Material – wenig verbauen, wieder verwerten

Setze auf Massivholz, betoniere sparsam und denke an den Rückbau: zehn Klimatipps rund um Beton, Holz, Mauerwerk, Naturstein, Lehm, Dämmung, Recycling und Wiederverwendung.

Fotos: Andrin Winteler

Setze auf Massivholz, betoniere sparsam und denke an den Rückbau: zehn Klimatipps rund um Beton, Holz, Mauerwerk, Naturstein, Lehm, Dämmung, Recycling und Wiederverwendung.

 

15 Beton: Das Baumaterial der Welt

So wenig wie nötig, lautet die Devise einmal mehr. Für viele Konstruktionen ist Stahlbeton allerdings unverzichtbar, angefangen im Tiefbau. Wo besonders hohe Kräfte wirken, ist er das Material der Wahl – auch aus Klimasicht. Andere Baustoffe stossen pro Tonne Lastabtrag in der Regel mehr CO2 aus. Mit einer effizienten Tragstruktur und wenigen Untergeschossen lässt sich der Anteil reduzieren. Doch Beton hat einen weiteren Vorteil: Er ist so gut wie überall auf der Welt verfügbar. Weil das Material omnipräsent ist im Bauen, wirkt sein Klimahebel entsprechend stark.

Wer betoniert, sollte gut überlegen, womit. Ins Gewicht fällt – neben der Armierung – vor allem der Zement, dessen Herstellung rund acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursacht, die der Mensch bewirkt. Bauingenieure sollten den Zementanteil minimieren, unter anderem dank geringen Kräften und einer guten Mischung der Zuschlagstoffe. Und sie sollten CO2-armen Beton wählen, dessen Zement mit weniger Klinker gebrannt wird. Die Variante ‹CEM III/B› reduziert die CO2-Emissionen um bis zu 25 Prozent, ‹LC3›-Zement verspricht sogar eine Einsparung von 30 bis 40 Prozent. Auch Karbonbeton kann helfen; er enthält zwar mehr CO2 pro Tonne, kann aber bis zu vier Mal schlanker ausgeführt werden. Laut einer Studie der ETH und der EPFL könnte die Betonindustrie die CO2-Emissionen bis 2050 um bis zu achtzig Prozent verringern, verglichen mit 1990, wenn von der Zementwahl bis zur Tragstruktur angesetzt würde. Und dies, ohne die Normen anzupassen.
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16 Recyclingbeton: Eine Ressourcen-, keine Klimafrage

Mit Recyclingbeton lässt sich die Weste nicht reinwaschen. Das Material schont die Ressourcen und die Landschaft, hilft aber nicht gegen die Klimakrise. Recyclingkiessand und Granulat von Beton oder Mischabbruch aufzubereiten, braucht etwa gleich viel Energie wie bei Primärmaterial. Und da rezyklierte Zuschlagstoffe nicht ganz so rein sind, benötigen sie teilweise sogar mehr Zement. Mit neuer Technik könnte sich dies ändern. Ausser dort, wo sehr hohe Festigkeiten gefragt sind, sollte man trotzdem auf Recyclingbeton setzen, solange er aus einem Umkreis von maximal fünfzig Kilometern kommt.



17 Holz: So wenig Leim wie möglich

Holz leistet einen zentralen Beitrag zum Schweizer Klimaziel. Das Material reduziert die CO2-Bilanz bei den meisten Konstruktionen entscheidend, allerdings gehen die Zahlen auf Gebäudeebene auseinander, und wir begeben uns auf ein ideologisches Minenfeld. Eine ETH-Studie spricht von einer 25 Prozent geringeren Klimabelastung als bei einem Massivbau, Energie Schweiz rechnet nur mit rund 5 Prozent weniger grauer Energie. Erstens sind Bauweisen schwierig vergleichbar, zweitens hängt davon nur ein Viertel der grauen Energie eines Hauses ab. Unbestritten sind die Vorteile des geschlossenen Kreislaufs des nachwachsenden Materials. Architekten sollten also wenn möglich mit Holz bauen, solange der Baustoff regional verfügbar und nachhaltig angebaut wird wie hierzulande. Global gesehen ist das jedoch oft nicht der Fall. Zudem wachsen schlicht nicht genug Bäume in den Himmel, um den Materialhunger der Welt zu stillen.

