500 Wohnungen auf dem Josef-Areal?

Das Josef-Areal in Zürich soll zum lebendigen Stadtteil werden. Die Stadt hat ein Entwicklungskonzept verabschiedet – doch ohne den dringend benötigten Wohnraum. Eine Arbeitsgruppe schlägt Alternativen vor.

Fotos: Allen + Crippa Architektur

Das Josef-Areal in Zürich soll zum lebendigen Stadtteil werden. Die Stadt hat ein Entwicklungskonzept verabschiedet – doch ohne den dringend benötigten Wohnraum. Eine Arbeitsgruppe schlägt Alternativen vor.

In der Stadt Zürich herrscht wieder einmal Wohnungsnot. Die Leerwohnungsziffer liegt momentan so tief wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr: bei 0,06 Prozent. Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt bräuchte es 1,5 Prozent verfügbare Wohnungen. In Zürich entspricht das 3000 Einheiten. Am letzten Stichtag vom 1. Juni 2023 zählte man gerade mal 144 leere Wohnungen. Dem gegenüber steht die Zahl von knapp 450 000 Menschen, die in der Stadt Zürich leben. Viele von ihnen haben Angst vor steigenden Mietpreisen, viele befürchten, dass sie im Falle einer Kündigung die Stadt verlassen müssen. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt derweil so unaufhaltsam wie die Einwohnerzahl. Der Befund ist einfach: Es braucht Wohnungen in Zürich, und es braucht sie bald.

In der Stadt Zürich gibt es das Drittelsziel. Es geht auf eine Volksabstimmung im Jahr 2011 zurück und besagt, dass bis 2050 ein Drittel aller Mietwohnungen gemeinnützig sein soll. Tatsächlich ist die Zahl der gemeinnützigen Wohnungen auf Stadtgebiet seit dem Volksentscheid markant gestiegen – allerdings nur in absoluten Zahlen. Da in sämtlichen Preissegmenten gebaut wurde, ist der relative Anteil gemeinnütziger Wohnungen über alle Jahre gleich hoch geblieben – oder gleich niedrig. Er liegt bei ungefähr 25 Prozent. Der Stadtrat weiss: Es braucht mehr gemeinnützige Wohnungen in Zürich, und es braucht sie bald.

Es gibt ein Sorgenkind, es heisst Zürich West. Einst war das ehemalige Industriequartier ein Trendquartier, heute drohen Monotonie und Langeweile. Das hat mit dem Verschwinden von charakteristischen Räumen, baulichen Zeitzeugen und überraschenden Nutzungen zu tun. Hinzu kommt: Der Wohnanteil in Zürich West ist notorisch tief. Er liegt mit 12 Prozent weit unter dem städtischen Durchschnitt. Ein gut funktionierendes durchmischtes Quartier bräuchte mindestens 30 Prozent Wohnanteil. In den ersten Jahren nach dem Wegzug der Industrie konnten die kulturellen Angebote und kreativen Aneignungen der Zürcher Kunst- und Alternativszene dieses Manko ausgleichen. Heute droht Zürich West zu einem Stadtteil zu werden, der tagsüber der Büroarbeit dient und abends in Lethargie verfällt. Soll Zürich West aber ein lebendiges innerstädtisches Quartier sein, dann braucht es ein ausgeglichenes Verhältnis von Wohn- und Arbeitsflächen, es braucht ein sichtbares Quartierleben, und es braucht eine stärkere soziale Durchmischung der – heute vornehmlich yuppieesken – Wohnbevölkerung. Anders formuliert: Es braucht mehr gemeinnützige Wohnungen in Zürich West, und es braucht sie bald.

Hohe Dichte: Die ursprüngliche Bebauung des Josef-Areals mit Zentralwäscherei, Werkhöfen und Kehrichtheizkraftwerk ergibt eine Ausnützung von 330 Prozent. (Visualisierung: Allen + Crippa Architektur)

Geringe Dichte: Die Testplanung nimmt die heute erlaubte Ausnützung von 270 Prozent nicht in Anspruch, sondern reduziert sie auf 240 Prozent. (Visualisierung: Allen + Crippa Architektur)

