Ludgar Hovestadt, Jakob Lange, Judit Solt (Moderation), Bijoy Jain und Richard Horden am gestrigen Swissbau-Focus zu «Arch-Tec: Entwurf und Baurealität». Verschiedene Weltbilder prallten aufeinander. Fotos: zvg

Wahrheit ist keine Ansichtssache

Unterschiedlicher hätten die Haltungen in der Swissbau-Focus-Arena kaum sein können. Gemeinsam mit Architektur Dialoge Basel hatte die Swissbau vier Redner zum Thema «Arch-Tec: Entwurf und Baurationalität» eingeladen.

Unterschiedlicher hätten die Haltungen am gestrigen Swissbau-Focus in der Arena der Basler Messe kaum sein können. Gemeinsam mit Architektur Dialoge Basel hatte die Swissbau vier Redner zum Thema «Arch-Tec: Entwurf und Baurationalität» eingeladen. In Zeiten der Nachhaltigkeits-Dauerbeschallung war absehbar, dass die Veranstaltung über Architektur und Technik letztlich hier landen würde, ja musste.

Ludgar Hovestadt, Professor für Computer Aided Architectural Design an der ETH Zürich, eröffnete als progressivster Vertreter des Bauens im weitesten Sinne. Er erklärte, die Architekt könne nicht länger auf die physische Struktur der zunehmend kleineren und drahtlosen Technologie aufbauen. Es gehe demzufolge nicht um Optimierungen, sondern um die Neuerfindung der kommenden Architektur für den Menschen mit realem und virtuellem ‹double life›.
Weniger abstrakt zeigte sich Jakob Lange von der Bjarne Ingels Group (BIG) aus Kopenhagen. Er stellte die bekanntesten Projekte des Architekturbüros vor und propagierte sein Konzept der ‹hedonistischen Nachhaltigkeit›. Man müsse Probleme lösen und Ansprüche erfüllen. Diese hinterfragte er als bekennender Hedonist selbstredend nicht: «Wenn ich länger warm duschen und Auto fahren möchte, muss das ohne Umweltverschmutzung möglich sein.»
Auch Richard Hordon propagierte den technologischen Ausweg aus der Öko-Krise. Der ehemalige Professor für Gebäudelehre und Produktentwicklung der TU München präsentierte sein Konzept der ‹micro architecture›. Dieses basiert auf kleinen, hochausgestatteten Räumen mit modernsten Materialien, Helikopter-Transport und postfossilen Energieträgern. Hightech-Architektur sei Materialreduktion und ein Werkzeug, um den Menschen der Natur näher zu bringen.

Die Natur war auch im Vortrag von Bijoy Jain wichtig, der mit seinem Studio Mumbai einen ‹kollektiven, konstruktiven und kreativen Dialog› lebt, dessen Resultate weltbekannt sind. Jain sprach von Kopf, Körper und Hand, davon dass er die globalisierte ‹Greenwich Main Time› mit einer universalen ‹moon time› verschmelzen möchte. Als weitere Metapher erklärte er, wie die grossen Künstler der Renaissance mit je eigenen Rottönen gezeichnet hätten. In diesen Nuancen sehe er Reichtum und Persönlichkeit. Es gehe ihm nicht um einen Konflikt zwischen Globalem und Lokalem, Mensch und Natur oder High- und Low-Tech, sondern um Antworten auf die drängenden Fragen des Jetzt, die alles davon benötigten und gewichten müssten. Er fragte, ob man dem Computer elementare Fragen überlassen könne und antwortete, dass die Antworten im Menschen selbst lägen: «Wir brauchen einen Dialog zwischen der Technik – nicht Technologie – und der Selbstständigkeit menschlicher Existenz.»

In der darauffolgenden Diskussion unter der TEC21-Chefredaktorin Judit Solt zeigte sich die Verschiedenartigkeit des Denken vor allem zwischen Hovestadt und Jain. Der Inder hatte erklärt «Ich bin Natur». Auf Nachfrage Solts verwies er etwas verdutzt auf den hohen Wasseranteil im menschlichen Körper und das offensichtliche Fehlen von Kunststoffen. Für Hovestadt kein Argument: «Der Mensch ist ein intellektuelles Wesen. Seine Beziehung zur Natur ist völlig kulturell und intellektuell. Wir kontrastieren diese und versuchen bloss, nett zu ihr zu sein.» Jain schüttelte den Kopf und sprach von Elementarem, von den fünf Sinnen des Menschen, von Zeit und Raum. Hovestadt entgegnete: «Im konzeptionellen Denken der letzten zwei Jahrhunderte haben sich Raum und Zeit aufgelöst und genau das schätze ich.» Wenig später versuchte Jain, seine Haltung mit ‹Sorgsamkeit› zu erklären, die der Mensch als Teil der Natur ihr gegenüber zeigen solle. Die Menschheit müsse ihre Verantwortung als dominante Spezies wahrnehmen, anstatt die Zukunft zu verleben. Während Richard Horden und Jakob Lange ebenfalls Ansätze von schlechtem Gewissen zeigten, sah Hovestadt die Natur als verwalt- und verwertbares Abstraktum. ‹Contracting› nenne er das. Jain perplex: «You really do?»
Die Moderatorin Judit Solt suchte eine Synthese der offenkundig verschiedenen Weltbilder und versuchte, die Unterschiede auf letzlich kulturelle und technologische Unterschiede herunter zu brechen. Doch das Thema ist fundamentaler. Die Haltungen von Ludgar Hovestadt und Bijoy Jain sind nicht beliebig einnehmbare Positionen. Es ist auch unwichtig, wieviele Personen was glauben: Wahrheit ist keine Ansichtssache!

Swissbau-Eventreport mit einer Video-Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung und Einzel-Interviews mit den vier Referenten.

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