Holz ist nicht gleich Holz. Massivholz schneidet am besten ab, weil es nicht aufwendig verarbeitet wird und keine zusätzlichen Stoffe zum Einsatz kommen. Bindemittel können bei Holzwerkstoffen bis zu sechzig Prozent der grauen Energie ausmachen. Als Faustregel gilt: Je stärker zerkleinert, desto mehr Bindemittel ist nötig. Die graue Energie von sägerauem, luftgetrocknetem Schnittholz ist zehn Mal niedriger als zum Beispiel von MDF-Platten. Auch der Transport schenkt ein: In Holzprodukten aus fernen Ländern wie Kanada oder Russland steckt bis zu einem Drittel mehr graue Energie.

Ein Holzbau ist nicht klimaneutral. Einerseits besteht er nicht nur aus Holz, andererseits verursacht dessen Verarbeitung je nach Energiequelle Treibhausgase. Betrachtet man hingegen nur den Holzkreislauf, wirkt das Bauen temporär CO2-negativ, weil es das Material dem natürlichen Zyklus besonders lange entzieht und uns so Zeit verschafft. Die meisten Ökobilanzdaten berücksichtigen diesen Effekt nicht, weil das Klimagas beim Abbruch wieder freigesetzt wird. Doch die Zukunft ist ungewiss, der Beitrag heute hingegen real messbar: Laut einer Studie des Bundesamts für Umwelt könnte Bauholz in der Schweiz pro Jahr bis zu 2,5 Millionen Tonnen CO2 binden, was rund fünf Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen entspricht. Ein Baum braucht allerdings Jahrzehnte, bis er gefällt und verbaut werden kann. Baustoffe wie Bambus, die extrem schnell nachwachsen, könnten auf globaler Ebene noch wirksamer sein, da der natürliche Zyklus wesentlich rascher läuft als der technische.
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18 Mauerwerk: Es kommt auf den Stein an

Eine Backsteinwand ist die klimafreundlichere Alternative zu einer Betonmauer, wenn die Statik, der Brand- und der Schallschutz keine hohen Anforderungen stellen. Der Leichtbau – vor allem aus Holz – schneidet allerdings nochmals deutlich besser ab. Auch bei den Mauersteinen gibt es Unterschiede. Energie Schweiz empfiehlt im Ratgeber ‹Graue Energie von Neubauten›, statt Backstein besser Kalksandstein oder Zementsteine zu verwenden, weil darin bis zu drei Mal weniger Energie steckt. Beim Zementstein wird nur der Zement gebrannt, Kalksandstein wird bei 200 Grad getrocknet. Einen Backstein brennt man bei rund tausend Grad. Mehr Masse und mehr Hitze heisst: mehr CO2.

Zweischalige Mauerwerke sind nicht die erste Wahl. Die wahrgenommene Wertigkeit korrespondiert mit den grauen Emissionen. Generell gilt das Gebot der kurzen Distanzen: Verwende keinen Backstein aus Dänemark oder Norddeutschland. Sie bereichern zwar dein Projekt, aber auch deine Klimabilanz. Die Wiederverwertung ist bei Backstein etwas eingeschränkt. Anders als Vollsteine früher können die meisten Backsteine heute nicht mehr als Ganzes wiederverwendet werden, weil sie schnell kaputt gehen oder die Bearbeitung zu aufwendig ist. Und Granulat aus Mischabbruch hat nicht dieselbe Qualität wie solches von rezykliertem Beton. Wer hingegen hochwertige Steine verbaut und sie möglichst nicht vermörtelt oder verklebt, erhöht die Chancen für die Wiederverwendung.
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19 Naturstein: Die Kraft der Geologie

