Dieses Buch ist die Freude des Lesers und der Genuss des Betrachters, schreibt der Stadtwanderer.

Ein Prunkbuch

Sorgfältiger, anschaulicher, schöner geht nicht. Der Band über die italienischen Städte hat mich an mich erinnert, an meine Wallfahrten vor einem halben Jahrhundert. Ich bin hingerissen.

Et in arcadia ego, ja, all das habe ich gleich nach dem Diplom abgeklappert, abgezeichnet, abgemessen: die Städte, genauer, die Plätze Italiens. Zu zweit in einem betagten Volvo, mit wenig Geld, aber viel Zeit. Einen Sommer lang. Das war vor 56 Jahren. Eine Anschaffung fürs Leben.


Was ich damals besichtigte, steht mir nun neu vor Augen, liegt als Prunkbuch auf meinem Tisch, edel, schöner nützti nüt. Jedes der urbanen Vorzeigestücke wird zuerst in einem Stadtplan verortet, dann folgt ein detaillierter Grundriss, auch die nötigen Schnitte werden geliefert und zum besseren Verständnis gibt es noch eine Axonometrie. Alle diese Pläne sind perfekt gezeichnet und seitengross, 31 x 23 cm. Zum Dessert gibt es neu aufgenommene Fotografien, auch diese füllen immer eine ganze Seite, zuweilen auch eine doppelte. Sorgfältiger und schöner geht nicht. Eine Augenweide, diesmal ist der abgedroschene Ausdruck treffend, denn das ist es, was das Buch bietet: Augenfutter. Ich bin hingerissen und bin überzeugt, dieses Buch wird zum idealen Geschenk für alle städtebaulich interessierten Architektinnen und Architekten, dem Stift zur Lehrabschlussprüfung und der Chefin zum 50sten.


Ein Stänkerer wird sagen: Scho rächt, aber das ist doch nur ein aufwendig gemachtes Coffee Table Book, eines mehr. Da antwortet der Stadtwanderer: Oh nein, es ist ein gelehrtes Buch, das dem akademischen Standard genügt. Die Autoren bemühen sich, einem englisch lesenden Publikum die hochmittelalterliche Civitas zu beschreiben und zu erklären. Sie zeigen, dass innerhalb der Mauern die Freiheit herrscht und ausserhalb die Willkür, dass die Freiheit ein gemeinsames Gut der Vollbürger ist, dass der städtische Raum, sprich die Plätze, der Ort sind, wo sich Architektur und Gesellschaft gegenseitig verwirklichen und ermöglichen. Kurz, das Hohelied der italienischen Stadt.


Das wird in neun städtebaulichen Gesängen angestimmt: Portico, Loggia, Covered Square, Urban Courtyard, Gallery, Steps, Urban Terrace, Bridge und City Room. Die Aufzählung irritiert mich, mica siamo in Italia! Ich lerne daraus: Bücher über italienische Stadtbaukunst erscheinen heutzutage auf Englisch. La Lingua franca ist obligatorisch. Hat jemand trotzdem Identitätswehen? Wenden Sie sich an Ihren Kunstgeschichtler oder an Ihren Buchhändler. Mir tut es in den Ohren weh. Bin ich wehleidig?

Die Reise geht zu den berühmten Städten, es werden die schönsten und eindrucksvollsten Stadträume Italiens präsentiert. In jedem der Kapitel werden die Vorzeigebeispiele gezeigt, die Reise wird zur Vorlesung. Ein Beispiel nur: Steps, le scale. Vorgestellt werden Ara Coeli in Rom, Piazza del Duomo von Noto und die Kathedrale von Massa Maritima. Dort schrieb ich vor 56 Jahren ins Notizbuch: «Die Treppe wirkt als besonderes Element, mehr noch, als Bühne». Dass nun das Element Treppe es wert ist, im Buch ein eigenes Kapitel zu bekommen, das hat mich überzeugt.


Ich mach es kurz: Dieses Buch ist die Freude des Lesers und der Genuss des Betrachters. Andersherum, der Titel «The Architecture of Public Space» wird intellektuell unterfüttert.

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Kommentare

Andreas Konrad 22.08.2023 00:45
Bravissimo ! An alle Schweizer Architekt:innen : Kaufen , lesen und endlich beginnen anständig, schön und gut zu planen und zu gestalten ! Das Lehrbuch dazu ist da !
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