Tram runter und durch?
Am Städtebau-Stammtisch in Zürich diskutierten Experten den Vorschlag für ein unterirdisches Tram in der Zürcher Innenstadt. Raumgewinn oder Grössenwahn? Die Meinungen gingen auseinander.
In der aktuellen Ausgabe präsentiert Hochparterre einen Vorschlag des ETH-Verkehrsprofessors Ulrich Weidmann für ein unterirdisches Tram in der Zürcher Innenstadt. Die Vision sorgte auf hochparterre.ch für einige bissige Kommentare. Auch am Städtebaustammtisch in Zürich, wo das Konzept am Mittwochabend unter der Leitung von Hochparterre Redaktor Werner Huber diskutiert wurde, zeigte sich: Das Tieftram bewegt die Menschen. Jeder Platz im Architekturforum war besetzt, einige mussten gar stehen – fast wie in der S-Bahn zur Stosszeit. Darunter waren auch einige Vertreter der Verkehrsbetriebe Zürich VBZ, die sich auf dem Podium allerdings nicht zum Thema äussern wollte. Weidmann machte zu Beginn klar: Es geht nicht primär um ein Verkehrsproblem, sondern darum, den Stadtraum aufzuwerten. Wo jetzt Trams verkehren, könnten Passanten flanieren und grosszügige Plätze entstehen.
Für Hans Naef von der GSP (Gesellschaft für Standortanalysen und Planungen) wäre dies ein grosser Gewinn. Die Bahnhofstrasse könne schon heute von der Attraktivität her nicht mehr mithalten mit den besten Einkaufsmeilen Europas. Die «blauen Wände» zerschnitten die Strasse und verunmöglichten einen gemütlichen Einkaufsbummel. Das Tram im Untergrund würde den Stadtraum wieder freispielen. Für Paul Romann, Berater für öffentlichen Verkehr bei der mrs partner ag, zählt dieses Argument allerdings nicht. Ein Grossteil der gewonnenen Fläche würden sich das Auto unter den Nagel reissen, ist er überzeugt. Der Raumgewinn wäre verpufft. Hinzu kommt für ihn ein emotionales Argument. «Ich will nicht in den Boden», so Romann. Für Patrick Gmür, Direktor des Amtes für Städtebau, ist die Fokussierung des Vorschlags auf das Zentrum zu einseitig. Der ÖV müsse stärker auf eine polyzentrische Stadt ausgerichtet werden. «Die Subzentren können die City nicht ersetzen», entgegnete ihm allerdings Naef. Dafür sei Zürich zu klein.
Neben dem räumlichen Gewinn soll das Tieftram vor allem auch zeitliche Ersparnisse bringen. Doch auch dem Argument der verkürzten Fahrzeit widerspricht Romann. Die langen Zugänge in den Untergrund würden den Zeitgewinn wieder wettmachen. Um das Kapazitätsproblem zu bewältigen, möchte er lieber neue Transitachsen legen und das Auto weiter aus der Stadt verbannen. Letzteres ist auch für Weidmann unabdingbar, doch eine Ringlösung werde das Zentrum kaum entlasten, ist er überzeugt. Die Trams würden sich auch dann in der Kernstadt in die Quere kommen statt Gas zu geben. Patrick Gmür sieht darin aber nicht zwingend ein Problem. «Warum muss alles immer schneller gehen?», fragte er in die Runde. Es geht also um eine Grundsatzfrage. Für Romann steht fest: Das Tieftram ist eine Nummer zu Gross für Zürich. «Wir sind nicht London oder Paris.»
Damit erinnerte er an die Diskussion vor der Abstimmung über die U-Bahn 1973. Romann hatte sich dann schon gegen eine unterirdisches Stadtbahn engagiert. Das damalige Nein an der Urne beschreibt Weidmann hingegen als «epochale Zäsur, die bis an den Rand eines Denkverbots ging». Seither habe man das Tram praktisch konserviert, für Visionen war kein Platz. Heute steht angesichts des Wachstums der Stadt einmal mehr die Frage im Raum: Was für eine Stadt will Zürich sein? Weidmann gab darauf eine klare Antwort: Zürich werde in den nächsten Jahrzehnten weiter an Bedeutung und Grösse gewinnen und zu einer Stadt des Kalibers Frankfurt anwachsen. Diese Entwicklung dürfe der ÖV nicht verschlafen. Auch aus dem Publikum mahnte eine Stimme, nicht in die Abwehrhaltung der 70er Jahre zu verfallen und sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Das Tieftram, eine kühne Vision oder eine grössenwahnsinnige Spinnerei? Eine Kurzabstimmung unter den Zuhörerninnen am Schluss zeigte ein ausgewogenes Bild. Befürworter und Gegner hielten sich in etwa die Waage. Wer nicht an der Podiumsdiskussion war, kann seinen Unmut oder seinen Freude über den Vorschlag gerne in der Kommentarfunktion kundtun.