Eine gute und eine schlechte Nachricht

Man mag sich vor diesem Hintergrund an das SBBAreal Neugasse erinnern, wo in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kerngebiet von Zürich West 375 Wohnungen hätten entstehen sollen – ein Drittel davon zur Kostenmiete, ein Drittel preisgünstig und ein Drittel im mittleren Marktsegment. Nach einer Volksabstimmung im Herbst 2021 waren die bereits weit entwickelten Pläne allerdings plötzlich Makulatur. Mit knapper Mehrheit hatte die Zürcher Stimmbevölkerung die ‹ Noigass-Initiative › angenommen, die 100 Prozent gemeinnützigen Wohnungsanteil verlangte und dafür den Kauf des Areals durch die Stadt oder dessen Übernahme im Baurecht forderte. Es war eine klare Willensäusserung entgegen der Politik des rotgrünen Zürcher Stadtrats – aber freilich eine Rechnung ohne Wirt: Weder wollten die SBB ihr Grundstück an die Stadt verkaufen oder im Baurecht abgeben, noch wollten sie ihr Projekt den Wünschen der Zürcher Stimmberechtigten anpassen. Diesen Sommer teilten die SBB der Öffentlichkeit mit, dass sie das Neugass-Areal für mindestens 20 weitere Jahre für den Bahnbetrieb nutzen werden.

Man wünschte sich also, die Stadt Zürich besässe selbst ein Grundstück von vergleichbarer Grösse und Lage. Ein Grundstück, das sie für den gemeinnützigen Wohnungsbau nutzen könnte. Eins, das sie entweder selbst bebauen oder an gemeinnützige Bauträger im Baurecht abgeben könnte und das im Idealfall mitten in Zürich West liegt. Die gute Nachricht: Dieses Grundstück gibt es. Das stadteigene Josef-Areal verfügt nach dem Rückbau des Kehrichtheizkraftwerks und dem geplanten Abbruch der Zentralwäscherei über eine Fläche von 20 000 Quadratmetern an zentraler Lage in Zürich West.

Für deren Entwicklung zu einem neuen Stadtteil hat die Stadt Zürich einen partizipativen Planungsprozess aufund nach allen Regeln der Kunst durchgezogen. Beginnend mit einer Studie zum Stadt- und Sozialraum im Jahr 2019, wurden über gut zwei Jahre Workshops und Dialogveranstaltungen durchgeführt, deren Erkenntnisse in die parallel laufende Testplanung einflossen. Vor einem Jahr wurde schliesslich ein Entwicklungskonzept verabschiedet, das Bauvolumen, Freiräume und Nutzungen definiert und als Grundlage für die verschiedenen Architekturwettbewerbe dienen wird, die noch dieses Jahr starten sollen. Geplant sind der Ausbau des Werkhofs, ein Pflegezentrum in Kombination mit Alterswohnungen, ein Hallenbad, ein Quartierpark sowie publikumsorientierte Nutzungen. Und damit kommen wir zur schlechten Nachricht: In diesem eigentlich sorgfältig erarbeiteten Entwicklungskonzept ist keine einzige gewöhnliche Wohnung vorgesehen.

Der Grund dafür ist verblüffend banal. Weil die Stadt auf dem Josef-Areal einst die Zentralwäscherei, verschiedene Werkgebäude und die Kehrichtheizzentrale errichtete, liegen die Grundstücke in der Zone für öffentliche Bauten, wo Wohnnutzung nicht erlaubt ist. Ist es schwierig, vielleicht gar unmöglich, das Josef-Areal umzuzonen? Hier lohnt sich ein zweiter Blick zurück auf das Wohnbauprojekt auf dem Neugass-Areal der SBB, denn dieses lag ebenfalls in einer falschen Zone, nämlich in derjenigen für Industrie- und Gewerbebauten. Der damalige Zeitplan veranschlagte gerade einmal zwei Jahre von der Erarbeitung eines Masterplans bis zur Ausschreibung der einzelnen Architekturwettbewerbe – Umzonung samt öffentlicher Auflage selbstverständlich inbegriffen.

Kurz: Was auf dem Neugass-Areal problemlos möglich gewesen wäre, wäre auch auf dem Josef-Areal problemlos möglich. Was fehlt, ist – nicht zum ersten Mal in Entwicklungsfragen rund um Zürich West – der politische Wille. An den Dialogveranstaltungen mit der Quartierbevölkerung waren die fehlenden Wohnungen durchaus ein Thema. « Was legitimiert den Fortbestand der Zone für öffentliche Bauten in diesem Areal? », lautete eine Frage an die Verwaltung. Und: « Wurde eine BZO–Revision je gründlich diskutiert? » Die Antwort auf diese Fragen liest sich so sachlich wie inhaltsleer: « Im Rahmen der BZO-Teilrevision wurde die Zonierung des Josef-Areals diesbezüglich geprüft und als richtig erachtet. » Dass diese BZO-Revision bald zehn Jahre zurückliegt, wird nicht erwähnt.

