ohne den Spezialrichtplan wäre Salina Raurica heute wohl mit banalen Gewerbebauten aufgefüllt – dank ihm bleibt das Areal weitgehend ein Möglichkeitsraum für kommende Generationen.»

Nutzungsplanung und Quartierplanpflicht
Basierend auf dem Spezialrichtplan sollte Salina Raurica innerhalb von zwanzig Jahren zu einem attraktiven, konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandort entwickelt werden. Um die erhoffte Entwicklung zu befördern, bewilligte das Kantonsparlament bereits 2009 einen Kredit von 21 Millionen Franken. Damit sollen Schlüsselprojekte vorangetrieben und mit Infrastrukturmassnahmen die Rahmenbedingungen für künftige Investoren verbessert werden – etwa die Verlegung der Kantonsstrasse vom Rhein an die Autobahn, die Umsiedlung der Kreuzkröten oder die Sicherung der Trasse für einen Tramkorridor. Im Spezialrichtplan wurden den verschiedenen Teilen auch unterschiedliche Nutzungskategorien zugeschrieben: Während die Parzellen westlich der Abwasserreinigungsanlage weiterhin für das Gewerbe und die Industrie zur Verfügung stehen, sollen im Osten des Areals auch gemischte Zonen mit Gewerbe, Wohnungen und einem Quartierpark entstehen.

Auf einer Fläche von rund 31 Hektar wurden zu diesem Zweck frühere Industrie- und Gewerbezonen in eine sogenannte Zone mit Quartierplanpflicht umgewandelt. Im Auftrag des Kantons erarbeitete der Immobilienentwickler Losinger Marazzi zusammen mit Hosoya Schäfer Architekten einen Rahmenplan. Das Siedlungsgebiet Salina Raurica Ost sollte Unterkünfte bieten für 2000 neue Bewohner und ebenso viele Arbeitsplätze. Die revidierte Nutzungsplanung wurde 2016 vom Einwohnerrat beschlossen und 2017 vom Regierungsrat genehmigt.

Salina Raurica neu denken
Als Folge der verlorenen Tram-Abstimmung wurde die Planung für das Gebiet Salina Raurica Ost bis auf Weiteres sistiert. Gleichzeitig brachte die Gemeinde das Räumliche Entwicklungskonzept (REK) auf den Weg, mit dem Ziel, die Bevölkerung in die planerische Entwicklung einzubeziehen. «In den Mitwirkungsveranstaltungen wurden die Rheinebene und Salina Raurica nicht ausgespart», sagt Gemeindepräsident Stephan Burgunder. «Die Gemeinde hat bewusst alle Gruppierungen eingeladen, und viele waren auch anwesend.» Die aufgezeigten Perspektiven seien auf Zustimmung gestossen, man habe die Aussagen zu Salina Raurica schrittweise vertieft und erneut zur Diskussion gestellt – «mit deutlich positiver Resonanz». Stephan Burgunder und Thomas Waltert betonen, dass mit der Entwicklung von Salina Raurica die Freiraumqualitäten des Gebiets verbessert würden: Dank der Verlegung der Kantonsstrasse vom Rhein auf die neue Rauricastrasse, die parallel zur Autobahn verläuft, könne die Rheinstrasse zu einer attraktiven Verbindung für den Velo- und Fussverkehr umgestaltet werden. Mit dem Rheinpark, der Verbindungen zum Wasser schaffen soll, sowie dem geplanten Längipark in Salina Raurica Ost will man die verbleibenden Grünflächen aufwerten. «Damit Wohnen und Arbeiten in Salina Raurica künftig attraktiv wird, braucht es eine entsprechende Freiraumgestaltung», sagt Kantonsplaner Waltert. Diesbezüglich sieht er auch für die Planung von Salina Raurica Ost noch Verbesserungspotenzial: «Mit dem REK haben wir eine zweite Chance erhalten. Statt des bisher vorgeschlagenen gelockerten Blockrands wäre der Einbezug neuer Siedlungsideen sinnvoll – etwa, dass künftige Wohn- und Gewerbeliegenschaften höher gebaut werden, um mehr Grün- und Freiraum zu ermöglichen.»

Korrekturen und Perspektiven
Ob und wann Salina Raurica damit die Investoren und die Firmen mit dem gewünschten hohen Wertschöpfungsprofil anzuziehen vermag, steht noch in den Sternen. Seit der Grossverteiler Coop 2016 seine neue Produktionszentrale LOBOS mit 600 Arbeitsplätzen im Westen von Salina Raurica eröffnete, hat sich nämlich nicht mehr viel bewegt. Der 2018 von Elektra Baselland (EBL) angekündigte Bau des «grössten E-Mobility-Hubs Europas» ist nach wie vor Zukunftsmusik, und die Hoffnung, dass sich der Biochemiekonzern Bachem in Salina Raurica niederlässt, zerschlug sich im Herbst 2022. Trotzdem bleibt Thomas Waltert optimistisch: «Im westlichen Teil von Salina Raurica sind aktuell drei grosse Ansiedlungen im Gespräch. Mit der Fertigstellung der Erschliessung, die voraussichtlich Ende 2023 erfolgt, ist ein grosser Teil von Salina Raurica West parat.» Wichtig sei ihm aber nicht in erster Linie eine schnelle Entwicklung, sondern die Qualität der Bauten, die Schaffung von attraktiven Arbeitsumgebungen, der Zugang zum Rhein für die Bevölkerung sowie, aus fiskalischer Sicht, die Ansiedlung von Firmen im Baselbiet.

Trotz der Sistierung von Salina Raurica Ost dürfte sich auch im Osten des Gebiets in den kommenden Jahren einiges bewegen, vorerst wohl auf Augster Boden: Dort soll mit der Siedlung ‹Gallisacher Ost› ein attraktives Wohnquartier in unmittelbarer Nähe zum Rhein gebaut werden. Um die Mobilität für die Arbeitsplätze und die neuen Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten, muss der öffentliche Verkehr ausgebaut werden.

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