Sandstein, Quarzit oder Granit haben eine gute Klimabilanz, vorausgesetzt, sie stammen nicht vom anderen Ende der Welt, denn der Transport macht bis zur Hälfte des ökologischen Fussabdrucks aus. Die Energie für die Herstellung lieferte die Natur über Jahrmillionen – ganz ohne Treibhausgasemissionen. Doch die Anwendungen für Naturstein sind wegen der hohen Kosten limitiert, abgesehen von privaten Luxusfreuden. Als Belag für Plätze oder Verkleidungen für den Sockel ist Naturstein aber eine gute Alternative. Vorgehängte Steinplatten setzen allerdings eine aufwendige Unterkonstruktion voraus, weil sie schwer und relativ dick sind. Das verschlechtert ihre Treibhausgasbilanz.
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20 Lehm: Eine Nische mit Potenzial

Stampflehm ist in aller Munde, wenn es um klimagerechtes Bauen geht. Das Material ist vor Ort verfügbar und wird nicht gebrannt, ergo ist es so gut wie klimaneutral. Seine Stärken kann Lehm ausspielen, wo die Kräfte gering sind, zum Beispiel für nichttragende Mauern oder als thermische Masse in Holzbauten. Lehm kann zudem das Raumklima regulieren und so helfen, die Haustechnik zu minimieren.

Allerdings gibt es einige Fallstricke zu beachten. Weil Lehm nicht wasserfest ist, wird er oft mit Zement stabilisiert, was die Treibhausgasbilanz erheblich verschlechtert und die Wiederverwertung erschwert. Wer mit Lehm baut, muss den Zementanteil deshalb möglichst auf null reduzieren. Weil die Mauern dick werden, kommt das Material für die Primärstruktur bei mehrgeschossigen Bauten an seine Grenzen. Lehm ist zudem arbeitsintensiv, weshalb er in der Schweiz bisher in einer Nische blieb. Neue Verarbeitungstechniken wie jene der Start-ups Oxara (Lehmbeton) oder Terrabloc (Erdziegel) könnten dies ändern. Das Potenzial des wiederentdeckten Baustoffs ist noch lange nicht ausgeschöpft und könnte insbesondere im globalen Süden einen wesentlichen Beitrag leisten.
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21 Dämmung: Nicht zu viel und möglichst leicht

Ab einer Stärke von etwa zwanzig Zentimetern kommt die Wärmedämmung an die Grenzen der Physik und der Klimarechnung, sofern nicht fossil geheizt wird. Mit jedem weiteren Zentimeter stehen Materialaufwand und Isolationsertrag in einem schlechteren Verhältnis, zeigt ein Bericht des Bundesamts für Energie. Die Dämmung kann je nach Fassadenaufbau bis zur Hälfte der grauen Treibhausgase einer Aussenwand ausmachen. Bei energetischen Sanierungen fällt die Isolation deutlich stärker ins Gesamtgewicht. Dichte Dämmstoffe enthalten mehr graue Energie, und sie dämmen oft schlechter als leichte. Entscheidend ist deshalb unabhängig vom Material der Fassadenaufbau: Steinwolle in einer Ständerkonstruktion enthält fast vier Mal weniger graue Energie, als wenn sie als Putzträger an der Fassade verbaut wird.

Die Treibhausgase einer Isolation müssen in Bezug zur Dämmwirkung stehen, was Vergleiche erschwert. Das Buch ‹Nachhaltig konstruieren› aus dem Detail-Verlag empfiehlt nachwachsende Dämmstoffe, die CO2 binden, zum Beispiel Hanf, Flachs, Kork, Zellulose oder Holzfaserdämmplatten. Relativ gut schneidet auch Mineralwolle ab, obwohl sie bereits doppelt so viel graue Energie pro Quadratmeter enthält wie Zelluloseflocken. Manche Fachleute wehren sich generell gegen kunststoffbasierte Dämmungen, eine der verbreitetsten Isolationen, die für manche Details unabdingbar sind. Eine postfossile Architektur dürfe kein Erdöl enthalten, so das Argument. Das geschäumte Öl könnte in dreissig Jahren zum klimatechnischen Sondermüll werden, wenn es im Netto-Null-Jahr 2050 oder später entsorgt wird.
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22 Recycling: Der Beitrag von Urban Mining