Der erste Vorschlag bringt fast 500 Wohnungen und 500 Arbeitsplätze unter. Die erreichte Dichte ist nur leicht höher als die historisch-industrielle.

Eine Arbeitsgruppe will weiterdenken 

Wenn nun die Arbeitsgruppe ‹ Josef will wohnen › auf dem Josef-Areal 500 Wohnungen fordert, dann kommt dieser Einspruch zu einem späten Zeitpunkt. Doch ist die Forderung weder anmassend noch illusorisch. Ein wichtiges Motiv war das Scheitern des Projekts an der Neugasse. Es hat die Dringlichkeit des Anliegens nochmals verschärft. Zudem: Das angedachte Prozedere ist realistisch. Über einen Masterplan und eine Teilzonenplanänderung würde die Vision von Wohnraum für 1000 Menschen in absehbarer Zeit in greifbare Nähe rücken – die Zustimmung der Bevölkerung und das Engagement von Politik und Verwaltung natürlich vorausgesetzt. Die Arbeitsgruppe, bestehend aus Architekten, Urbanisten und einem Landschaftsarchitekten, ist klug genug, die bereits geleistete Arbeit im Entwicklungsprozess des Josef-Areals in ihre Vorschläge zu integrieren. So etwa die Anliegen der Quartierbevölkerung, die in den drei Dialogverfahren zusammengetragen und diskutiert wurden und schliesslich in das Entwicklungskonzept Eingang fanden. Die derzeit geplanten Angebote des Josef- Areals wie Hallenbad, Gesundheitszentrum für das Alter, Quartierräume oder Grünflächen sind auch Teil des Vorschlags der Arbeitsgruppe – aber ergänzt um mehrere hundert Wohnungen. Dass dabei erst noch die charakteristischen Bauten der Zentralwäscherei erhalten statt abgerissen werden, sei nur am Rande erwähnt.

Der zweite Vorschlag begnügt sich mit einer Ausnützung von 300 Prozent, bringt aber immer noch 350 neue Wohnungen und 700 Arbeitsplätze ins Quartier. (Visualisierung: Allen + Crippa Architektur)

Es wäre ein grosser und verblüffend einfacher Beitrag zur Lösung der eingangs beschriebenen Probleme: Mit dem Vorschlag der Arbeitsgruppe erhielte Zürich auf einen Schlag eine beträchtliche Zahl neuer Wohnungen, gemeinnützig, klimavernünftig und zum Wohl einer ihrer wichtigsten Stadtteile: Zürich West.

Sicher: Der Vorschlag der Arbeitsgruppe bliebe nicht ohne städtebauliche Konsequenzen. Das zeigen die drei Varianten, die die Gruppe zur Diskussion stellt: Ob konventioneller Blockrand mit Hochhaus, ob Assemblage von Würfeln, Höfen und Gärten oder ob halbrunder Hof mit zwei Hochhausscheiben – wird auf dem Josef-Areal zu Hunderten gewohnt, ist das auch ein städtebauliches Statement. Es entsteht ein von Weitem sichtbares urbanes Geviert mit einem oder mehreren Hochpunkten, es entsteht ein neuer räumlicher und gesellschaftlicher Schwerpunkt im städtischen Geflecht. Wer sich aber eine lebendige Stadt und ein pulsierendes Zürich West wünscht, kann nichts dagegen haben. Die Alternative wären Siedlungen und Agglomerationen.

Der dritte Vorschlag mit einer Ausnützung von 400 Prozent erlaubt 500 preisgünstige Wohnungen und mehr als 800 Arbeitsplätze. (Visualisierung: Allen + Crippa Architektur)

Zeitgenössisch, vielfältig und klimavernünftig

Anzumerken ist zudem: Der dichteste Vorschlag der Arbeitsgruppe weist weniger Baumasse auf als die eindrücklichen Bauten des Kehrichtheizkraftwerks, die bis zu deren Abriss vor zwei Jahren die Stadtsilhouette prägten. Das geplante Entwicklungskonzept der Stadt Zürich hingegen macht aus diesem einst städtisch anmutenden Geviert ein unternutztes und kraftloses Stadtstücklein, das seiner zentralen Lage weder städtebaulich-architektonisch noch gesellschaftlich gerecht wird.