Die Wiederverwertung ist eine Ressourcenfrage und nicht per se ein Klimathema, wie das Beispiel Recyclingbeton zeigt. Bei Metallen verursacht Recycling allerdings markant weniger Treibhausgase, weil die graue Energie wesentlich von der Aufbereitung des Ursprungsstoffs abhängt, etwa wenn Eisenerz zu Roheisen umgewandelt wird. Sekundärstahl halbiert den CO2-Ausstoss und kommt im Bauen oft zum Einsatz. Armierungseisen bestehen aus Schrott. Für Träger und Profile wird praktisch nur rezyklierter Stahl verwendet. Bei Blechen liegt der Anteil hingegen nur bei rund einem Drittel.

Kreislauf-Plattformen wie Madaster helfen, den Überblick über verbaute Stoffe zu bewahren. ‹Cradle to Cradle›-Zertifikate zeigen, welche Produkte sich gut rezyklieren lassen. Künftig wird vieles wiederverwertet, was heute noch verbrannt wird. Eine ETH-Studie geht davon aus, dass die Schweizer Bauindustrie den Materialzufluss bis 2035 fast halbieren wird, während sich die Abflüsse verdoppeln. 2055 sollen Zu- und Abflüsse im Gleichgewicht sein, womit sich der Stoffkreislauf schliessen liesse. Architekten sollten deshalb so konstruieren, dass sich die Baustoffe sortenrein trennen lassen. Also schrauben, stecken, klemmen und nicht kleben, giessen oder mörteln. Eingelegte Bauteile sind die Bausünden von morgen.
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23 Wiederverwenden: Ein zweites Leben ohne CO2

Wer Bauelemente wiederverwendet, verliert im Unterschied zum Recycling gar keine graue Energie. Ein Stahlskelett, das ein zweites Mal verbaut wird, verursacht nur noch ein Zehntel der Treibhausgase. Allerdings müssen die Bauteile transportiert, angepasst, geprüft und bewilligt werden. Zudem darf man die Gesamtbilanz nicht aus den Augen verlieren: Ein altes Fenster spart zwar graue Energie, verpufft aber mehr Betriebsenergie, weil es schlechter isoliert als ein neues. Und solange Menschheit wie Wohlstand wachsen und also insgesamt mehr gebaut als abgebrochen wird, ist das Potenzial zum Wiederverwenden auf globaler Ebene beschränkt.

Für die Wiederverwendung taugen vor allem Bauteile, die sich einfach ausbauen und transportieren lassen. Insbesondere bei Bürobauten, die häufiger erneuert werden als Wohnhäuser, ist es sinnvoll, zum Beispiel Heizkörper, Rohre oder Fassadenpaneele ein zweites Mal zu nutzen. Vorfabrizierte Elemente sind prädestiniert. Bei der Struktur eignet sich vor allem der Stahlbau, da darin viel Energie steckt und er auf Elementen basiert. Bauteilbörsen wie bauteilclick.ch, salza.ch und wiederverwendung.ch helfen, Anbieter und Abnehmer kurzzuschliessen.
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24 Inneneinrichtung: Wenig Masse, wenig Einfluss

Die Hebel sind gross, wo viel Masse bewegt wird. Die mobilen Ausstattungen und das Mobiliar berücksichtigt das SIA-Merkblatt zur grauen Energie deshalb nicht. Wenn der Bauherr den Innenausbau allerdings alle paar Jahre erneuert, kann dieser in der Bilanz durchaus einschenken. Um die Kalkulation zu erleichtern, lässt das Merkblatt Vereinfachungen zu: Treppen werden als durchgehende Geschossdecken und Türen als Innenwand gerechnet.

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Wie gross der Effekt ist, zeigen die null bis fünf Punkte.

33 Klimatipps für Architekten:
Editorial – postfossile Pflicht
Auftrag – hinterfrage den Bauherrn
Gebäude – die Effizienz der Kiste
Konstruktion – leicht und beständig
Material – wenig verbauen, wieder verwerten
Energie – die Kraft der Natur
Umsetzung – Material kostet wenig, Arbeit viel

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