Zweifellos würde es sich auf dem von ‹ Josef will wohnen › skizzierten Josef-Areal auch um einiges dichter leben als in den historischen Genossenschaftssiedlungen auf der anderen der Seite des Viadukts. Wobei dichter in diesem Fall tatsächlich urban heissen könnte, zeitgenössisch, vielfältig und klimavernünftig. Die Bedenken, die mit einer im Schweizer Kontext ungewohnt hohen Dichte und mit dem Wohnen im Hochhaus einhergehen, sind trotzdem ernst zu nehmen: Wann wird das Urbane beengend, wann die Nachbarschaft zur anonymen Masse? Wie gelingt die Balance zwischen nachbarschaftlicher Nähe und Privatsphäre? Wie entkommt man sozialer und räumlicher Monotonie? Fragen, die prädestiniert sind, in Architekturwettbewerben verhandelt und in hoffentlich unterschiedlicher Art beantwortet zu werden.

Schliesslich stellen sich mit Hochhäusern nicht nur städtebauliche und soziale, sondern auch ökologische Fragen. Das « nachhaltige Hochhaus » ist zwar in aller Munde, doch die Energieaufwände in seiner Erstellung bleiben – zumindest vorläufig noch – hoch. Inwiefern die technische und planerische Entwicklung die CO2-Bilanz des Hochhauses weiter optimieren kann, lässt sich heute nur vermuten. Der ökologische Gewinn einer konzentrierten Wohnnutzung an zentraler Lage ist jedoch unbestreitbar. Einerseits schlagen die wegfallenden Emissionen des täglichen Pendel- und Individualverkehrs schnell und spürbar zu Buche, andererseits bedeutet die dichte Bebauung des Stadtzentrums, dass am Siedlungsrand weitaus grössere grüne Flächen eingespart werden. Kurz: Wenn Hochhäuser auf irgendeiner Wiese irgendwo im Schweizer Mittelland in die Höhe wachsen, sind ökologische und städtebauliche Fragezeichen mehr als angebracht. Hochhäuser in Zürich West machen Sinn.

Die Vorschläge der Arbeitsgruppe ‹ Josef will wohnen › laden die Zürcher Bevölkerung und die Politikerinnen zur Diskussion ein. Diese Diskussion ist längst fällig. Für die Stadt Zürich genauso wie für das Quartier Zürich West.

Kommentare

Hermann Huber 12.10.2023 12:43
Gut, dass sich jemand bemüht, dass Josef wohnen kann. Aber im Hochhaus? Es wäre ein aussergewöhnliches Pionierprojekt. Aber etwas irritiert: das Hochhaus, klimapolitisch und sozial sozusagen wie aus der Zeit gefallen. Meine Anregung ist, noch eine vierte Variante mit einem ‚liegenden Hochhaus‘, mit dem Kippen des Hochhauses auf die Dächer der geplanten Nachbargebäude, natürlich mit der beabsichtigten Ausnutzung, die geplanten Dachgeschossen als hausöffentliche Zwischengeschosse für Spielplätze, Aufenthaltsräume, Waschinfrastruktur, etc,, darüber Wohnen. Der Wogeno-Hausteil in der Manegg könnte anregend sein.
martin grossenbacher 10.10.2023 19:14
es ist gut, dass das thema nochmals aufgenommen wird. unabhaengig von dem architektonischen konzept , hoffe ich, dass die idee der “green city” aufgenommen wird. siehe zum beispiel singapore. https://www.singaporeair.com/saar5/images/local/nl/t04pages/parkroyal400x350.jpg
Beat 05.10.2023 00:29
Schön denkt ihr mit/ vor und macht gleich konkrete - und umsetzbare Vorschläge. Da können sich die auf den Ämtern direkt mal was abschauen!
Beat 05.10.2023 00:28
Schön denkt ihr mit/ vor und macht gleich konkrete - und umsetzbare Vorschläge. Da können sich die auf den Ämtern direkt mal was abschauen ?
Björn 04.10.2023 17:19
Alles in allem ein gelungener Artikel. Nur leider beginnt dieser mit einer Fehlannahme. Weshalb braucht es in Zürich für einen funktionierenden Wohnungsmarkt 1.5% leerstehende Wohnungen? Dies scheint eher eine eher politisch motivierte Aussage zu sein, den eine faktenbasierte. Der natürliche Leerstand, also die Leerstandquote bei der die teuerungsbereinigten Mietzinsen stagnieren, dürfte in der Stadt Zürich massiv tiefer liegen. Berechnungen zufolge liegt der natürliche Leerstand wohl eher zwischen 0.2% und 0.4%.
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